"Blade"-Darsteller Stephen Dorff sagte kürzlich in einem Interview, dass er sich für Scarlett Johansson schäme. Der Film sei für ihn Müll. Doch ist "Black Widow" wirklich gleich derart schlecht, dass man so über den "Avengers"-Star sprechen muss? Um das zu beantworten, muss man sich zunächst die zentrale Frage des Films ansehen, denn erstmals bringen die Marvel Studios eine Vorgeschichte auf die große Leinwand: Wozu das Ganze? Ist der Actionstreifen wirklich notwendig?

Achtung, es folgen Spoiler zu "Black Widow".

"Black Widow" – Die Story

Fangen wir von vorne an: Die Geschichte spielt zwischen den MCU-Filmen "The First Avenger: Civil War" und "Avengers: Infinity War". Natasha Romanoff musste nach den Ereignissen rund um die Sokovia-Abkommen untertauchen. In Rückblenden erfahren wir zunächst, dass sie als Kind bei einer russischen Scheinfamilie lebte, die in den USA Informationen sammeln sollte – bis sie aufflog.

Jahre später findet sich Natasha in einem Wohnwagen in der Wildnis wieder und wird von ihrer Scheinschwester Yelena gesucht. Dreykov, der einst Natasha und Yelena im Red Room ausbildete, lebt und hält noch zahlreiche weitere Black Widows als seine Privatarmee. Das Problem: Sie alle kämpfen gegen ihren Willen für den Russen. Nur ein rotes Serum kann sie von ihrem Bann befreien, womit die Mission klar ausgelegt ist.

Hilfe bekommen die beiden von ihren alten Scheineltern. Kleines Schmankerl nebenbei: Natasha kann so auch Rache an Dreykov nehmen, der ihr früheres Leben zur Hölle gemacht hat.

"Black Widow" – Darsteller machen Spaß

Die Erwartungen sind hoch am ersten MCU-Film seit "Spider-Man: Far From Home" von 2019. Und so viel kann man schon sagen: "Black Widow" liefert auch ab. Die Actionsequenzen lassen sich gut und gerne mit "The Return of the First Avenger" vergleichen. Verfolgungsjagden oder 1-gegen-1-Gefechte: Was sich das Stuntteam ausgedacht hat, ist definitiv preisverdächtig.

Doch schon hier zeichnet sich ein erstes Problem ab: Die Action kommt doch arg kurz. Zumindest beherrschen lange und zum Teil überflüssige Dialoge die ersten 70 Minuten. Selbst nach geschlagenen 50 Minuten wird erneut die Mission benannt, obwohl schon die ganze Zeit dahingehend gearbeitet wird. So wird erst nach zwei Drittel des Films die Handbremse langsam gelöst. Völlig überraschend kommt da der Auftritt von William Hurt daher, der sich im MCU offenbar für nichts zu schade ist – nicht mal für die 30 Sekunden, die er diesmal zu sehen ist.

Mit David Harbour und Florence Pugh sind aber zwei Marvel-Neulinge dabei, die richtig Spaß machen. Der "Stranger Things"-Star sorgt für massig Lacher, während Pugh ganz großartig mit Johansson agiert. Überhaupt hat die gesamte Scheinfamilie mit Mutter Rachel Weisz eine tolle Chemie, sodass man sich eigentlich eine Sitcom mit dem Titel "Familie Widow – Neues aus der Tundra" wünschen würde.

Neben Dreykov (Ray Winstone) ist vor allem der Taskmaster als Gegner in zahlreichen Trailern vorgestellt worden. Seine Identität sei an dieser Stelle nicht verraten. Allerdings fehlt ihm am Ende einiges, um als Marvelgegner im Kopf zu bleiben. Ein Michael B. Jordan hat nach seiner Performance in "Black Panther" beispielsweise ein eigenes Spin-off verdient. Taskmaster bleibt hingegen extrem blass, trotz seiner Moves, die er von Captain America, Black Panther, Bucky Barnes, Hawkeye und Natasha abgekupfert hat.

"Black Widow" – Die Enttäuschung überwiegt

Teile des Films spielen in Budapest, wo sich Natasha und Yelena erstmals wieder treffen. Leider hat man diese Gelegenheit nicht genutzt, um die Vorgeschichte von Clint Barton und Natasha zu erläutern. Lediglich bei Einschusslöchern in der Wand wird beiläufig erwähnt, dass sie von Pfeilen stammen. Chance vertan.

Ansonsten kopiert der Film große Teile von "The Winter Soldier". Der Red Room ist Hydra, Taskmaster (samt düsterer Vergangenheit) ist der Winter Soldier, die Red-Room-Station ist der Helicarrier. Klar, "The Winter Soldier" ist einer der besten Actionfilme überhaupt. Da kann man sich schon ein paar Sachen abschauen, aber gleich die gesamte Struktur zu kopieren, wirkt schon etwas billig und unoriginell.

Die Geschichte, dass ein rotes Serum die Black Widows von ihrem Bann befreit, ist zwar nett, aber genau die Story eines jeden Disney-Märchens. Offensichtlich wurde hier nicht allzu viel Wert auf die Handlung gelegt. Vielmehr wollte man Natasha Romanoff würdig verabschieden, die nach ihrem Tod in "Avengers: Endgame" vermutlich nicht wiederkehren wird. Und hat man das geschafft? Leider nein. Natashas dramatisches Ableben auf Vormir wäre der größere, wichtigere Abschied von der Figur gewesen. "Black Widow" wirkt nun erzwungen, als hätte Johansson noch einen Gig im Vertrag festverankert gehabt. Die Frage, ob der Actionstreifen also wirklich notwendig ist, kann man leider nur mit "Nein" beantworten. Dafür fehlen auch komplett die Referenzen zu anderen MCU-Projekten, wie es jeder andere Film bislang auch geschafft hat. Lediglich die Post-Credit-Scene bietet einen Ausblick auf die Zukunft von Yelena.

Der Film hätte gut und gerne 2016 rauskommen können und selbst dann wäre er kaum wichtig gewesen. Vielleicht hat die Corona-Pandemie und die damit einhergehende Verschiebung um über ein Jahr auch eine Rolle gespielt, doch einen festen Platz im MCU hätte "Black Widow" vermutlich nie gefunden. Einer Fortsetzung bedarf es da wirklich nicht. Nat ist tot und Yelena alleine kann keinen ganzen Film tragen.

"Black Widow" läuft seit dem 08. Juli im Kino und ist ab dem 09. Juli gegen Aufpreis bei Disney+ zu sehen.