In Spielbergs Gerichtsdrama spielt der in London geborene Daniel Day-Lewis den 16. US-Präsidenten, Abraham Lincoln. Es ist die erste gemeinsame Arbeit des 66-jährigen Starregisseurs mit dem Schauspieler, der berühmt ist für seine Rollen, die immer besondere Charakterstudien sind.

TV SPIELFILM Daniel, stimmt es, dass Sie am Set als Lincoln angesprochen werden wollten? Wie weit geht diese Identifikation?

DANIEL DAY-LEWIS
Ich weiß, dass ich nicht Abraham Lincoln bin, ich bin ja nicht blöd. Aber eine gewisse Zeit lang habe ich es vorgezogen, nicht auf diese Stimme in meinem Kopf zu hören, die mir sagte, dass ich nicht Lincoln sei. Eigentlich ist es, wie wenn man als Kind gespielt hat, man sei jemand anderes. Einige hörten damit wieder auf, andere nicht.

STEVEN SPIELBERG Daniel ist anders als jeder Schauspieler, mit dem ich je gearbeitet habe. Es heißt immer, er sei so unnahbar und mysteriös, dabei ist er eigentlich ganz offen und dazu ein echter Familienmensch. Sein Arbeitsprozess zeichnet sich vor allem durch Recherche aus. Ich glaube, er hat vorher mehr über Lincoln gelesen als ich.

DANIEL DAY-LEWIS Für mich beginnt es immer mit dem Lesen. In diesem Fall war das Problem, dass ich den Rest dieses Lebens - und des nächsten, so es denn eines gibt - hätte weiterlesen können. Sagen wir so: Ich hatte ein Jahr zur Vorbereitung und habe viel gelesen.
Wann begann Ihre Faszination für die historische Figur Abraham Lincoln?

STEVEN SPIELBERG
Früh. Als ich fünf Jahre alt war, hat mich Onkel Bernard mitgenommen zum Lincoln Memorial in Washington, und ich weiß heute noch, dass mich diese riesige Statue zuerst ziemlich erschreckt hat. Ich konnte gar nicht richtig hinsehen, aber dann blickte ich ihm in die Augen und fühlte mich, ja, sicher. Das habe ich nie vergessen. In der Schule habe ich später Lincoln-Silhouetten aus Papier ausgeschnitten.

Wann war Ihnen klar, dass diese Begeisterung zu einem Film führen würde?

STEVEN SPIELBERG
Viele Jahre bevor Tony (Kushner) dieses brillante Drehbuch schrieb, hatte ich schon einmal versucht, den Bürgerkrieg durch Lincolns Augen zu zeigen. Das Thema war zu gewaltig für einen Kinofilm, vielleicht wäre es als Mini­serie gegangen. Aber ich habe in einigen meiner früheren Filme Verweise auf Lincoln untergebracht, selbst in "Minority Report" schneidet der Junge am Anfang ein Bild von Lincoln aus und lernt die Rede von Gettysburg auswendig. Kleine Dinge, die alle zu diesem Film geführt haben.

Was macht Lincoln so bedeutend?

STEVEN SPIELBERG
Er hat Amerika wiedervereinigt und die Sklaverei abgeschafft. Das macht ihn in meinen Augen zu dem großartigsten Präsidenten, den wir je hatten.

DANIEL DAY-LEWIS Es mag jetzt nach Schleimerei klingen, aber Lincoln wird fortan sicherlich auch einer meiner Helden sein, neben Lord Nelson und Juri Gagarin.
Wie überrascht waren Sie, dass Steven gerade Sie als Lincoln haben wollte?

DANIEL DAY-LEWIS
Die Idee erschien mir zunächst reichlich ausgefallen, jemanden, der im
Südosten Londons aufgewachsen ist, zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika machen zu wollen. (lacht) Ich empfinde immer große Verantwortung gegenüber dem Regisseur, der Story und meinen Kollegen. Am Anfang war ich nicht sicher, ob ich dem gerecht werden könnte, ich hoffte nur, mich nicht zum Idioten zu machen, das mag ich nämlich nicht so.

Was ist die größte Falle, in die man bei einem solchen Film tappen kann?

STEVEN SPIELBERG
Nun, einen Film über die bekanntesten Momente zu machen und Lincoln
völlig unkritisch zum Helden zu verklären. Im Grunde ist dies der erste Film seit "Der junge Mr. Lincoln" mit Henry Fonda aus den 30ern, der auch eine kritische Studie Abraham Lincolns sein soll. Ich wollte den Mann zeigen, nicht das Monument, das gibt es schon. Sein Bild ist auf der Pennymünze und dem Fünfdollarschein, mehr Monumente braucht's nicht.

Sie sagten eben, Daniel sei anders als jeder Schauspieler, mit dem sie gearbeitet haben. Gibt es noch Wunschkandidaten?

STEVEN SPIELBERG
Klar. Ich würde so gern mit Al Pacino und Robert De Niro arbeiten. Und mit Clint (Eastwood). Ich kenne Clint seit 1971, wir sind gute Freunde; wenn er möchte, braucht er mich nur anzuheuern, dann steh ich auf der Matte. (lacht) Und ich will schon immer mit Meryl Streep arbeiten. In meinem Film "A. I. Künstliche Intelligenz" ist sie die Stimme der "blauen Fee", aber das zählt nicht wirklich. Ich finde, sie ist die größte Schauspielerin der letzten vierzig Jahre.

Scott Orlin