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Das große Tatort-Special von TV SPIELFILM - News & Stories

"Tatort"-Experimente: Pro und Kontra

Die ARD will die Zahl der Experimental-Tatorte künftig auf zwei pro Jahr reduzieren. Ist das gut oder schlecht?

Der Horror-Tatort "Fürchte dich" aus Frankfurt im Oktober, davor der Münchner Porno-Fall "Hardcore" oder der berüchtigte Impro-"Tatort" "Babbeldasch" in breitester Mundart aus Ludwigshafen: 2017 war das Jahr der ungewöhnlichen "Tatorte". Irgendwann wurde die Experimentierwut den meisten Zuschauern zuviel, jedenfalls verkündete die "Koordination Fernsehfilm" des Ersten im Oktober (wir berichteten), dass künftig pro Jahr nur noch zwei experimentelle "Tatorte", was immer das auch bedeutet, gesendet werden sollen.

Ein Glücksfall für die Zuschauer, die am Sonntagabend einen Krimi erwarten oder eine künstlerische Bankrotterklärung? Der Graben durch Krimi-Deutschland zieht sich auch durch unsere Redaktion...
Pro: Jeder "Tatort", der uns was zu kauen gibt, ist ein guter "Tatort"
Foto: HR, Ulrich Tukur im experimentellen Western-"Tatort" "Im Schmerz geboren".
Der improvisierte Mundart-Tatort "Babbeldasch" kam beim Publikum nicht gut an. Die "Bild"-Zeitung nannte ihn gar den "schlechtesten Tatort aller Zeiten". Künftig, so die ARD-Oberen wolle man sich daher wieder auf die Regeln des Tatort-Erfinders Gunther Witte besinnen, wonach der Tatort ein eindeutiger und dem Realismus verpflichteter Ermittlerkrimi sein sollte. Mit, na gut, zwei Ausnahmen im Jahr.

Das klingt, als würde das überforderte Publikum von einem TV-Experiment in das nächste ­gestoßen werden, als seien die öden "Wo waren Sie gestern Abend?"-Dialoge seltene Ausnahmen, als würde der Tatort als Reihe nicht in einer ganzen Wüste minimalinvasiver Unterhaltungskrimis aus Venedig, Barcelona, Bozen, München stehen.

Wenn in Zukunft die Crazy-Quote ausgeschöpft ist, fallen dann Tukur-Highlights wie "Im Schmerz geboren" (Western) oder "Wer bin ich?" (Film im Film) hinten über? Ist Borowskis "Der stille Gast" noch "überraschend" - was wohl okay wäre - oder schon "Experiment"? Oder ist der Fall um den psychopathischen Wohnungseindringer nach der Ur­definition sowieso schon zu unrealistisch? Jeder Tatort, der sich seiner Leiche auf bisschen andere Art nähert, der nicht alles mundgerecht zerlegt, sondern uns Zuschauern auch noch was zum ­Kauen lässt, ist ein guter Tatort. Selbst wenn man sich mal über ihn ärgert.

Frank Aures
Kontra: Experimente gerne, aber nicht am Sonntagabend
Stellen Sie sich mal vor, Sie schlendern über den Weihnachtsmarkt und möchten eine Bratwurst essen. Sie reihen sich brav in die Schlange am Imbiss ein, bestellen Ihr Würstel, reichen das abgezählte Geld über den Tresen - und erhalten Rührtofu mit Sojadip. Als sie reklamieren, sagt der Mann am Stand, er habe sich erlaubt, Ihre Bestellung zu ändern. Schließlich habe er einen Volkshochschulkurs über vegane Ernährung belegt und wisse ganz genau, was gut für Sie sei.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Tatort. Wir schalten am Sonntagabend Das Erste ein, weil wir einen Krimi sehen wollen. Mit einem spannenden Fall und einem Täter, der am Ende überführt wird, damit wir danach beruhigt einschlafen können. Manchen Regisseuren reicht das nicht. Sie möchten die Formen sprengen und vermischen, ein ­wenig David Lynch spielen und die Identitäten der Personen verwischen wie in "Das Dorf". Ich kann das verstehen. Es wäre schön, wenn das Fernsehen mehr Experimente wagen würde. Aber bitte nicht am Sonntagabend.

Der Krimi eignet sich nur bedingt für formale Innovationen. Wenn das Spektakel wichtiger als der Fall ist, wie jüngst beim Frankfurter Tatort "Fürchte dich", dann schaltet man irgendwann ab. Und fragt sich, warum die skandinavischen Krimis solchen Budenzauber nicht nötig haben.

Rainer Unruh