Superhelden und Comicverfilmungen bevölkern die Kinosäle dieser Welt und sorgen ein ums andere Mal für Furore an den internationalen Kinokassen: Aus dem Hause Disney/Marvel Studios werden Fans seit nunmehr elf Jahren vom MCU rund um Hulk oder Thor verwöhnt, DC/Warner spielen mit Werken wie "Wonder Woman" und "Aquaman" mit und Sony hält noch immer fest an den Rechten zu "Spider-Man", den man ab und an verleiht. Doch wenn man zum Beginn der modernen Welle an solchen Filmen gehen will, kommt man zwangsläufig bei 20th Century Fox und ihren "X-Men" heraus. Anfang der Nullerjahre legten sie mit einer Trilogie vor, es folgten Ableger und dann mit "X-Men: Erste Entscheidung" 2011 die aktuelle Interpretation der ikonischen Figuren. "X-Men: Dark Phoenix" ist der vierte Teil der Reihe, der vorläufige Abschluss der Kinoabenteuer um Magneto, Charles und Raven und ein neuer Höhepunkt im Franchise.
Darum geht's
Ein echtes Drama
Auch in der "X-Men"-Reihe wird nicht mit beeindruckenden Effekten und großem, lautem Brimborium gegeizt. Doch auch wenn es in "Dark Phoenix" entsprechende Schauwerte zu bestaunen gibt, so stellen die sich stets in den Dienst einer Geschichte, die erfrischend frei von unnötigem Ballast ist. Zu den bereits aus den Vorgängern bekannten Figuren wird eigentlich nur eine neue Hauptbösewichtin hinzugefügt, ein paar Nebenfiguren runden den Anteil frischer Gesichter ab. Aber im Kern bleibt das Spielfeld überschaubar, man konzentriert sich auf das Wesentliche.
Das kann man auch vom Skript an sich sagen: Wenige bis gar keine handlungstechnischen Schlenker werden gemacht, die Story wird geradlinig nach vorne getrieben und befindet sich permanent in Bewegung und jede einzelne Szene bringt entweder die Geschichte voran oder gewinnt den Figuren neue Nuancen ab. Nichts wird verschwendet, nichts fühlt sich überflüssig an in diesem Film, der den Schwung nach vorne permanent am Leben hält und so auch ununterbrochen für Interesse und Spannung sorgt.
Dabei gefällt auch der insgesamt ernsthafte Tonfall. Sehr vereinzelt und sehr verhalten vorkommender Humor kann nicht davon ablenken, wie düster – aber niemals trist – es doch zugeht. Bei "Dark Phoenix" werden die Handlung, Figuren und ihre internen wie externen Konflikte vollends ernst genommen und das wird inszenatorisch zumeist klar und schnörkellos in toll geschriebenen und gespielten Szenen vermittelt. Dabei geben auch die Schauspieler Vollgas: Seien es Sophie Turner, Michael Fassbender, Nicholas Hoult oder James McAvoy – ihre Darbietungen sind allesamt sehr sehenswert und machen aus Simon Kinbergs Regiedebüt ein echtes Blockbuster-Drama.
Starker Regie-Erstling
A propos Kinberg: Dass der jetzt zum ersten Mal einen Film inszeniert hat, ist kaum zu glauben und man muss deshalb "Dark Phoenix" zu den stärkeren, vielleicht sogar stärksten Erstlingsfilmen der jüngeren Vergangenheit zählen. Dramaturgisch überzeugt sein Werk, das auch actiontechnisch einiges zu bieten hat und sich längst nicht mit simplen Zerstörungsorgien zufriedengibt. Stattdessen gibt es Sequenzen, bei denen man wirklich das Gefühl hat, dass diese auch mit Hinblick auf die Fähigkeiten der Figuren durchdacht choreographiert wurden und in Bezug auf die raum-zeitliche Verortung des Geschehens auch recht übersichtlich ausgefallen sind.
Auffällig ist zudem die Musik: Diese hat der Meister Hans Zimmer beigesteuert und damit hat er "Dark Phoenix" eine ganz neue und einzigartige Note verpasst, die im "X-Men"-Universum konkurrenzlos ist. Das beginnt schon am Anfang des Films, wenn das Hauptthema eingeführt wird und das einen dank verschiedener Variationen niemals loslässt, bis es zum großen Höhepunkt kommt. Der ist durchaus vollgestopft mit Computereffekten, was in den letzten Jahren bei anderen Filmen nicht jedem gefallen hat. Aber bei "Dark Phoenix" gelingt der seltene Glücksfall, dass visueller Bombast tatsächlich mit großen Gefühlen Hand in Hand geht und beide Elemente in einem dann auch erzählerisch tollen Finale kulminieren – die Leinwand erstrahlt dann vor schönen Lichtern, wenn sich auch Jean Grey innerlich zu einer leuchtenden Figur wandelt. Großes Kino!
Nicht perfekt
Aufmerksame Zuschauer werden zudem feststellen, dass ein im direkten Vorgänger "X-Men: Apocalypse" angedeuteter Handlungsstrang, der Magneto und Quicksilver (Evan Peters) betrifft, überhaupt nicht thematisiert wird – was vielleicht keine so schlechte Idee war. Von Psylocke, die sich im vorherigen Teil klammheimlich aus dem Staub machte, fehlt ebenfalls jede Spur. Fans, die sich erhoffen, dass aber genau diese Elemente fortgeführt werden, dürften dann ein wenig enttäuscht aus dem Kinosaal kommen. Alle anderen aber dürfte der Film glücklich machen.
Fazit: Mit "X-Men: Dark Phoenix" melden sich die Mutanten vorerst von der Leinwand ab – aber wie! Die Comicverfilmung lässt dank permanenter Spannung, toller Darsteller und einer emotionalen Handlung keine Wünsche offen.