TV SPIELFILM Erinnern Sie sich, wo Sie waren, als der Tsuami über Thailand hereinbrach?

EWAN MCGREGOR
Komischerweise nicht. Ich kann mich natürlich erinnern, dass ich in den Nachrichten die Tragödie sah und mir dachte, wie grausam es ist, dass dies gerade an Weihnachten geschieht und so viele Touristen traf, die sich dort mit ihren Familien aufhielten.

Haben Sie die Familie Belon getroffen?

EWAN MCGREGOR
Sie waren fast während der gesamten Dreharbeiten in Thailand. Es war das erste Mal, dass sie zum Ort des Geschehens zurückkehrten - sie hatten es jahrelang gemieden. Wir filmten im Hotel "The Orchid", in dem die Familie damals auch wohnte. Besonders Maria Belon war verständlicherweise sehr gerührt und emotional. Die Kinder sind mittlerweile Teenager und steckten alles viel besser weg. Wir organisierten eine Art Zeremonie am Strand und Maria hielt eine lange Ansprache, in der sie über die Tragödie sprach und sich an all die erinnerte, die ihr Leben lassen mussten. Als sie fertig war, liessen wir chinesische Laternen in den Himmel aufsteigen - und just in diesem Moment brach ein riesiger Wolkenbruch über uns herein und machte alle Laternen kaputt. Einige am Set glaubten, dass unser Dreh verflucht ist.

Haben Sie auch mit anderen Opfern gesprochen?

EWAN MCGREGOR
Klar, denn fast alle der Menschen, die dort leben, haben jemanden verloren. Die Hotelangestellten, die Barbesitzer, die Taxifahrer. Man redet ständig über diesen Tag. Ich sprach auch mit einer britischen Bekannten, deren Mann ums Leben kam. Was mich besonders faszinierte war die blinde Solidarität, die die Opfer beschrieben. Jeder half jedem. Doch dann geschah etwas Merkwürdiges: die Opfer teilten sich in nationale Gruppen auf. Das lag zum einen natürlich an der Sprache, aber auch daran, dass zum Beispiel die britische Botschaft nur den Briten half. Die Franzosen flogen nur ihre eigenen Landsleute zurück. Diese nationale Aufspaltung hat viele Überlebende schockiert. Mich auch.

Haben Sie als vierfacher Vater einen besonderen Bezug zur Geschichte der Belons?

EWAN MCGREGOR
Ich bin seit 16 Jahren Vater, aber ich habe noch nie einen Vater gespielt. In "Nanny McPhee 2" hatte ich zwar Kinder, aber ich musste mich nie tiefer mit der Filmrolle Vater beschäftigen. Man hat als Elternteil unglaubliche Ängste und spürt eine bedingungslose Liebe für seine Kinder. Man würde alles für sie tun. Es ist hart, diese Gefühle auf die Leinwand zu bringen. Deswegen habe ich es auch vermieden, bei den Dreharbeiten an meine eigenen Kinder zu denken - das wäre zu schmerzhaft gewesen. Die Vorbereitungen für diesen Film waren emotional und schmerzhaft genug.
Wie gelang die Zusammenarbeit mit Regisseur Juan Antonio Bayona? Er spricht nicht gut Englisch.

EWAN MCGREGOR
Wir konnten uns verständigen und ich begriff die meiste Zeit, was er von mir wollte. Der größte Unterschied zu einem Hollywood-Film war nicht die Sprache, sondern seine völlig andere Art der Filmemacherei, die mir sehr liegt. Es gab unheimlich viele Diskussionen mit unheimlich vielen Leuten am Set. Man redet stundenlang, bevor man eine Szene dreht. Und die Spanier feiern sehr gerne. Wir verbrachten fast jeden Abend in der Beachbar "Memories". Ich trinke zwar nicht, aber viele Mitglieder des spanischem Teams liessen es hier richtig krachen - wahrscheinlich, weil wir alle einen Gegensatz zum furchtbaren Thema unseres Films brauchten.

Man weiss ja bereits zu Beginn, welche Katastrophe bevorsteht. Worin liegt für Sie die Spannung des Films?

EWAN MCGREGOR
Juan hat ein tolles Gespür dafür, dem Zuschauer die Familie näherzubringen. Bevor der Tsunami über sie hereinbricht, lernt man die fünf in wenigen Szenen so gut kennen, dass man unbedingt möchte, dass sie überleben. All diese Szenen sind unglaublich spannend, weil jedes Geräusch, jede Bewegung, jeder Blickwinkel irgendwie mehr Bedeutung zu haben scheint.
Ich muss zugeben, dass ich mir Sorgen machte, dass dies einer dieser Katastrophen-Movies oder Action-Streifen werden könnte, in dem wahre Begebenheiten einen glitzernden Hollywood-Anstrich bekommen. Ich unterhielt mich oft mit Juan darüber, denn das wollte ich unbedingt vermeiden. Das sind wir den Opfern schuldig. Wir filmten zum Beispiel einige Szenen von einem Kran herunter und ich fand das einfach unpassend und zu heroisch. Aber keine dieser Szenen, bei denen ich Bedenken äußerte, finden sich in der Endfassung wieder und darüber bin ich sehr froh.

Mit Kindern und Tieren soll man nicht drehen, lautet ein alte Film-Weisheit. Sie hatten gleich drei Film-Kinder.

EWAN MCGREGOR
Ich fand es toll. Naomi und ich kennen uns schon länger und sind uns sehr vertraut. Und unsere drei Kinder sind allesamt wunderbare Schauspieler und waren unglaublich: Als wir die Szene filmten, in der die Familie wiedervereint wird, fingen sie wirklich an zu weinen, wie echte Profis. Sie improvisierten auch in vielen der Szenen. Sie wuchsen mir während der Dreharbeiten richtig ans Herz, sassen oft auf meinem Knie und zeigten mir offen ihre Zuneigung. Wir wurden eine Art Ersatz-Familie.

EMI Music

2007 fuhr Ewan McGregor zusammen mit Charley Boorman mit dem Motorrad durch Down Under (auf DVD erhältlich)

Wie bleiben Sie während der langen Dreharbeiten mit ihrer eigenen Familie in Kontakt?

EWAN MCGREGOR
Es kann ganz schön schwierig sein. Wenn ich während der Schulferien arbeite, kommen sie mich besuchen. Und wenn ich einige Tage Drehpause habe, fliege ich zu ihnen zurück. Wir unterhalten uns natürlich oft auf Skype, aber die Zeitverschiebung ist ein echtes Problem. Als wir in Thailand drehten, gab es jeden Tag nur eine einzige Möglichkeit, mit ihnen zu sprechen: gerade dann, als sie sich für die Schule fertig machten. Das war natürlich die schlimmste Zeit des Tages, alle sind gestresst, können ihre Schuhe nicht finden und so fort.

Sie sind für Unicef quer durch die Welt gereist und haben sich zwei mal bei monatelangen Motorradtouren filmen lassen. Planen Sie eine dritte Reise?

EWAN MCGREGOR
Die Arbeit für Unicef ist mir unheimlich wichtig und ich werde sie natürlich weiter unterstützen. Aber will ich wirklich nochmal fünf Monate lang von zuhause weg sein? Momentan nicht, vor allem weil ich ein 14 Monate altes Baby habe. Ich bin schon oft genug wegen meiner Arbeit von meiner Familie getrennt, ich vermisse sie zu sehr.

Interview: Tina Werkmann