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Das große Tatort-Special von TV SPIELFILM - News & Stories

"Tatort: Wegwerfmädchen"

Maria, hilf!

Maria Furtwängler engagiert sich - für starke TV-Stoffe ebenso wie für junge Zwangsprostituierte. Bei ihrem neuen "Tatort"-Fall (SO, 16.12.) konnte sie nun beides miteinander verbinden...

Die Kamera zeigt zwei bildhübsche russische Teenager in historischen Kostümen, die sich auf einer Party in Deutschland übermütig die Bäuche mit Hummer vollschlagen. Dazu gibt es Champagner. Am nächsten Morgen wacht die eine von ihnen auf einer Mülldeponie auf. Schwer verletzt, sexuell missbraucht, weggeworfen. Ihre Cousine liegt ein paar Meter weiter in einem Müllsack. Sie hat die Nacht nicht überlebt.

Ein Fall, der Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) an die Nieren geht und den sie in den zwei "Tatort"-Filmen "Wegwerfmädchen" und "Das goldene Band" (ausgestrahlt an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen) zu lösen versucht.

TV SPIELFILM: Seit zehn Jahren ermitteln Sie als kühles Nordlicht Charlotte Lindholm. Dabei hatten Sie als gebürtige Bayerin durchaus mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen, oder?

MARIA FURTWÄNGLER Stimmt. In der ersten Folge habe ich mich regelmäßig mit "Grüß Gott, Charlotte Lindholm hier" gemeldet, was natürlich überhaupt nicht ging. Und dass man sich als Norddeutsche nicht mit "Servus" verabschiedet, habe ich auch erst lernen müssen.

Mittlerweile entwickeln Sie die Stoffe und schreiben auch an den Drehbüchern mit.

MARIA FURTWÄNGLER Regisseure und Autoren wechseln bei fast jeder Folge, Charlotte Lindholm bleibt. Ich glaube, dass ich meine Charlotte über die Jahre sehr gut kennengelernt habe, und wenn ein Buch für mein Gefühl noch nicht stimmt, kann ich ziemlich hartnäckig sein.

Auch dann noch, wenn der Drehbeginn ansteht, die Bücher aber immer noch nicht so gut sind, wie Sie das möchten?

MARIA FURTWÄNGLER Sagen wir mal so: Ich riskiere meine Beliebtheit im Team, weil sich alle auf ein bestimmtes Datum eingestellt und dafür im Zweifel auch andere Projekte abgesagt haben. Wenn sich der Dreh­beginn verschiebt, bringt das ja nicht nur meinen Terminkalender durcheinander.

Die wenigsten Ihrer Kollegen können es sich leisten, so schwierig zu sein.

MARIA FURTWÄNGLER Ich bin da bestimmt in einer privilegierten Situation. Aber ich habe mit der Zeit auch gelernt, meinem Instinkt und meinen Ideen zu vertrauen, und die sind, bei aller Bescheidenheit, zum Teil echt gut. Ich glaube, viele Kollegen haben keine Lust, sich diese Mühe zu machen.

Ab 2013 hat der NDR auch Til Schweiger und Wotan Wilke Möhring im "Tatort"-Einsatz.


MARIA FURTWÄNGLER Auf den "Tatort" mit Til bin ich gespannt. (grinst) Hat er sich nicht gerade umbenannt? Von Tschauder in...?

Tschiller.

MARIA FURTWÄNGLER Genau. Ich habe übrigens aus der Zeitung erfahren, dass Wotan auch in Hannover ermitteln soll.

Fürchten Sie die Konkurrenz?

MARIA FURTWÄNGLER Es besteht jedenfalls nicht die Gefahr, dass man sich auf seinem Erfolg ausruhen kann.

Die aktuelle "Tatort"-Doppelfolge "Wegwerfmädchen" und "Das goldene Band" handelt von Zwangsprostitution. Wie kamen Sie auf diesen Stoff?

MARIA FURTWÄNGLER Nicht ich allein bin darauf gestoßen, es war eine gemeinsame Idee von Redakteur Christian Granderath und mir. Ich hatte einen Bericht in der Zeitung gelesen und bin durch unser Hilfsprojekt auf den Philippinen sensibilisiert für dieses Thema.

Mit "Malisa Home" wollen Sie jungen Prostituierten den Ausstieg ermöglichen und ihnen eine Ausbildung geben.

MARIA FURTWÄNGLER Meine Tochter war im vergangenen Jahr zwei Monate dort und hat mit den Mädchen gelebt und gearbeitet. Die meisten wurden schon als Kleinkinder sexuell missbraucht, vom Vater, Großvater, Bruder, Onkel. Sie werden wie eine Ware behandelt und benutzt.

Weinen Sie über die Geschichten, die Sie dort hören?

MARIA FURTWÄNGLER Die Geschichten sind so schrecklich, dass ich innerlich erstarre. Vor Entsetzen, Abscheu, Wut und Mitleid. Aber was mich wirklich umhaut, ist, wenn diese Mädchen tanzen, lachen und man merkt, dass sie, trotz all der Grausam­keit, die sie erlebt haben, im Kern immer noch Kinder sind, die Spaß haben an Be­wegung, Musik und dem Zusammensein mit Freunden. Wenn ich das sehe, muss ich heulen. Denn wir kommen doch eigentlich alle auf die Welt mit diesem enormen Potenzial, glücklich zu sein und Freude am Leben zu haben.

Susanne Sturm