Als "The Revenant" 2015 in die Kinos kam, wurde die Diskussion um den Film von einem Thema überschattet: Wird er oder wird Leonardo DiCaprio wieder nicht einen Schauspiel-Oscar erhalten? Vorab war der Darsteller bereits viermal in einer Schauspiel-Kategorie nominiert. Mit "The Revenant" klappte es schließlich. Der Survival-Western in schneeweißer Umgebung wurde 12 Mal für einen Goldjungen nominiert, neben DiCaprio gewannen auch Alejandro González Iñárritu für die Beste Regie und Emmanuel Lubezki für Beste Kamera.

Dabei ging bei all der Preis-Euphorie unter, dass es sich bei "The Revenant" um einen Film nach wahren Begebenheiten handelt – ein Fakt, der nach dem Ansehen des Oscargewinners umso unfassbarer wird. Den Trapper Hugh Glass hat es wirklich gegeben – und als er bei einem Bärenangriff brutal verletzt und von seinen Leuten zurückgelassen wurde, kämpfte er sich tatsächlich durch die brutale Landschaft der Rocky Mountains.

Eine unglaubliche Geschichte vom Überleben

Der Trapper Hugh Glass, geboren 1783, war Zeit seines Lebens im "Wilden Westen" als Scout bekannt, ehe er sich 1823 der Expedition der Rocky Mountain Fur Company anschloss – diese Handelsgesellschaft revolutionierte damals den Pelzhandel und erschloss auf ihren Routen Teile des nordamerikanischen Kontinents, die bis zuvor noch gänzlich unbekannt waren. Allerdings mussten sie sich immer wieder vor Ureinwohnern und wilden Tieren in Acht nehmen. Die Expedition, an der Glass teilnahm, sollte entlang des Missouri River und später des Grand River verlaufen, und im Tal des Yellowstone River enden.

Doch dort wurde Glass von einem Bären attackiert und schwer verletzt. Obwohl er den Kampf überlebte, ließen ihn seine Begleiter zurück, davon ausgehend, dass er schon bald sterben würde. Zwei Männer wurden abgestellt, um bis zu seinem Tod bei ihm zu bleiben und ihn dann zu begraben. Doch sie ließen ihn alleine in einem Erdloch liegen, obwohl er noch atmete. Später kam Glass wieder zu sich: Schwer verletzt, ohne Munition und Verpflegung, mitten in der Berglandschaft der Rocky Mountains.

Dennoch rettete er sich in den nächsten bewohnten Ort, Fort Kiowa. Das bedeutet: Er legte eine Strecke von 200 Meilen (umgerechnet 320 Kilometer) im lebensbedrohlichen Zustand, schwer verletzt und ohne Nahrungsmittel zurück – und das in ungefähr sechs Wochen.

Ein Survival-Trip der Extreme: Hugh Glass aka "The Revenant"

20th Century Fox

Um zu Überleben, musste Hugh Glass (im Film gespielt von Leonardo DiCaprio) einen eisernen Willen beweisen.

Aufgrund ungenauer Aufzeichnungen sind viele Details rund um Glass und sein Überleben rein spekulativ. Häufig heißt es, er habe ein gebrochenes Bein vom Bärenangriff davongetragen. Angeblich soll Glass später erzählt haben, einmal in Ohnmacht gefallen zu sein – und als er aufwachte einen Grizzly gesehen zu haben, der an seinen Wunden leckte, ihm sonst aber nichts tat. Ernährt haben soll er sich von totem Bison und wilden Beeren, Strecke zurücklegen konnte er dank eines improvisierten Floßes.

Je nach Erzählung gibt es die Legende, Glass sei vor allem durch seinen Rachedurst am Leben geblieben, um die zwei Männer zu töten, die ihn in den Rocky Mountains zurückließen. Diese beiden Männer werden heute als John Fitzgerald und Jim Bridger vermutet. Allerdings soll Glass letztlich keinen von ihnen getötet haben, als er es in die Zivilisation zurückschaffte. Wie viel hiervon aber Mythenbildung ist, lässt sich heute kaum noch zurückverfolgen. Die häufig erzählte Geschichte, Glass habe während seines Überlebenskampfes mehrere Indianerangriffe überlebt, wird aber von Historikern stark angezweifelt.

Hugh Glass: Ein Mythos in Literatur und Film

Warner Bros.

Schon in "Ein Mann in der Wildnis" wurde die Geschichte von Hugh Glass verfilmt.

Die spektakuläre Geschichte um Hugh Glass diente immer wieder als Inspiration für Erzählkunst. 1954 erschien der Roman "Lord Grizzly" von Frederick Manfred, der eine stark fiktionalisierte Version von Glass Odyssee erzählt. Der Filmregisseur Richard C. Sarafian filmte 1971 seinen Western "Ein Mann in der Wildnis", in dem Richard Harris in die Rolle des Scouts Zachary Bass schlüpft, die ohne Frage auf Hugh Glass basierte. Der Film erhielt positive Kritiken und vermengte den Mythos um Glass mit Western-Elementen und Anleihen an die Geschichte von Robinson Crusoe.

2002 erschien schließlich der weltweite Bestseller "Der Totgeglaubte – Eine wahre Geschichte" von Michael Punke. Der Roman konzentriert sich vor allem auf den Rachegedanken, der Glass am Leben erhalten haben soll, ändert die Legende aber insofern, als dass Glass seine Rache erfolgreich bekommt. Punkes Buch wurde schließlich zur Vorlage für Alejandro González Iñárritu, als der nach seinem Oscar-Hit und Kritikerliebling "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)" nach Stoff für seinen nächsten Film suchte.

"The Revenant" ist also eine starke Vermischung aus realer Geschichte und fiktionalisiertem Mythos. Die Begebenheiten rund um Glass, sein Überleben und der schreckliche Bärenangriff stammen aus der Realität, sein Aufeinandertreffen mit den Indianern sowie seine Rache an Fitzgerald und Bridger sind spekulativ bis hin zu komplett erfunden. Cineasten stören sich daran nicht – und staunen über die famosen Bilder und das atemberaubende Schauspiel von Leonardo DiCaprio.