Allmählich sollte sich Michel Houellebecq Sorgen machen. Die ARD zeigt die Verfilmung seines Bestsellers "Unterwerfung" zur besten Sendezeit. Edgar Selge darf als Hauptfigur François im Jahr 2022 erst die Freuden der Fellatio preisen und dann die Vielehe im Islam. Danach wird alles bei "Maischberger" pädagogisiert. Wie soll man da noch als Skandalautor provozieren, wenn alle so tolerant sind?

Aber vielleicht sind es ja gar nicht alle. Der Film, bei dem Edgar Selges Neffe Titus Regie führt, spielt auf drei Ebenen: Da ist erstens Edgar Selge auf dem Weg zum Theater und außerhalb seiner Rolle hinter den Kulissen; da ist zweitens Edgar Selge als Schauspieler auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, wo er seinen umjubelten Monolog auf der Grundlage von Houellebecqs Roman spricht; und da ist drittens Edgar ­Selge als Darsteller des Literaturprofessors François in Filmszenen, die größtenteils in Paris spielen. Im Thea­ter hält es eine Frau nicht mehr aus. Als François/Edgar mal wieder im Harvey-Weinstein-Jargon von seinen sexuellen Erlebnissen berichtet, steht sie auf und geht... "Das ist wirklich einmal vorgekommen", sagt Regisseur Titus Selge. "Ich habe die Situation für den Film nachstellen lassen, weil die Reaktion im Gegensatz zum Verhalten der Mehrheit des Publikums steht, das nämlich lacht."

Schauspieler und Regisseur, Onkel und Neffe sitzen beim Interview ­nebeneinander. Es ist das erste Mal, dass die beiden Selges zusammen­arbeiten. Man glaubt es kaum, so routiniert werfen sie sich die Bälle zu. ­Titus Selge erzählt, warum es ihm nicht reichte, das Geschehen im Schauspielhaus abzufilmen. Auf der Bühne agiert Edgar Selge mit Stärke und Lautstärke, um die Zuschauer an sich zu binden. Der Film eigne sich besser, um andere Facetten der Persönlichkeit des Literaturprofessors durchschimmern zu lassen, seine Einsamkeit, seinen Schmerz, seine Sehnsüchte. "Es gibt im Film drei Figuren: Edgar, François und Edgar/François", sagt Edgar Selge. "Die Identitäten sind im Fluss, und dieses Changieren ist Teil des Filmkonzepts." Martina Zöllner, Hautabteilungsleiterin Doku & Fiktion beim RBB, formuliert es nüchterner: Ein abgefilmtes Theaterstück würde um 20.15 Uhr im Ersten niemand gucken.

Houellebecqs Männerfiguren sind Schlappschwänze, die wie Machos ­reden. Das scheint den Nerv der Zeit zu treffen. Für Edgar Selge bricht der Miesepeter eines der letzten Tabus unserer Gegenwart: "Der sich im T­urbokapitalismus beschleunigende ­Zyklus von Produktion und Konsum erzeugt einen großen Überdruss. Das spricht in unserer hedonis­tischen Gesellschaft aber niemand aus, denn das würde nicht nur die Geschäfte stören, sondern auch die Begegnungen zwischen Menschen verkomplizieren."

Mephisto klopft an die Tür
Glücklicherweise bleibt uns ja noch das Fernsehen. "Unterwerfung" ist ­einer der wenigen TV-Filme, in denen gern ferngesehen wird. François schätzt besonders Wahlkampfsendungen. Er und seine Kollegen nehmen sie allerdings wie eine Show wahr, die ihr Leben nicht weiter zu berühren scheint. Ein Irrtum.

Die Schlussszene bringt Film und Theater zusammen. Mephisto verführt Faust: Der neue Rektor der islamistischen Uni, von Matthias Brandt diabolisch gespielt, lockt François mit der Aussicht auf Frauen und Geld. Eigentlich war er ja immer schon ein wenig Moslem, oder?