Das Leben ist teuer geworden. Wie teuer Lebensmittel sind, spürt jeder, der in diesen Zeiten einkaufen geht – also: jeder. Da hat das ZDF seine Dokumentation "Lidl: Die Insider" geschickt platziert. "Verkaufstricks beim Discounter-Riesen" offenzulegen, verspricht der Sender. Die ZDF-Dokumentation startet damit, dass der Zuschauer zusieht, wie Maskenbildner die Kronzeugen auf Unkenntlichkeit trimmen. Die Angst vor rechtlichen Folgen ist groß, offensichtlich.
Deutschlands erfolgreichster Discounter
Tatsächlich ist Lidl der "Riese". Deutschlands erfolgreichster Discounter beschäftigt allein hierzulande 91.000 Angestellte in 3.200 Filialen. Mehr als 100 Milliarden Umsatz jährlich erwirtschaften die 11.550 Filialen in 32 Ländern weltweit. Das ist, sagen wir es einmal wertneutral, eine Erfolgsgeschichte. Den Erfolg macht aus, dass offensichtlich viele Deutsche gerne bei Lidl einkaufen. Gezwungen wird dazu keiner. Da verblüfft an allerlei Stellen der anklägerische Ton, für den sich die öffentlich-rechtliche Dokumentation entscheidet.
So geheim sind die Verführer schon lange nicht mehr
Beginnen wir am Anfang. Die Einkaufswagen? Extra groß. Eigens so gebaut, dass die Ware in Richtung Schiebegriff rutscht – und damit möglichst aus dem Blickfeld. Kleinere Einkaufskörbe für den schnellen Einkauf? Gab es wohl einige Zeit. Dann seien sie zurückgefordert worden in die Zentrale, erfährt der Zuschauer. Auf Nachfragen von Kunden habe man zur Antwort geben sollen, dass zu viele gestohlen worden seien. Spürbar soll die Menge des Einkaufs erst werden, wenn es zu spät ist: an der Kasse, beim Griff in die Geldbörse. Solche strategische Planung im Supermarkt kennt man allerdings. Die ist schon im Marketing-Klassiker "Die geheimen Verführer" offengelegt. Das Buch ist von 1957.
Der ganz spezielle Preis-Trick bei Lidl
Die Auflistung der Lidl-Tricks ist wohl nicht falsch. Aber doch auch von anderen Supermärkten ganz ähnlich bekannt. Als Spezialität von Lidl stellt das ZDF die Anbringung der Preisschilder dar. Die Preise stehen oberhalb der Waren am Regal – anders, so heißt es, als bei den Mitbewerbern im Markt. Demnach wird also mit günstigen Preisen gelockt, um allenfalls auf den zweiten Blick offenzulegen, was tatsächlich verlangt wird. Das klingt nach Raffinesse. Und doch ist wahrscheinlich, dass zumindest Stammkunden nicht dauerhaft getäuscht ins Regal greifen.
"Das Phantom" – gar nicht so übel
Das Anklägerische im Ton der Doku verblüfft immer wieder. Dass Bananen grün eingekauft werden, verschifft und pünktlich zum Verkauf punktgenau künstlich gereift? Das wird wohl bei vielen Händlern so sein. Da ist Lidl, gestartet als "Südfrüchtehandel", kein Einzelfall. Im Jahr 1930 stieg der Heilbronner Kaufmann Josef Schwarz als persönlich haftender Gesellschafter ein. Sohn Dieter eröffnete 1973 die erste Discounter-Filiale. Diesen Dieter Schwarz nennt das ZDF "ein Phantom". Deutschlands mit 64 Milliarden Euro Vermögen angeblich reichster Mann Deutschlands plaudert nicht in Interviews. Es gibt keine Fotos von ihm. Kein Mitarbeiter kennt ihn. Unerkannt besucht er Filialen. Und lässt, wie einer der Insider berichtet, auch schon mal ein Lob ausrichten. Da wirkt "das Phantom" gar nicht so übel. Sondern eher wie ein vermögender Mensch, der vernünftigerweise in der Öffentlichkeit nicht zu sichtbar werden will. Deutschland hatte ja schon Entführungen in den Familien anderer Reicher zu beklagen.
Ein "Duft-Zwilling" ist auch dufte
Die ZDF-Dokumentation tut sich schwer, den anklägerischen Ton durch echte Vorwürfe zu stützen. Dass Lidl Markenprodukte nachbildet oder von Markenherstellern aufkauft und unter einem ähnlichen Namen billiger verkauft? Davon können Kunden profitieren. Dass ein Parfum, das im Original 90 Euro kostet, hier zu fünf Euro mit etwas weniger Haftbeständigkeit auf der Haut verkauft wird? Für den Käufer ist so ein "Duft-Zwilling" dufte. Dass verstärkt Bio-Produkte angeboten werden, die aber möglichst wenig kosten sollen? Das ist wohl das Interesse der Kundschaft. Wenn Lidl vorsätzlich möglicherweise die strengen "Bioland"-Siegel vermischt mit dem weicheren "Bio-Organic"-Siegel, dann gibt das dem Käufer ein gutes Gefühl für weniger Geld.
"Die Leute ein bisschen verarschen…"
"Absolutes Bio-Washing", schimpft eine der anonymisierten Kronzeuginnen unter ihrer Latex-Maske. Und die ehemalige Mitarbeiterin fügt hinzu: "Ich hatte schon das Gefühl, die Leute so ein bisschen zu verarschen." Ähnlich verhält sich das mit der aufgedruckten "Haltungsform". Stufe 1 entspricht den gesetzlichen Mindeststandards. Stufe 2? Die ZDF-Dokumentation zeigt das sehr schön am Beispiel von Hühnern. Da drängen sich dann pro Quadratmeter nur mehr 23 Tiere, also drei weniger. Dafür bekommen sie noch einen "Hackstein" als Bonusleistung. Dass Stufe 3 oder 4 für Tierwohl die bessere Wahl wäre? Das dürfte jeder Käufer auch ohne Fernsehdokumentation selbst erkennen können. Aber manches will der Kunde wohl lieber nicht so genau wissen. Vor allem in Zeiten, wenn ohnehin alles teurer und zu teuer wird. Schuld? Sind, wie so oft, wir Konsumenten.
Von FOCUS-Online-Autor Josef Seitz
Der Artikel ZDF-Doku über Lidl enthüllt die Verkauftricks - und erhebt Vorwürfe wird veröffentlicht von FOCUS online.