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"Aufbruch ins Ungewisse" zeigt die Flucht nach Afrika

Aufbruch ins Ungewisse zeigt die Flucht nach Afrika
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Verkehrte Welt: In dem TV-Film "Aufbruch ins Ungewisse" sind die Deutschen Flüchtlinge. Sie suchen im Süden Schutz vor Verfolgung.

Die Bilder sind vertraut: erschöpfte Menschen, die in einem Schlauchboot vor der Küste treiben, und triste ­Lager, in denen die Geretteten die Zeit totschlagen.

So kennt man es aus den Nachrichten, wenn mal wieder Flüchtlinge vor der italienischen Insel Lampedusa an Land gebracht und in behelfsmäßige Quartiere gebracht werden. Doch diesmal ist alles anders, auch wenn es ­bekannt aussieht. Die Flüchtlinge kommen nicht aus Afrika, sondern aus Europa. Und ihr Ziel ist nicht etwa Deutschland, sondern Südafrika.

In naher Zukunft, so die Grund­idee des Films, haben auf dem ­alten Kontinent Rechtsextreme die Macht. Andersdenkende werden verfolgt und misshandelt.

Die Umkehrung der Perspektive führte zur Kritik

Als Anwalt Jan Schneider (Fabian Busch) erfährt, dass er auf der schwarzen Liste steht, verlässt er Düsseldorf. Mit seiner Frau (Maria Simon) und den beiden Kindern (großartig als mauliger Teenager: Athena Strates) vertraut er sich Schleppern an. Sie sollen die Familie in die Südafrikanische Union bringen. Dieser Staat ist in der Zukunftsvision, die der Film eher skizziert als ausmalt, ein Hort der Demokratie, der Freiheit und des Wohlstands.

Die Idee, den wirklichen Flüchtlingsstrom vom armen Süden in den reichen Norden für einen fiktiven Film umzukehren, hatte die Produzentin Kirsten Hager bereits 2014: "Damit wir bei der Flut der immer gleichen Bilder nicht abstumpfen, haben wir uns überlegt, wie man das Thema erzählen kann, damit die Menschen hinschauen." Die Umkehrung der Perspektive stieß schon vor der Ausstrahlung auf Kritik. So fragte "Bild": Müssen Flüchtlingskinder blondes Haar haben und Nick und Nora heißen, damit deutsche Eltern vor dem Fernseher eine Träne vergießen?
Astrid Ströher, die an den letzten beiden Drehbuchfassungen mitgeschrieben hat, reagiert verblüfft. "Wir zeigen Deutsche, die fliehen", sagt sie. "Aber das heißt natürlich nicht, dass wir kein Mitleid mit den Menschen haben, die eine andere Hautfarbe haben." Die Autorin räumt im Gespräch ein, dass womöglich die emotionale Identifikation mit Menschen leichterfällt, die wie wir aussehen. "Das aber ist kein Ausdruck von Rassismus. Im Gegenteil: Der Film zeigt sehr deutlich, dass die weißen Flüchtlinge nicht besser und nicht schlechter als die echten Flüchtlinge aus Afrika sind." Produzentin Hager sieht auch ­einen Zusammenhang mit der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, die von Flucht und Verfolgung geprägt ist.

Tatsächlich erinnern die Gründe für die Flucht eher an das Dritte Reich oder an das Chile nach dem Militärputsch 1973, als Anwälte, die sich für Verfolgte einsetzten, selbst um Leib und Leben fürchten mussten. Es gibt im Film keinen Bürgerkrieg wie heute in Syrien und auch keinen Failed State wie in Somalia, der als Ur­sache der Flucht herhalten könnte.

Und auch das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und Afrika, das in der Realität zum Beispiel Deutschland so attraktiv für junge Leute aus dem Maghreb macht, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei vierzig Prozent liegt, spielt im Film keine Rolle. Das Deutschland in zehn bis fünfzehn Jahren, das die Kulisse für das Flucht­drama abgibt, scheint nicht ärmer zu sein als das Südafrika, in das die Familie Schneider flüchtet. Man könnte eher umgekehrt die Frage aufwerfen, ob Südafrika wirklich als Modell für eine Insel der Seligen taugt, in der die Europäer ihre geschundenen Körper und gequälten Seelen regenerieren können.

Man möchte es dem Land wünschen, das die Apartheid weitgehend unblutig beendet und der Welt einen so bedeutenden Staats­mann wie Nelson Mandela geschenkt hat, aber die jüngsten Entwicklungen geben wenig Anlass zur Hoffnung.

Flucht-Themenabend im Ersten? Nicht mit der GROKO

Natürlich weiß niemand, was uns in zwanzig Jahren erwartet, und vielleicht haben die von WDR-Redakteurin Sophie Seitz etwas vage angeführten "Zukunftsforscher" recht, die ein ­goldenes Zeitalter am Kap für möglich halten. Nur stellt sich auf Nachfrage heraus, dass man es damit gar nicht so genau gemeint hat. "Es kommt nicht darauf an, ob das Land wirklich so weit ­entwickelt ist, dass es in naher Zukunft eine Rettungsinsel für Flüchtlinge aus Deutschland sein könnte", sagt Autorin Ströher. "Südafrika steht für ein Land, das aus deutscher Perspektive fremd und unbekannt ist und das trotzdem eine Heimat bieten kann."

Für deutsche Filmteams ist es das jetzt schon. Gerade wurden dort Teile von "Deutschland 86" mit Jonas Nay gedreht, der mit Spannung erwarteten Fortsetzung der Serie "Deutschland 83".
Einen Grund für die Beliebtheit Südafrikas bei Produktionsfirmen nennt das "Kapstadtmagazin" mit drastischer Offenheit: "Aufgrund der hohen Arbeits­losigkeit mangelt es nicht an preiswerten Arbeitskräften."

Kein Wunder, dass die afrikanischen Schauspieler sich über die Umkehrung der Rollen freuten. Im Film sind sie es, die tun, was in der Wirklichkeit den Weißen vorbehalten ist: mit Gummihandschuhen und Desinfektionsspray den verdreckten Boat People den Weg zu den Duschen weisen.

Auch in visueller Hinsicht wagt sich der Film zumindest teilweise auf ungewohntes Terrain. Die Bilder von der Landung in Namibia, vor Ort im Nebel gedreht, sind so bleich, als habe das Meerwasser die Farben des Films zusammen mit denen der Kleidung der Menschen ausgewaschen.

Das Drama lief bereits auf einigen Festivals. Dort wurde im Anschluss an die Vorführung lebhaft diskutiert. Die Debatte sollte jetzt im Fernsehen stattfinden, nach dem Film wollte sich "Maischberger" dem Thema widmen. Doch daraus wird nichts: Die Personaldebatten rund um das Ende der GROKO-Verhandlungen führte zu einem Themenwechsel. Nun diskutieren Stephan Weil (SPD / Ministerpräsident Niedersachsen), Serap Güler (CDU / Bundesvorstand), Rudolf Dreßler (SPD / ehem. Präsidiumsmitglied) und Wolfgang Herles (Journalist) über "Das GroKo-Drama: Zerlegen sich die Volksparteien?"