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Das große Tatort-Special - Kolumne

Tatort-Jubiläum

Bunter Kessel an Tatmotiven

TV-Kritik: Der offiziell 750. Tatort war spannend und engagiert, allerdings klapperte es wieder einmal bei der Recherche.

(TV-Kritik, 28.12.2009) TATORT: ALTLASTEN Da können die Tatort-Fanatiker streiten, ob dieser Film wirklich das 750. Jubiläum der Krimireihe ist, oder ob man nicht noch die 13 ORF-Tatorte dazuzählen muss, die außerhalb der Alpen nicht ausgestrahlt wurden. Dann wäre man nämlich bei Nummer 763 und dieser TV-Krimi mit den Stuttgarter Ermittlern wäre nur einer unter vielen.Betrachtet man die Qualität des "Tatort: Altlasten" muss man sagen, dass es in vielerlei Hinsicht ein würdiger Festbeitrag war, weil in 88 Minuten wiederum die Stärken und die Schwächen der Reihe aufgedeckt wurden.

Der gemeine Zuschauer liebt den Tatort wegen der recht bunten Charaktere der Ermittler. In diesem Fall sind das Richy Müller als Kriminalhauptkommissar Thorsten Lannert und Felix Klare als Kriminalhauptkommissar Sebastian Bootz. Lannert hat ein schweres Schicksal erlitten (Frau und Kind verloren), was den Sportwagenfahrer zum Großmeister der Empathie macht. Klare gehört zu den wenigen Tatort-Kommissaren mit heiler Familie inklusive furchtbarer Schwiegermutter.

In den Fall wurde alles hineingepackt, was einen guten Tatort auszeichnen soll. Spitzenmordverdächtigenpersonal wie Andreas Schmidt, eindrucksvoll spielende Kinder und jede Menge gesellschaftliche und persönliche Probleme, die vom Leben mit einem Kind mit Trisomie 21, Alzheimer, Krebs, Überlastung von pflegenden Angehörigen, lebensuntüchtigen Kindern, Moralfragen unter Juristen bis hin zur Zweiklassenmedizin reichten. Zumindest bei dieser gesellschaftlichen Anklage der unterschiedlichen Behandlung von Privat- und Kassenpatienten hat die Redaktion mal wieder in bester Tatort-Manier geschlampt, was auch zu einem Jubiläum passt. Denn der Getötete war freiberuflicher Jurist, bewohnte eine Bauhaus-Villa und war so reich, dass es ein Tatmotiv hätte darstellen können. Es ist also vollkommen ausgeschlossen, dass er gesetzlich versichert war. Als Privatversicherter unterliegt er nicht der Medikamentenlimitierung der Kassenpatienten, also hätte der Arzt nichts davon ihn zu vergiften, um Kosten zu sparen. Da hätte es der Redaktion vielleicht mal gut getan, sich die hervorragenden ARD-Reportagen zu diesem Thema anzusehen. Für viele Experten liegt das Problem der Finanzierung der Krankenkassen darin, dass Reiche (Juristen und Politiker) pflichtversichert sind.

Trotz dieses bunten Kessels an Tatmotiven entwickelte sich ein recht spannender Tatort mit unerwarteter Auflösung, weil die Themen Altwerden, Krankheit und Verlust anrührend genug waren und Richy Müller als Thorstan Lannert auf einmal Seelsorgerqualitäten zeigte. Da freut man sich auf weitere 750 Fälle und denkt schwer darüber nach, wie alt man dann bei der Ausstrahlung ist.

Kai Rehländer