Ganz schön hart, die "Heidi"-Neuverfilmung von Alain Gsponer, die das ZDF am ersten Weihnachtstag erstmals im Fernsehen zeigt. Der Alm-Öhi (Bruno Ganz), in seiner Ablehnung fast gewalttätig, lässt seine Enkelin einfach mitten auf der Alm im Gewitter stehen, ihr bleibt nichts anderes übrig, als sich in den Stall zu den Tieren zu retten. Die Tür zur warmen Hütte bleibt zu, die ganze Nacht.

"Als ich den Roman gelesen habe, ist mir aufgefallen, wie stark ‚Heidi‘ auch ein Sozialdrama ist", sagt Regisseur Gsponer. "Es werden tiefe, essenzielle Probleme ­erzählt. Die Geschichte enthält viel mehr als eine romantisierte Welt." Der Film führt Kinder dabei an Grenzen - aber nicht darüber hinaus. Es gibt viel zu sehen - und einiges zu fragen. Warum das so auffällt? Weil diese gute Härte so selten im Kinderfernsehen zu sehen ist.

Kinderfernsehen findet heute vor allem auf Spartenkanälen wie Super RTL, Nickelodeon oder Kika statt, und zunehmend auch auf Netflix oder Sky. Und meistens ist das eine endlose Abfolge computeranimierter Trickformate wie "Paw Patrol", "Ninjago" oder "Micky Maus Wunderhaus", die - zumindest auf dem öffentlich-rechtlichen Kika - garantiert gewaltfrei sind. Das ist schön. Das Pro­blem ist, sie sind auch frei von allem anderen. Wenn ein ruckelig animiertes Streichelhuhn aus Ver­sehen auf den einzigen Baum in einer leeren, digitalen Landschaft geflogen ist und sprechende Hunde es sofort mithilfe von Minihubschraubern retten wie bei "Paw Patrol", dann zeigt das kein wirkliches Problem, bietet keine praktikable Lösung an, wirft keinerlei Fragen auf. Der einzige Bezug dieser Serien zur echten Welt ist die Tatsache, dass man die Figuren als Spielzeug kaufen kann. Für echtes Geld. Kinder können sich das natürlich trotzdem stundenlang ansehen. Unbeschadet, auch im Sinne von unberührt. Das ist für viel beschäftigte Eltern praktisch. Aber irgendwie auch ganz schön wenig.

Schlägt sich hier der allgemeine Trend zur Überbehütung der Kinder nieder? Armin Maiwald, Erfinder der "Sendung mit der Maus" und damit seit fast fünfzig Jahren Kinder-TV-Experte, be­stätigt das und weist auf den Mogel­packungs-Charakter dieser Fürsorge hin: "Man kann seine Kinder nur bis zu einem gewissen Grad behüten. Und falls das sogenannte wirkliche Leben zuschlägt, dann muss man sich mit den Dingen, die da geschehen, auseinandersetzen. Und wenn man das nicht geübt hat, dann hat man dafür keine Werkzeuge."

Gute Filme zeigen unangenehme Situationen im sicheren Rahmen und helfen, diese Werkzeuge zu entwickeln. In der "Maus" gab es schon Sendungen über Fleischproduktion, Atomunfälle und das Sterben.

Timm Thaler: Erwachsener Kinderfilm

"Ich fühlte mich ernst genommen", erinnert sich Drehbuch­autor Alexander Adolph an das Buch "Timm Thaler" von James Krüss, das er als Zehnjähriger las. "Da hat mir jemand seine Sorge mitgeteilt. Der hatte etwas sehr Entscheidendes über die Welt zu sagen, mir schien das eine Begegnung auf Augenhöhe zu sein." Die gruselige, sozialkritische Neu­verfilmung von der Geschichte des Jungen, der sein Lachen verkaufte, läuft ebenfalls Weihnachten zum ersten Mal im TV.

Überhaupt kann man zu Weihnachten nicht über das Kinderprogramm meckern. Vor "Timm Thaler" gibt's Pippi Langstrumpf, zweimal Michel aus Lönneberga und dann Detlev Bucks wun­derbar konfuses "Bibi und Tina: Tohuwabohu total", noch eine Erstausstrahlung.

"Heidi", "Timm Thaler" und auch "Bibi und Tina" sind der Beweis, dass nicht früher alles besser war. Auch nach "Pippi" und "Michel" entstehen noch richtig gute ­Kinderfilme. Das sehen wir auch jedes Jahr, wenn wir uns für unseren Kinderfilmpreis EMIL in den Sichtungsmarathon begeben. Es gibt die guten Sachen - sie sind allerdings oft tief im Programm versteckt.

Früher konnten Kinder verlässlich um 18 Uhr im Ersten in der "Sesamstraße" einen Mix aus lustigen Ernie-und-Bert-Sketchen, Lerninhalten und realistischen Kinderproblemen sehen. Das fehlt heute. Auch die nach wie vor hervorragende "Sendung mit der Maus" wird auf immer schlech­tere Sendeplätze abgedrängt.

Die Fülle guter Kinderfilme zu Weihnachten - sie ist der Annahme geschuldet, dass die Familien dann endlich mal zusammen vor dem Fernseher sitzen. Tatsächlich tun sie das nicht nur an Feier­tagen. Und würden dann gern einen familientauglichen Kinderfilm sehen, der zu Gesprächen ­anregt. Wie wär's?