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Filmbewertungen: Verändern Missbrauchsvorwürfe die Kunst?

Filmbewertungen: Verändern Missbrauchsvorwürfe die Kunst?
Kevin Spacey spielte in Sam Mendes Film "American Beauty" 1999 den leicht verführbaren Spießbürger Lester Verleih

Wie soll man eigentlich mit Filmen umgehen, an denen Männer beteiligt sind, denen vorgeworfen wird, andere sexuell belästigt oder sonstwie drangsaliert zu haben? Anders behandeln, sogar neu bewerten? TV SPIELFILM ist sich da nicht ganz einig...

Seit Monaten gibt es kein Filmfestival, keine Preisverleihung, kein Schauspieler­interview mehr, ohne Bezugnahme auf die sogenannte #MeToo-Debatte. Plötzlich scheint der Filmbetrieb beherrscht von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen. Immer wieder werden immer neue Schauspieler, Regisseure und Produzenten beschuldigt. Die Karrieren von ehemals gefeierten Mimen und Machern wie Kevin Spacey oder Harvey Weinstein scheinen auf ewig pulverisiert. Auch längst bekannte, man könnte sagen "verjährte" Missetaten geraten in der aktuell aufgeheizten Atmosphäre wieder in den Fokus. Im Licht der neu aufgeflammten Kindsmissbrauchsvorwürfe gegen den Filmemacher Woody Allen zum Beispiel gehen inzwischen sogar die Schauspieler seines noch unfertigen nächsten Films auf Distanz.

Natürlich diskutieren auch wir bei TV SPIELFILM diese Vorfälle und Namen. Und jüngst eben auch die Frage, wie geht man um mit den Filmen dieser verdächtigen oder ­irgendwann vielleicht sogar verurteilten Menschen? Darf man sie weiter als isoliertes Kunstobjekt sehen? Oder muss man sie mit dem ­Wissen um die Macher neu bewerten? Die ­Redaktion ist sich da uneins. Einige Stimmen:
Foto: Imago
"Wo soll man die zeitliche Grenze ziehen? Das historische Hollywood war nicht weniger verrottet als das heutige - Stichwort: Casting Couches."

"Ist ,Die Vögel‘ ein weniger genialer und spannender Film, weil Hitchcock scharf war auf Tippi Hedren und sie beim Dreh mit realen Tierattacken triezte? Äh: nein!"

"Wir müssen bei Besprechungen von ,Kill Bill‘ zukünftig darauf verweisen, dass Quentin Tarantino Uma Thurman dazu gedrängt hat, einen Stunt auszuführen, bei dem sie um ein Haar draufgegangen wäre."

"Man könnte die gesamte Filmgeschichte nach Verfehlungen abgrasen, aber das führte nur zu einer Psychopathologie seiner Macher und würde wenig über die Filme an sich sagen."

"Wir dürfen auf keinen Fall dieser Mob-Mentalität folgen und bestimmte Regisseure oder Schauspieler ächten. Kevin Spacey war nicht brillant in ,American Beauty‘, er ist brillant!"

"Film ist Kreativität, schöpferischer Wahnsinn. Wer alles glatt polieren will, killt das Kino. Oder sehnen wir uns nach einer neuen Prüderie?"

"Vielleicht sollte man Leute wie Woody Allen geradezu loben! Kunst ist auch dazu da, unsere dunkleren Seiten auszuloten - und er tut's! Nabokov war auch so einer, aber darf ,Lolita‘ deshalb nicht mehr verlegt werden? Nein!"

"Ich finde, wir können dem nächsten Allen-Film nicht so viel Platz einräumen, als wenn nichts wäre. Egal, wie gut oder schlecht er ist."

"Als ich hörte, wie Tarantino Polanskis Missbrauch einer 13-Jährigen schönredete, ist mir schlecht geworden... Muss gestehen, dass ich seitdem weniger Lust auf seine Filme habe."

"Aber ,Chinatown‘ zur Strafe kein Cine-Tipp mehr? Das wäre grober Unfug!"

"Das kommt jetzt vielleicht etwas um die Ecke: Beim Dreh von ,Stagecoach‘ starben 1939 viele Pferde, weil sie mit Drähten mitten im Galopp zu Fall gebracht wurden. Der Film ist aber leider trotzdem einer der besten Western aller Zeiten."

"Filme aufgrund der Verfehlungen daran Beteiligter neu zu bewerten hat für mich was von Zensur. Und die findet ja bekanntlich nicht statt."

"Es findet ein Kulturwandel statt. Das Bild des genialen Künstlers, für den keine ­Regeln gelten, verblasst."

"Wir sollten weiter Filme bewerten und uns ­dabei nicht zu Moralwächtern aufspielen. Taugt der Film was oder nicht? Die Antwort auf nur diese Frage erwartet der Leser von uns. "
Foto: Verleih, Fünf Oscars gab es für die gallige Gesellschaftssatire "American Beauty" - unter anderem gewann Spacey die Trophäe für den Besten Hauptdarsteller

Der Fall Woody Allen: Zwei Meinungen

Redakteur Rainer Unruh: Das Privatleben von Woody Allen ist mir ziemlich egal. Sollte er sich wirklich 1992 an der damals siebenjährigen Dylan Farrow vergangen haben, dann ist das ein Fall für die Justiz und für den Therapeuten. Bislang ist der Regisseur nicht überführt worden. Spannender ist doch die Frage, was das Triebleben eines Regisseurs mit seinen Filmen zu tun hat. Natürlich drängt sich der Gedanke an "Manhattan" auf, an den von Woody Allen gespielten ­Gagschreiber Isaac, der sich mit 42 in ein 17-jähriges Mädchen verliebt. Vielleicht träumt auch der echte Woody Allen von solchen Beziehungen. Aber vor allem ist der Altersunterschied hier eine wunderbare Quelle für Gags und Missverständnisse, dem Treibstoff einer jeden gelungenen Komödie. Und als solche sollten wir sie auch in Zukunft bewerten. Ich werde mir weiter mit gutem Gewissen Woody-Allen-Filme anschauen. Und ich will mir auch das Recht nicht nehmen lassen, Filme wie "Scoop" für ziemlichen Murks zu halten: nicht weil Allen einen miesen Charakter hat, sondern weil die Story so schwach ist.
Foto: Imago
Redakteur Rüdiger Meyer: Wann ­immer ich mit jemandem über den Fall Woody Allen rede, wird behauptet, der Regisseur sei von ­einem unabhängigen Gutachten entlastet worden. Das stimmt so nicht. Der vorsitzende Gutachter hatte Dylan Farrow nie getroffen, die Justiz hielt es ebensowenig für glaubwürdig wie den von Allens Team durchgeführen Lügendetektor-Test. Tatsächlich gab es im Fall Allen nur eine richterliche Entscheidung: die Vergabe der Sorgerechts an Mia Farrow, verbunden mit einer teilweise vernichtenden Stellungnahme des Richters gegenüber Woody Allen. Zur Anklage kam es nur nicht, weil der Staatsanwalt Dylan Farrow die seelische Qual eines Verfahrens ersparen wollte. All das weiß kaum jemand mehr. Und das ist das Dilemma. Führende Hollywood-Produzenten und -Regisseure haben die Macht den Diskurs zu bestimmen. Und darum ist es nur Recht und Pflicht, nicht nur den Künstler, sondern auch die Kunst zu hinterfragen. Besonders wenn die Kunst so sehr das Leben imitiert wie bei Woody-Allen-Filmen wie "Wonder Wheel" oder "Blue Jasmine". Viel zu lange schon wurde den Opfern nicht geglaubt. Das Mindeste, was wir ­ihnen schulden, ist, sich intensiver mit ­ihren Fällen zu beschäftigen und den ­Lesern diese Fakten zu präsentieren. Was sie am Ende daraus machen, ist ihnen überlassen.