Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Steuer einer Straßenbahn mit defekten Bremsen und rasen auf fünf Bau­arbeiter zu. Sie können die Bahn auf ein anderes Gleis umleiten, würden aber durch ihre Aktion einen Menschen töten. Wie entscheiden Sie sich?

Als die Philosophin Philippa Foot 1967 dieses ethische Dilemma beschrieb, hätte sie sicher nie damit gerechnet, Teil einer Sitcom zu werden. Aber "The Good Place" ist auch keine gewöhnliche Co­medy. Mike Schur hat mit seiner innovativen Serie einen Weg gefunden, irrwitzige Gags, philo­sophische Konzepte und Erzähltechniken wie in "Lost" zu einem unwiderstehlichen Mix zu formen, der zum Besten gehört, was das Genre in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

Paradiesische Zustände

Dabei klingt die Ausgangslage abs­trus. Eleanor Shellstrop (Kristen Bell) ist tot. Sie ließ auf einem Parkplatz eine Flasche "Lonely Gal Margarita Mix" fallen, wurde beim Aufheben von einer Einkaufswagenkolonne erfasst, auf die Straße geschleudert und von einem Werbe-Lkw für Potenz­mittel überfahren. Aber: Sie hat von alldem nichts mitbekommen. Stattdessen sitzt Eleanor unbeschadet in einem Büro und lässt sich von Michael (Ted Danson) erklären, wie es jetzt weitergeht. Nachdem jede ihrer Taten auf Erden positiv oder negativ bewertet wurde, gehört Eleanor zu den wenigen Auserwählten, die es in den Himmel, oder reli­gionsneutral formuliert, in den "Good Place" geschafft haben.

"The Good Place" im Podcast

Je 322 Verstorbene tummeln sich in einer "Truman Show"-ähnlichen Idealsiedlung. Einfach alles ist perfekt. Wenn es da nicht ein Problem gäbe: Eleanor gehört nicht hierher. Die Blondine war in Wahrheit ein Miststück und profitierte von einer Verwechslung. Weil die perfekte Nachbarschaft auf einmal zu scheitern droht, muss Eleanor verhindern, dass jemand ihr Geheimnis erfährt. Ihr vermeintlicher Seelenverwandter, Ethikprofessor Chidi (William Jackson Harper), soll sie zu einem besseren Menschen machen. Und an dieser Stelle kommen die Philosophen ins Spiel. Ob sie namentlich erwähnt werden, Chidi in seinen Unterrichtsstunden ihre Thesen vermittelt oder sie als einer der unzähligen visuellen Gags nur im Hintergrund auftauchen (u. a. steht auf einer Kinoanzeige "Bend It Like Bentham" für den bri­ti­­schen Ethiker Jeremy Bentham): Es schlägt die Stunde der Denker und Sinn-Ergründer.

Doch keine Bange. "The Good Place" ist auch für alle anderen ein Vergnügen. Denn Mike Schur ist aktuell einer der witzigsten Autoren im Sitcommarkt. Der 42-Jährige begann seine Karriere bei der Kultshow "Saturday Night Live", bevor er ins Autorenteam der US-Version von "The Office" aufgenommen wurde. Sein Talent ließ Schur schnell aufsteigen. Mit "Parks and Recreation" durfte er 2009 seine erste eigene Serie erschaffen. Es folgten "Brooklyn Nine-Nine" und jetzt eben "The Good Place". Die Gemeinsam­keiten: Alle kommen ohne Lacher vom Band aus, und alle wurden von der Kritik gefeiert. Auch weil sich Schur nie zu schade war, Hilfe anzunehmen. Für seine ersten zwei Serien holte er sich einen Co-Autor, und für "The Good Place" bat er Damon Lindelof um Rat.

Comedy-Überraschungshit

Moment! Was versteht der Macher von düsteren Dramen wie "Lost" und "The Leftovers" von Comedy? Nicht viel. Aber Lindelof weiß, wie man Geschichten aufbaut. Und Michael Schur hatte für "The Good Place" einige erzählerische Kniffe parat. "Ich lud Damon zum Essen ein und trug ihm meine Ideen vor. Er hat mir Mut gemacht. Und da wusste ich, dass ich damit vielleicht durchkomme."

Womit, soll an dieser Stelle ­natürlich nicht verraten werden. Denn in den Masterplan seiner Serie weihte Schur lediglich seine beiden Stars Kristen Bell und Ted Danson ein. Selbst die Nebenfiguren, die sich in diesem Paradies tummeln, tappten lange Zeit im Dunkeln. Als Schur sie endlich in das Geheimnis einweihte, machte sich Bell den Spaß, den Moment mit der Kamera festzuhalten. Der Blick auf den Gesichtern ihrer Kollegen war unbezahlbar - und spiegelt genau das, was auch der Zuschauer in diesem Moment empfinden wird.

Bis zu jenem Zeitpunkt war "The Good Place" nur eine außergewöhnlich witzige und intel­ligente Comedy. Ab hier wird sie zu einer der bemerkenswertesten Serien der letzten Jahre. Denn welcher Autor manövriert sich schon freiwillig in eine Ecke, aus der es kein Entkommen gibt? Wie Michael Schur es schafft, sich zu befreien und erneut sämtliche Erwartungen zu unterwandern? Das ist Thema für eine andere Philosophiestunde.