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Das große Tatort-Special von TV SPIELFILM - News & Stories

Die Tatort-Tipps der "TV Spielfilm"-Redaktion

Unsere Favoriten aus 1000 Tatorten

Wie Millionen Deutsche sitzen auch wir von TV Spielfilm jeden Sonntag abend gespannt vorm Fernseher - nicht nur aus beruflichen Gründen. Zum Anlass des 1000. Tatort präsentieren euch elf Redakteure ihre persönlichen Lieblinge aus fünf Jahrzehnten Tatort-Geschichte. Von den 1970er-Jahren bis heute, von Haferkamp bis Murot, von Hamburg bis München.

Auf der Sonnenseite (26. Oktober 2008)
Ich verstehe bis heute nicht, warum die Hamburg-Reihe mit Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) nach sechs Folgen eingestellt wurde. Skandal eigentlich. Gibt es keinen Fernsehgott? Immerhin gibt es die Grimme-Preis-Jury, die zeichnete gleich die erste Folge aus. Zu recht. Denn an Batu war fast alles neu, und das meiste besser. Er war ein cooler Türke. Kein Kommissar, sondern ein verdeckter Ermittler. Er umarmte die Gefahr und das Scheitern. Er machte keine großen Worte, aber seinen melancholischen Blick kann ich bis heute nicht vergessen. Statt seiner traktiert uns der quotenbesorgte NDR mit Nick Tschiller, der selbsternannten Actiongranate.
Kai Nungesser (*1962)
Das Mädchen von gegenüber (4. Dezember 1977)
Ich weiß nicht mehr genau wann es war, wahrscheinlich irgendwann Ende der 90er-Jahre. In irgendeinem dritten Programm (wahrscheinlich im WDR) liefen Wiederholungen der Haferkamp-Tatorte mit Hansjörg Felmy, dem coolsten Tatort-Ermittler aller Zeiten. Damals war ich kein Tatort-Fan, was sich noch verstärkte als ich sah, was früher in der Reihe möglich war (Krautrock-Soundtrack!). Wer der Täter war, stand meist von Anfang an fest (der "Colombo"-Einfluss!), es gab kaum Privatgeschichten der Ermittler und keine aufgesetzten "relevanten" Themen, die nach dem Film in Talkshows diskutiert wurden, wie es heute so oft geschieht. Dennoch, oder gerade deswegen, erzählten die Filme viel vom Leben in der alten Bundesrepublik.

Meine Lieblings-Haferkamp-Folge ist "Das Mädchen von Gegenüber" mit Jürgen Prochnow als Lehrer, der ein Verhältnis mit einer Schülerin hat, in die auch ihr Nachbar, der 15-jährige Kalle verliebt ist. "Das Mädchen von gegenüber" ist eher eine klassische Tragödie als ein Krimi, mit jazzigem Soundtrack und einer Atmosphäre, die an die New-Hollywood-Filme der 70er erinnerten. Die bedrückenden, aber poetischen Bildern des einsamen Kalle, der auf seinem Fahrrad durch Essen streift, haben mich nachhaltig beeindruckt.
Sebastian Milpetz (*1982)
Reifezeugnis (29. März 1977)
Bin ja kein Tatort-Fan, aber "Reifezeugnis" von 1977 ist mir in bleibender Erinnerung. Als 13-Jährige fand ich den Fall (Lehrer-Schülerin-Affäre, Vergewaltigung) natürlich unerhört spannend. Und die damals 16-jährige Nastassja Kinski wurde über Jahre zu einem Idol.
Karin Steffen (*1963)
Wer bin ich? (27. Dezember 2015)
Ich mag Doppelbödigkeiten, gelungene Genre-Mixes und bissige Seitenhiebe. All das vereint "Wer bin ich?" mit Ulrich Tukur in einer schizophrenen Doppelrolle als Felix Murot und Ulrich Tukur mit Leichtigkeit und ganz viel Herzenslust. Mit der Kunstform "Film im Film" beweisen die Hessen wieder einmal, dass sie mutig genug sind, die Grenzen des Sonntagskrimis auszuloten. Neben dieser humoristischen Abrechnung mit der Tatort-Mischpoke verblassen die Folgen des ach so witzigen Münsteraner Teams zu handzahmer Jux und Tollerei. Ganz nebenbei spielt Martin Wuttke grandios sich selbst, von dem ich großer Fan bin, seitdem ich ihn im Berliner Ensemble zweimal (!) als Arturo Ui bestaunt habe. Quentin Tarantino muss es ähnlich gegangen sein: Kurz danach besetzte er ihn als Adolf Hitler für seine Kriegsgroteske "Inglourious Bastards".
Steven Sowa (*1990)
Wat Recht is, mutt Recht blieben (2. Mai 1982)
"Wat Recht is, mutt Recht blieben" war der einzige Fall für Charakterdarsteller (so nennt man die, die nicht hübsch genug sind) Uwe Dallmeier als Kommissar Nikolaus Schnoor. Der nimmt sich mit seinen Ermittlungen ungefähr so viel Zeit wie der Film mit seinen Einstellungen, in denen gern mal eine Bahnschranke in Echtzeit hochgekurbelt wird. Geschwiegen wird viel, geredet wenig, und wenn, dann platt (hochdeutsch untertitelt). Irgendwie geht es um einen toten Segler aus Hamburg und um Rauschgift, aber das ist eigentlich eher egal.

Die Vorlage stammt übrigens von Boy Lornsen, dem Schöpfer des Kinderbuchklassikers "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt", der darin seine Figuren Findteisen, Peter Paul Obenauf und "der glückliche Matthias" nannte. Hier heißen sie Mühlensiepen, Burmeester und Hansen. Auch schön: der sehr reduzierte Mundharmonika-Score.
Wiederholt wurde der Film bislang eher selten, was auch daran liegen kann, dass er nur rund 75 Minuten lang ist. Ich hab ihn vor Jahren über einen Kollegen entdeckt, der ihn mir auf VHS-Kassette (!) auslieh. Danke, Gerald!
Volker Bleeck (*1966)
Eine bessere Welt (8. Mai 2011)
In dem ersten Fall des Hessenduos Joachim Król und Nina Kunzendorf erzeugt Justus Dohnanyi als gefährlicher Stalker, der Rache für seinen verunglückten Sohn nehmen will, stille Spannung. Mich hat das neue Ermittlerduo begeistert. Joachim Król ist der zynische Einsiedler (mit Alkoholproblem, wie sich später herausstellt) Frank Steier, Nina Kunzendorf die offene und offenherzig gestylte neue Kollegin Connie Mey. Mit Lederjacke und Cowboyboots , geradeheraus, emanzipiert, engagiert, gab sie in jedem Sinne eine tolle Figur ab. Leider blieben die beiden nur fünf Folgen zusammen, dann war Schluss. Schade schade!
Bärbel Steinberg
Strandgut (25. Juni 1972)
Täter und ihr Köder: Rolf Zacher, Ingeborg Schöner und Dieter Kirchlechner in "Tatort: Strandgut"
"In jeder Welle hängt ein nackter Arsch", soll Schauspielerin Romy Schneider mal in den 70ern über die Zustände auf Sylt gestöhnt haben. Andere fanden's schick und so kommt die Ferien- und Promi-Insel in diesem frühen Wolfgang Petersen-Krimi auch ziemlich locker rüber. In den Dünen machen sich Manuela oder Christa nackig und locken angejährte Geschäftsleute in die Fotofalle. Mit den Schnappschüssen werden diese anschließend schäbigst erpresst. Es kommt noch schlimmer, und Kommissar Finke ermittelt undercover sogar mal in Badehose.
Enthemmtes Seventies-Flair, ein supermieses Schurken-Duo (Rolf Zacher, Dieter Kirchlechner), die Euro-Beauties Ingeborg Schöner und Heidy Bohlen, ein raffinierter Plot...

"Strandgut" hat nicht den legendären Ruf des Nasty Kinski-Kults " Reifezeugnis", mit dem Petersen und Autor Lichtenfeld fünf Jahre später die Nation aufwühlten, aber in Sachen Spannung, Schauwert und Nostalgie kommt dieser Nordsee-Thrill sogar etwas flotter und unterhaltsamer daher; auch dank eines hier nicht ganz so melancholisch-eingetrübten und zu Scherzen aufgelegten Ermittlers. Selbst das Geplänkel zwischen Küsten-Columbo Klaus Schwarzkopf und seinem Assi Messner (Wolf Roth) kommt in ihrem zweiten Fall schön unverkrampft daher. Muss an der Sylter Sonne gelegen haben...
Heiko Schneider (*1964)
Der tiefe Schlaf (30. Dezember 2012)
Dauerthema der Münchner: Sie bekommen einen neuen Assi, müssen aus ihrer eingefahrenen Zweierkiste raus und das beste draus machen. An dem übereifrigen Profiler Engelhardt (Fabian Hinrichs) beißen sich die beiden Silberlinge die Zähne aus. Der Technikfreak vereint alle Charakterzüge eines neuen Typs Kommissar, den Batic und Leitmayr hassen. Genial, wie die Figurenkonstellation das Thema mal humorvoll, aber auch überaus dramatisch rüberbringt. Genauso genial durchzieht das Grundmotiv einer Tätersuche ohne Phantombild den Fall. Alles, was die Kommissare haben, ist das Räuspern des Mörders auf einem Band. Ganz subtil spielen störende Geräusche und akustische Hinweise oder Ablenkungen während der Ermittlungen eine wichtige Rolle. Passend dazu übernimmt in manchen Sequenzen die Stille.

Beeindruckend spielt der Fall mit filmischen Mitteln, die im herkömmlichen Krimi längst aufgegeben oder zugunsten der vom Zuschauer gelernten Dauerbeschallung aufgegeben sind. Kann man immer wieder sehen und hören, wird man immer wieder Neues drin entdecken. Ein Fall für hellwache Zuschauer. Das mag ich.
Martina Kalweit (*1964)
Das Mädchen auf der Treppe (27. Juni 1982)
Ob dieser Schimanski-Fall mein erster "Tatort" war, weiß ich nicht mehr, aber es war der erste, der mich nachhaltig beeindruckt hat. Ich war damals 11, und wie dieser Typ kompromisslos und gegen jede Konvention nach der Wahrheit suchte, dabei trotz Macho- und Prollattitüde seine menschlichen Züge nie ganz verbergen konnte - so etwas hatte ich noch nie gesehen. Dazu kam diese fast schon depressive Winterkulisse - und die kühle Elektromusik von Tangerine Dream, bis heute einer der besten "Tatort"-Soundtracks überhaupt.

Vielleicht war's ein Fehler meiner Eltern, mich damals zuschauen zu lassen. Jedenfalls war ich seither für andere "Tatort"-Kommissare verdorben. Wenn "Tatort", dann Schimanski - und jetzt eben gar keinen mehr. Fast konsequent also, dass die ARD in späteren Jahren die Schimanski-Fälle als eigenständige Reihe laufen ließ. Und beeindruckend, wie überzeugend Götz George auch jenseits der 70 dieses polternd-cholerische Raubein mit Herz gab. Der Mann ist sich immer treu geblieben - ob vor oder hinter der Kamera. Kann man mit mehr Würde altern?
Peter Roether (*1970)
Frau Bu lacht (26. November 1995)
In meiner Studenten-WG versammelten wir uns in den 1990ern einmal die Woche vorm Fernseher, um uns die Wiederaufführungen der Krimihits der Altvorderen anzuschauen, alte Folgen von "Der Kommissar" oder "Derrick", über deren Unbeholfenheit und geistig-moralischen Starrsinn wir uns schlapp lachten. Uns war klar, dass angesichts der entsicherten Vollstussmaschine Fernsehen geistige Hygiene nur mithilfe ironischer Distanz aufrecht erhalten werden konnte - und auch die "Tatort"-Folgen wurden mit spöttischen Kommentaren bedacht.

Und dann lieferte Dominik Graf plötzlich diese eine "Tatort"-Folge ab, die einfach nur großartig war, deren lockere, kluge, selbstbewusste Inszenierung aus einer besseren TV-Zukunft zu kommen schien. So komisch, überraschend und präzise, dass die Inszenierung selbst die Rückständigkeit des flügellahmen Fernsehens drumherum entlarvte. Bis heute: Respekt!
Holger Lübkemann (*1968)
Väter (30. November 2003)
Es war 2003, als im neuen Tatort aus Kiel eine geheimnisvolle Frau zu Kommissar Borowski ins Revier kam: Psychologin Frida Jung, gespielt von der wunderbaren Theaterschauspielerin Maren Eggert (damals am Thalia Theater in Hamburg), die kurz darauf auch in Claudia Gardes TV-Drama "Die Frau am Ende der Straße" für Furore sorgte. 2009 ist Maren Eggert ins Ensemble des Deutschen Theater Berlin gewechselt, Frida Jung hat zeitgleich den Dienst quittiert, kam aber im vergangenen Jahr für die Folge "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" zurück - um endgültig "adieu" zu sagen. Schauspielerin Maren Eggert ist heute zuvorderst auf der Bühne zu bewundern - und im Youtube-Clip zum Erdmöbel-Song "Lametta". Unbedingt anschauen!
Heiko Schulze