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In dem US-amerikanischen Comic-Klassiker "Calvin & Hobbes" erfindet der sechsjährige Calvin eines Tages einen sogenannten Duplikator – ein einfacher Pappkarton, auf den er lediglich die Funktion geschrieben hat, um den Gegenstand arbeitstüchtig zu machen. Prompt klont er sich selbst und herauskommt ein identisches Abbild, das ihm nicht nur optisch ähnelt, sondern auch all seine schlechten Manieren mitbringt. Hobbes, sein in seiner Fantasie lebendiger Plüschtiger, kommentiert trocken, dass es sich wahrlich um eine originalgetreue Kopie von dem Jungen handelt. Und was sagt Calvin? "Was soll das heißen? Der Kerl ist ein totaler Penner!"

Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, dass sich Jordan Peele für seine zweite Regiearbeit "Wir" von "Calvin & Hobbes" inspirieren ließ und die Idee eines Horrorfilms würdig um Blut und Schrecken verschärft hat: Die Familie Wilson verbringt ihren Urlaub im sonnigen Santa Cruz, um mal so richtig abzuschalten. Nach einem Strandausflug mit Freunden will man den Tag im schicken Ferienhaus ausklingen lassen, als plötzlich vier dubiose Fremde in der Einfahrt stehen. Schnell artet die Situation aus und es stellt sich heraus, dass es sich um exakte Doppelgänger der Wilsons handelt - allerdings führen sie etwas ganz Böses im Schilde...

Widersprüchlich gut

Die wandelnden Spiegelbilder benehmen sich tatsächlich wie "totale Penner" - prügelnd, schlitzend, schneidend und stechend bahnen sich die finsteren Versionen der Protagonisten ihren Weg und lassen den Puls schneller schlagen, während die Prämisse an sich das Mysterium und die Spannung aufrechterhält. Schon sehr früh macht das Drehbuch aber klar, dass der Grusel nur ein Aspekt von "Wir" ist. Jordan Peele war vor seinem gefeierten "Get Out" vor allem mit Keegan-Michael Key eher in lustigen Gefilden unterwegs und das zeigt sich auch in seinem neuesten Wurf: In "Wir" darf nämlich genauso oft herzhaft gelacht wie laut aufgeschrien werden. Szenen von hoher, nervenzerrender Intensität halten sich so die Waage mit zum Zeil albernen Slapstickeinlagen und witzigen Sprüchen. Der Humor wirkt aber bisweilen ein wenig erzwungen, wie etwa eine etwas zu sehr als schlaue Nostalgie unter die Nase geriebene Anspielung auf die "Micro Machines"-Spielsachen oder "Kevin - Allein zu Haus".

In den besten Momenten funktioniert der Spaß ganz gut, doch bleibt zumindest ein latentes Gefühl der tonalen Unausgegorenheit: Als Horrorfilm ist "Wir" natürlich viel zu lustig, als Horrorkomödie ist er aber mitunter zu packend und atmosphärisch dicht. Auch wenn der Mix insgesamt nicht allzu stimmig wirkt, die Elemente an sich, das muss man dem Film lassen, sind jedoch formidabel und damit für sich sehr unterhaltsam und vor allem sehr gekonnt in Szene gesetzt. Die Kameraarbeit ist sehr gelungen, im Finale gibt es zudem eine grandios parallel montierte Sequenz zu bestaunen.

Starke Schauspielleistungen

Derweil haben die Schauspieler sichtlich viel Spiellaune mitgebracht, denn dank ihrer Doppelrollen bekommen sie jede Menge Möglichkeiten, ihr Talent voll auszuschöpfen, wobei sich Lupita Nyong'o in der Hauptrolle ganz besonders hervortut. Die Oscarpreisträgerin (für "12 Years a Slave") geht in die Vollen und kreiert überzeugend zwei Seiten einer Figur und meistert darüber hinaus auch die physischen Aspekte des Drehs. Elisabeth Moss, hier in einer kleinen Nebenrolle, legt wiederum den unheimlichsten weil weichesten Übergang von einem entsetzten Heulen zum psychopathischen Lachgesicht an den Tag, dem man in jüngerer Vergangenheit zuschauen konnte.

Hirnschmalz gefordert

Sie alle spielen je zwei Seiten einer Figur und ähnlich wie beim eingangs erwähnten "Calvin"-Comic, wird unter anderem die Frage aufgeworfen, wie man wohl auf sich selbst reagieren würde, wenn auf einmal das eigene Ebenbild vor einem stünde und man plötzlich die Fehler an sich selbst bemerkt. In "Wir" ist Peele dabei nicht an subtile Unterschiede in der Charakterisierung interessiert, die Gegenstücke sind nämlich ganz klar als dämonische Versionen überzeichnet. Als Visualisierung und gedankenanregende Auseinandersetzung mit der uns innewohnenden Dualität funktioniert "Wir" trotzdem ganz prächtig, wobei mit der Zeit mindestens noch eine allgemein gesellschaftskritische Dimension hinzukommt, auf die aber an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll - es soll ja schließlich nicht zu viel verraten werden. Sicher ist aber, dass "Wir" auf der Ebene der simplen Unterhaltung funktioniert und zusätzlich ordentlich Interpretationsstoff liefert, der nur ganz am Ende von einem etwas längeren Erklärmonolog ein wenig ausgebremst wird.

Fazit: Schmunzeln, schaudern, schlau sein - "Wir" ist ein Überraschungsei von einem Film, das vielseitige Unterhaltung bietet und sich kleine Schwächen in der Ausbalancierung seiner Elemente leistet.