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"Jurassic World" im Realitätscheck

Jurassic World im Realitätscheck
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Hollywood lässt mal wieder die Dinos los. Mit ihren urzeitlichen Vorbildern ­haben die jedoch nur den Namen gemein - und in einem Fall nicht einmal den.

Fliehende Menschen, gellende Schreie, weit aufgerissene ­Augen, in denen sich blankes Entsetzen spiegelt. Das Tor des Hochsicherheitsgeheges wurde ­irgendwie geknackt und steht weit offen. Offenbar sind die tierischen Ausbrecher hochintelligent - und nun komplett außer Kontrolle: ein Trupp ausgehungerter und äußerst schlecht gelaunter... Truthähne. Cut!

Wir geben's ja zu: Echter Leinwandhorror wäre mit dieser Szene schwerlich herzustellen, schon gar keiner, der weltweit 1,6 Milliarden Dollar in die Kinokassen spült wie der Blockbuster "Jurassic World". Darum erscheint der Velociraptor auch im neuesten Teil der Filmreihe (Kino­start: 6. Juni) als mannshoher, blutrünstiger Drache und nicht als das, was er wohl in Wirklichkeit war: ein 80 Zentimeter kleines Federvieh mit Spatzenhirn und dem Grusel-Appeal eines Puters.

Es birgt darum eine gewisse Komik, dass ausgerechnet Velocirap­toren eine so steile popkulturelle Karriere als Könige unter den Mistviechern hingelegt haben. In Plastik gegossen posieren sie scharenweise auf Spielzeugregalen, als Pixelbestien wüten sie durch zahllose Computerspiele. Die Basketballmannschaft von Toronto benannte sich nach den vermeintlichen Killern "Raptors".

Dabei wusste schon Michael Crichton, der 1990 mit seinem Roman "DinoPark" die Keimzelle für die Kinokracher schuf, dass diese Tiere harmlose Zwerge waren. In der Buchvorlage flitzen deswegen deutlich statt­licher gebaute Vertreter der Gattung Deinonychus meuchelnd durch die Rabatten. Spielberg fand deren ­Namen zu sperrig. Und weil Veloci­raptor so schön fies klingt, tauften sie die Filmbiester kurzerhand um. Es sollte nicht der einzige Akt künstle­rischer Freiheit der Macher bleiben.

"Die Film-Dinos haben fast nichts mit realen Dinosauriern zu tun", gibt der US-Paläontologe Jack Horner (71) zu. Der Dinospezialist war bereits vor 25 Jahren beim Dreh von "Jurassic Park" wissenschaftlicher Berater von Spielberg und seinem Drehbuch­autor Crichton. Er ist das Vorbild für Dr. Alan Grant, die von Sam Neill ­gespielte Hauptfigur der ersten drei Filme. In "Jurassic World" hat er einen Cameo-Auftritt, und er war auch beim Dreh des jüngsten Teils der Reihe vor Ort - wenn auch eher in der Funktion eines wissenschaftlichen Maskottchens und Feigenblatts und weniger als Wächter über paläonto­logische Akkuratesse. Denn was den bescheidenen Realitätsgehalt der ­Filme betrifft, hat sich Horner die Sichtweise der Produzenten zu eigen gemacht: "Das sind keine Dokus, sondern Unterhaltungsfilme. What's the problem?"

Ein Problem ist, dass die Forschung seit 1993, als "Jurassic Park 1" in die Kinos kam, enorme Fortschritte gemacht hat. Viele Details aus dem ersten Film entsprachen halbwegs dem damaligen Stand der Wissenschaft oder standen zumindest nicht in krassem Widerspruch dazu. Schon in Teil 2 von 1997 sah die Sache anders aus. Ein Jahr vor Start des Films waren in China sensationell gut erhaltene Fossilien gefunden worden. Sie bewiesen, dass zumindest einige Dinoarten ein Federkleid trugen. Viele weitere Funde lassen es heute als gesichert gelten, dass die meisten Theropoden - das sind zweibeinige Saurier wie Velociraptor und Deinonychus, gefiederte Tiere waren.
T-Rex oder fette Henne?
Die Schöpfer der Hollywood-Echsen stellte das vor gleich mehrere Schwierigkeiten: Ein T-rex mit farbenfrohem Federschmuck sieht einfach nicht furchteinflößend aus. Wer hat schon Angst vor einem Huhn, und sei es sieben Tonnen schwer? Hinzu kommt, dass ein realistisch aussehendes Gefieder anders als schuppige Echsenhaut verteufelt schwierig zu animieren ist. Wer's nicht glaubt, werfe einen Blick auf den digitalen Piepmatz, der in Minute zwei von ­"Jurassic World" ins Bild hüpft. Er sieht so echt aus, als wäre er direkt aus "Shrek 2" reingeflattert.

Noch schwieriger zu lösen ist ein anderes Problem: "Jurassic Park" zählt zu den erfolgreichsten Kinohits seit Ende der Kreidezeit. Der Film prägte wie kein anderer das Bild, das die meisten Menschen bis heute vom T-rex und seiner Verwandtschaft haben. "Dinosaurier mit Federn würde das Publikum gar nicht als Dinosaurier erkennen", glaubt Jack Horner. Darum treten die Urviecher auch in neueren Dokumentationen in Echsengestalt auf und nur selten als die vogelartigen Tiere, die sie waren.

Doch nicht nur was das Aussehen der urtümlichen Protagonisten betrifft, wurden die Filme inzwischen von der Wissenschaft widerlegt. Prämisse der "Jurassic"-Reihe ist die Idee, man könnte ausgestorbene Tiere aus erhalten gebliebener DNA im Genlabor neu zum Leben erwecken. Das war vor 25 Jahren in der Praxis zwar genauso unmöglich wie heute, damals schien es aber zumindest theoretisch denkbar: Die Fortschritte in der Gentechnik begannen gerade Fahrt aufzunehmen. Und mit etwas Glück, so wollte man es Spielberg und Crichton nur allzu gern abkaufen, könnte doch tatsächlich Dinosaurier-Erbgut im Magen eines in Bernstein eingeschlossenen Blutsaugers konserviert worden sein.

Eben nicht, wie man inzwischen weiß. Im Jahr 2012 wiesen Forscher der Universität Kopenhagen nach, dass DNA-Moleküle instabil sind und einem natürlichen Zerfall unterliegen. Bei optimaler Kühlung beträgt ihre Halbwertszeit etwa 158 000 Jahren. Das heißt, dass nach Ablauf dieser Zeitspanne noch die Hälfte der ursprünglichen Erbinformation vorhanden ist, nach weiteren 158 000 Jahren nur mehr ein Viertel und so weiter. Nach gut fünf Millionen Jahren ist kein Fitzelchen DNA mehr nachweisbar. Da die Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren ausgestorben sind, heißt das: Ihr Genom ist unwiederbringlich verloren.

Oder vielleicht doch nicht?

In seinem Buch "Evolution rückwärts" beschreibt der dinoverrückte Horner, wie man Velociraptor und Co. trotzdem wieder auferstehen lassen könnte. Die Embryonalentwicklung von Hühnern zeigt, dass uralte Sauriermerkmale wie ein langer Schwanz, dreifingrige Vordergliedmaßen und bezahnte Schnäbel im Genom heutiger Vögel immer noch angelegt sind. Durch gezielte Manipulation am Erbgut müsste es laut Horner möglich sein, den inneren Dino wieder hervorzukitzeln. Allerdings kann man darüber streiten, ob das so erzeugte Tier wirklich ein Dinoaurier wäre oder nicht doch eher ein missgebildetes Huhn. Nur eins ist sicher: Als Angstgegner in einem künftigen Teil von "Jurassic World" wäre diese Kreatur eine katastrophale Fehlbesetzung.