Ein Schauspieler, der durch die Darstellung eines Superhelden extrem populär geworden, dessen Ruhm aber inzwischen verblasst ist, will sich mit der Inszenierung eines Theater­stücks als anspruchsvoller Künstler beweisen - und bekommt als Hauptdarsteller in letzter Minute einen egomanischen Hollywoodstar aufgedrückt, der den Unterschied zwischen Rolle und Realität nicht mehr erkennt. Klingt wunderbar selbstreferenziell und ist es auch, vor allem, wenn, wie in Alejandro González Iñárritus "Birdman oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)", Ex-Batman
Michael Keaton und "Fight Club"-Star Edward Norton die beiden Kontrahenten spielen.
TV SPIELFILM Wenn man sich "Birdman" ansieht, kommt man nicht umhin, an Ihren anderen Superhelden mit B zu denken. Wie sehr war Batmans Stimme während des Drehs in Ihrem Kopf?

MICHAEL KEATON
Wenn das tatsächlich so gewesen wäre, hätte man mich gleich einweisen müssen! (lacht) Nein, im Ernst, das passt nicht zu mir und meiner Persönlichkeit. Für mich war es ein großes Glück, damals Batman spielen zu können, aber möglicherweise vielleicht - ich benutze diese Kombination aus "möglicherweise" und "vielleicht" übrigens ganz bewusst - war es ein noch viel größeres Glück, Birdman zu spielen, denn so etwas hat wirklich noch nie jemand zuvor gemacht.
Was macht den Film besonders?

MICHAEL KEATON
Für mich: Weil er extrem schwer zu spielen war und tatsächlich so etwas wie reine Kunst - und das sind zwei Dinge, die ich mag. Ich mag harte Nüsse, die man knacken muss, ich mag Herausforderungen. Und ich möchte zumindest danach streben, dass etwas Kunstvolles daraus wird. Ein paar Mal habe ich schon daneben gelegen, aber ein paar Mal bin ich dem auch ziemlich nahe gekommen.

Wie weit muss die Figur von einem selbst weg sein?

EDWARD NORTON
Ich habe bei Filmcharakteren noch nie die Möglichkeit gesehen, mich selbst als eine Art Referenzpunkt zu nutzen. Wenn man als Schauspieler wirklich Glück hat, bekommt man immer wieder die Gelegenheit, möglichst unterschiedliche Figuren spielen zu können - mein eigenes Leben wäre niemals interessant genug, das zu kompensieren.
Nun spielen Sie in "Birdman" Mike Shiner, ebenfalls ein Schauspieler. Was ändert das?

EDWARD NORTON
Ich wusste sofort, dass ich diese Rolle so entwickeln musste, wie jeden anderen Part. Aber mein erster Referenzpunkt, und hier wird's wirklich komisch, war Alejandro (González Iñárritu, Regisseur) selbst - so ungefähr die Hälfte der Performance, nur ohne mexikanischen Akzent. (lacht) Als ich den Akzent wegließ, hatte ich die Figur. Auch weil ich im Film Alejandros Schal trage und seine Jacke. Ich glaube, dass so ziemlich alles, was aus Shiners Mund kommt, etwas ist, das Alejandro leidenschaftlich umtreibt.

MICHAEL KEATON
Ed hat ja die Theorie, dass alle Figuren, die wir Schauspieler im Film spielen, Versionen von Alejandro sind, und wahrscheinlich stimmt das auch.

Haben Sie ihn gefragt?

EDWARD NORTON
Ich habe gehört, wie er sagte, dass ihm jemand davon erzählt habe, aber das Problem ist nur, dass Alejandro ganz oft vergisst, dass er sich selbst diese Sachen erzählt hat. (lacht)

MICHAEL KEATON Vieles passt natürlich zusammen: Es geht um jemanden, der 50 geworden ist, und was das mit ihm macht, und Alejandro ist vorletztes Jahr 50 geworden. Außerdem hat jeder von uns doch irgendwie einen "Birdman", eine Art negatives Ego oder leise Stimme im Kopf, die kritisiert, lobt oder einfach nur in die falsche Richtung führt.
Und Sie verleihen dieser Stimme auf der Leinwand Gehör?

MICHAEL KEATON
Genau. Ich bin gewissermaßen das Transportgefäß. Alejandro wollte auch etwas über Prominente aussagen und wie die sozialen Medien sich heutzutage auf sie auswirken. Aber hauptsächlich geht es hier doch um die Natur des Menschen und ums Ego, denke ich.

EDWARD NORTON Das glaube ich auch. Dieser Satz, den Shiner im Film sagt: "Popularität ist der schlampige Cousin des Prestige" - so fühlt Alejandro tatsächlich. Seine Leidenschaft und seine Verpflichtung, immer die Wahrheit herausfinden zu wollen, ohne etwas darauf zu geben, was andere Leute darüber denken, das bewundere ich sehr an ihm.

Hatten Sie reale Vorbilder im Kopf für die Rolle des Shiner?

EDWARD NORTON
Als ich jung war, im College und auch später, gab es einige ganz bestimmte Schauspieler in New Yorker Theatern, die später Filmstars wurden, aber damals hauptsächlich dafür berühmt waren, betrunkene Anarchisten zu sein. (lacht) Einen oder zwei von denen - einen ganz besonders - hatte ich in meinem Hinterkopf. Gerade all die Geschichten über das Verhalten hinter der Bühne, das war sehr ähnlich. Das war sozusagen meine eigene, ganz geheime Referenz für die Rolle.
Mr. Keaton, Sie sagten vorhin, Batman sei ein Glücksfall gewesen. In welcher Hinsicht?

MICHAEL KEATON
Durch "Batman" kam ich in die luxuröse Situation, nicht jede Rolle annehmen zu müssen. Nicht, dass ich das nicht auch ohne diesen Erfolg getan hätte, selbst wenn es sich später als Fehler herausgestellt hat. Und das hat es. (lacht)

Mr. Norton, Ihre Figur geht im Film sogar so weit, dass er vorschlägt, eine Sexszene real zu vollziehen. Könnten Sie sich das auch vorstellen?

EDWARD NORTON
Ich weiß gar nicht, ich hab noch nicht so viele gespielt - ich glaube, die Szene, in der ich in "American History X" im Gefängnis vergewaltigt werde, zählt nicht so richtig... Mit Naomi (Watts) habe ich ja schon einige Filme gedreht, sie ist die einzige Person, der ich genug vertrauen würde, aber auf der anderen Seite ist sie immer so albern, dass ich mir das so gar nicht vorstellen kann. (lacht)

Scott Orlin