Als man ihm die Hauptrolle im neuen "Bourne"-Abenteuer antrug, stand Jeremy Renner gerade in Berlin als grimmscher Märchenheld im schrägen Fantasyreißer "Hänsel und Gretel: Hexenjäger" vor der Kamera. Beim Abendessen mit Produzent Frank Marshall und Regisseur Tony Gilroy ließ er sich "Das Bourne Vermächtnis" dann schmackhaft machen. Die Entscheidung fiel wohl kurz nach dem Dessert.

Der für zwei Oscars nominierte Kalifornier Renner, zuletzt in Blockbustern wie "Mission: Impossible 4" und "Marvel's The Avengers" zu sehen, sagte zu, Marshall und Gilroy hatten im Frühjahr 2011 ihren Hauptdarsteller. Beruhigend, wenn man bedenkt, dass sie gar nicht so lang vorher weder ein Drehbuch, noch einen Schimmer davon hatten, was sie eigentlich drehen wollten.

Die Kamera zeigt von unten einen Mann im Wasser, bewegungslos, dann plötzlich beginnt er zu schwimmen. So endete 2007 "Das Bourne Ultimatum", der dritte Film der erfolgreichen Actionreihe um den Agenten ohne Gedächtnis, Jason Bourne. Die Filme spielten weltweit fast eine Milliarde US-Dollar ein, die Kritik war einhellig begeistert.

Bei solchen Aussichten wollten Studio und Produzent unbedingt weitermachen, nur wie? Erste Gespräche mit "Bourne"-Star Matt Damon und Regisseur Paul Greengrass führten zu nichts. Schließlich wandte man sich an Tony Gilroy, den Drehbuchautor aller drei "Bourne"-Filme, ob er nicht irgendeinen Einfall habe. Gilroy hatte keinen. Aber dann kam er auf die Idee mit der Parallelhandlung - und auf Aaron Cross.

Aus dem gleichen Holz

Die Kamera zeigt von unten einen bewegungslosen Mann im Wasser - so beginnt auch "Das Bourne Vermächtnis", nur ist dieser Mann Aaron Cross (Renner) irgendwo in der Wildnis Alaskas. Zusammen mit anderen Agenten gehört er zu einer geheimen Testreihe, die untersucht, wie Körperkraft per Genmanipulation und Medi­kation verstärkt werden kann. Cross ist aus demselben Holz geschnitzt wie Jason Bourne, der hier nur als Fahndungsfoto auftaucht, aber immer präsent ist.

"Das Bourne Vermächtnis" setzt parallel zu "Das Bour­ne Ultimatum" ein, einige Handlungsstränge aus dem Vorgänger bekommt man noch einmal gezeigt, wenn auch von anderer Seite. Man sieht die Ereignisse gewissermaßen gespiegelt durch die Augen des obersten Puppenspielers, Geheimdienstmann Byer (Edward Norton).

Um die von Bourne entdeckten Probleme mit den CIA-Geheimoperationen Treadstone und Blackbriar endlich in den Griff zu bekommen, lässt Byer die Agenten sämtlicher Programme eliminieren. Nur Cross kann zusammen mit der Wissenschaftlerin Marta (Rachel Weisz) entkommen und wird künftig gejagt, wie Bourne.

Das muss man erst einmal hinkriegen: Eine neue Film­story so raffiniert in die bereits bestehende Geschichte einzuweben, dass neue und alte Aspekte zusammen ein noch klareres Bild ergeben - "Bourne" HD sozusagen. Tony Gilroys Film verlangt vom Zuschauer volle Aufmerksamkeit, nicht nur beim redelastigen Anfang. Schon sein für sieben Oscars nominiertes Regiedebüt "Michael Clayton" fiel eher durch Dialog denn Draufhauen auf. Was nicht heißt, dass hier nicht genug passiert.

Es gibt ganz starke Action, die Motorradjagd durch die überfüllten Straßen von Manila gehört zum atemberaubendsten, was man in den letzten Jahren in diesem Bereich gesehen hat. Und wie geht's weiter? Produzent Frank Marshall hat bereits angedeutet, dass er sich ein gemeinsames Abenteuer mit Jason Bourne und Aaron Cross sehr gut vorstellen kann. Wir uns auch.

Volker Bleeck