Alles an Thomas Müller ist durchschnittlich. Sein Job (Angestellter), seine Größe (1,78 Meter), sein Gewicht (82,4 Kilo), seine Lieblingsfarbe (Blau), seine Leibspeise (Schnitzel mit Pilzsoße), sein Hobby (Fußballgucken). Und genau das ist es, was Herrn Müller für seinen neuen Chef bei "Industries Unlimited" so interessant macht.

Olli Dittrich ist Thomas Müller. Jungregisseur David Dietl hat ihn für seine Komödie König von Deutschland über die Auswüchse von Marketingmechanismen verpflichtet. Passt. Ebenso wie Veronica Ferres als Ehefrau des Jedermanns. Dass Dietl zwei solche Hochkaräter für seinen Hochschulabschlussfilm gewinnen konnte, liegt daran, dass er die Branche von Kindesbeinen an kennt. Sein Vater ist die Kinolegende Helmut Dietl, Veronica Ferres war neun Jahre lang die Frau an dessen Seite und ist somit Exstiefmutter von Dietl junior.

TV SPIELFILM traf den Debütfilmer und seine beiden Stars im Bayerischen Hof in München zum Gespräch.

TV SPIELFILM: Wie normal sind Sie, gemessen am Durchschnittsdeutschen?
VERONICA FERRES Was die Aufstehzeit angeht, bin ich mit 6.30 Uhr bis auf zwölf Minuten nah dran an den durchschnitt­lichen 6.18 Uhr. Im Badezimmer brauche ich allerdings sehr viel weniger als 24,6 Minuten, und auch was die Fernsehzeit angeht, bin ich nicht normal - vier Stunden schaue ich niemals fern am Tag. Und sieben Minuten Sex wären mir viel zu kurz.

OLLI DIETRICH Ich muss gar nicht so viele Details nennen...

VERONICA FERRES (gespielt entsetzt) Habe ich mich jetzt blamiert?

OLLI DIETRICH Überhaupt nicht. Aber erstaunlich ist doch, dass Begriffe wie Durchschnittlichkeit oder Normalität so negativ besetzt sind. Dabei finde ich, dass eine gewisse Routine dem Leben durchaus Stabilität gibt.

Auf welche Routine könnten Sie nie verzichten?

OLLI DIETRICH Die morgendliche Dusche. Kalt übrigens genauso lang wie warm. Da wird die Birne klar. Ich brauche sehr viel Klarheit und Ordnung, und das hat auch damit zu tun, dass man ein ästhetisches Gefühl zu sich selbst hat. Das ist die Basis, um ästhetische Gedanken zu haben.

DAVID DIETL Bei mir ist es ganz anders. Ich folge keiner Routine, und ich brauche die Freiheit und ein Stück weit auch das Chaos, um mich wohlzufühlen.

VERONICA FERRES Mit einem Kind verändert sich das. Unverzichtbar sind mir die gemeinsamen Mahlzeiten mit der Familie. Es gibt jeden Abend ein warmes Essen, dabei findet auf der Eckbank in der Küche das Wesentliche an Gesprächen statt. Diese Strukturen hatte ich früher nicht, sie geben mir in meinem sehr chaotischen, impulsiv-emotional gesteuerten Leben viel Halt, Sicherheit und Klarheit.

Auch Thomas Müller glaubt, sein Leben sei in bester Ordnung.

OLLI DIETRICH Am Anfang des Films kommt eine ver­meintliche Zensusbeauftragte zu ihm, die ihn überraschend nach sehr ex­tre­men Lebenssituationen befragt: Betrügen Sie Ihre Frau? Nehmen Sie Drogen? Er verneint das ganz empört, denn so etwas wäre für ihn unvorstellbar. Thomas Müller ist sehr ordentlich und anständig und fest davon überzeugt, dass er ein geordnetes und glückliches Leben führt. Diese Ausgangssituation nutzt David Dietl und fragt: Was passiert eigentlich, wenn im Leben eines solchen Mannes plötzlich etwas vorfällt, für das er überhaupt kein Handwerkszeug hat?

VERONICA FERRES Aber der Film zeigt auch, dass jemand, der niemals hinterfragt, wie lebe ich eigentlich, ganz tief stürzen kann. Er steckt in seinem Alltagstrott, in einer Tristesse und merkt gar nicht, dass er eine Frau an seiner Seite hat, die sich nichts sehnlicher wünscht, als sich endlich wieder lebendig zu fühlen.

David, Sie haben bei der Recherche offensichtlich viel darüber gelernt, wie man mit Werbung manipulieren kann. Was war Ihre erschreckendste Erkenntnis?

DAVID DIETL Was ich hochinteressant fand, ist das Prinzip der biotischen Beobachtung.

Ah ja - also mir sagt das nix.

DAVID DIETL Der Begriff stammt aus der Ethnologie und bedeutet, jemanden zu beobachten, ohne dass er etwas davon weiß. Es ist die Idealvorstellung der Markt- und Meinungsforschung, einen Probanden zu haben, der sich des Tests, dem er unterzogen wird, nicht bewusst ist. Aber das biotische Beobachten ist erst der Anfang. Hinauslaufen wird es auf Neuromarketing, was nichts anderes ist, als den Wunsch nach einem Produkt im Unterbewusstsein zu implementieren. Darf ich auch mal was fragen?

Na klar.

DAVID DIETL Wonach habt ihr eure Werbepartner ausgewählt?

OLLI DIETRICH Ich habe über die Jahre viele Angebote bekommen, aber nur eine einzige Kampagne zugesagt. Die hat mich vor allem deswegen gereizt, weil sie viel mit dem zu tun hatte, was ich schon seit Jahren mache: mich in möglichst viele verschiedene, komödiantisch überzogene, aber doch archetypische deutsche Menschen zu verwandeln. Das war eine tolle Herausforderung und hat tierischen Spaß gemacht.

VERONICA FERRES In erster Linie muss ich hinter der Philosophie des Unternehmens stehen; mein Beauty- Werbevertrag mit Henkel über Diadermine bezieht mich beispielsweise in die Forschung und Entwicklung mit ein. Und wenn sich die Werbepartner auch noch karitativ für die Kinderorganisationen einsetzen, für die ich mich engagiere, bin ich begeistert. Aber natürlich gibt mir das Honorar auch eine große Unabhängigkeit, Filme wie diesen hier zu unterstützen. Sag mal, hast du eigentlich Gage bekommen?

OLLI DIETRICH Nein, du?

VERONICA FERRES Nö.

DAVID DIETL (lacht) An dieser Stelle also tausend Dank an Henkel und Media Markt.

David, wie kamen Sie darauf, Olli Dittrich als Durchschnitts­deutschen zu besetzen?

DAVID DIETL Olli ist ein fantastischer Verwandlungskünstler, das hat er schon oft bewiesen. Außerdem war mir sehr wichtig, dass man seiner Figur eine große Sympathie entgegenbringt, dass man ihr die Fehler verzeiht und am Ende der Geschichte den großen Ausbruchsversuch gönnt. Dafür war Olli meine erste Wahl.

OLLI DIETRICH Ich bin vollkommen ungeeignet, diese tollen Helden zu spielen, die mit der Knarre irgendwo reingehen und aufräumen. Mich haben immer die tragikomischen Figuren interessiert, die auf den ersten Blick unscheinbar und normal daherkommen, aber oft umso größere Abgründe in sich tragen. Wenn ich ein Drehbuch lese, sehe ich mich sofort herumlaufen in einem dreidimensionalen Bild - oder eben nicht. Bei Thomas Müller gab es schon in der ersten Drehbuchfassung keine Frage, dass das die richtige Rolle für mich ist.

DAVID DIETL Du bist auch gar nicht mehr rausgekommen. Über den kompletten Drehzeitraum warst du nicht Olli Dittrich, sondern Thomas Müller.

OLLI DIETRICH Ich habe ja meist ein visuelles Korsett, eine Maske, die mir auch Halt gibt. Bei den Figuren aus dem "Frühstücksfernsehen" beispielsweise bin ich selbst gar nicht mehr sichtbar. Die spannendste Herausforderung bei "König von Deutschland" war, jemand anderes zu sein, aber mit meiner eigenen Visage aufzutauchen.

David, wie haben Sie Ihre Exstief­mutter dazu bekommen, eine solch biederböse Frau zu spielen?

VERONICA FERRES Ich ken­ne David, seit er elf ist, und habe mich nie als seine Stiefmutter gefühlt, eher als große Schwester. Wir haben zusammen schon viel
Unsinn ausgeheckt.

DAVID DIETL Veronica gilt bei der Mehr­heit der Deutschen als Traumfrau und eben kein bisschen als durchschnittlich. Das ironisch aufzubrechen fand ich ungeheuer spannend, aber natürlich hatte ich Schiss davor,wie sie auf dieses Rollenangebot reagieren würde.

VERONICA FERRES Sabine schließt einen Pakt mit dem Teufel, sie verkauft und demütigt ihren Mann, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie ist äußerlich unattraktiv und charakterlich hässlich. Sie ist schrecklich, unerträglich, aber trotzdem liebe ich diese Rolle so. Ich habe immer zu David gesagt, dass ich fürchterlich Prügel für diese Rolle beziehen werde, aber ich wollte sie trotzdem spielen.

Nicht nur die Frau, auch ihre Klamotten sind ein Albtraum.

VERONICA FERRES Wenn ich eine solche Rolle spiele, drehe ich die Schrau­be immer weiter. Ich will die Haare spießig haben und total biedere Sachen tragen. Wir hatten ja nur ein kleines Budget, also habe ich mir die Klamotten selbst besorgt. Beim Discounter.

Hat man Sie erkannt?

VERONICA FERRES Da gibt's ja keine Bedienung. Nur den Wühltisch. Und die Damen an der Kasse gucken sowieso nicht hin.

Susanne Sturm