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WDR vs. Somuncu

Serdar Somuncu, der (geniale) Wüterich

2016 war es die Causa Böhmermann, welche die Nation spaltete. Jetzt ist es Comedian Serdar Somuncu, der polarisiert und schwere Vorwürfe erhebt. Doch wer ist dieser Mann eigentlich? Ein Annäherungsversuch.

Zurzeit kursiert ein Video mit dem Titel "Serdar Somuncu - Die Wahrheit über uns und unsere Gesellschaft!" in den sozialen Netzwerken. Im Duktus verschwörungstheoretischer Erklärvideos aus dem rechten Spektrum beginnt der gut fünfminütige Clip mit schwarz-weißen Schreckensbildern aus Kriegsgebieten, eingeblendeten Schrifttafeln und vor Pathos triefenden Pianotönen. Danach wird jedoch relativ schnell klar: Das hier ist alles andere als rechte Propaganda. Es ist ein Videoausschnitt von Serdar Somuncus aktueller Show "H2 Universe - Die Machtergreifung" mit dem Untertitel "Der Hassias kommt zurück! Bist du bereit?", der von einem Fan auf die Video-Plattform Youtube geladen wurde.

Serdar Somuncu ist ein 47-jähriger Kabarettist, Satiriker und vor allem: ein Wüterich. Der in Istanbul geborene Deutsch-Türke ist bekannt geworden, weil er durch Deutschland tourte, aus Hitlers "Mein Kampf" vorlas und Textstellen bissig kommentierte. Rechte stürmten seine Veranstaltungen, er trat unter Polizeischutz auf, trug eine kugelsichere Weste während seiner Vorstellungen und ließ sich trotz aller Widrigkeiten nicht den Mund verbieten. Seine Waffe: rohe Rhetorik.

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Sein steter Begleiter: der Korrekturstift
Diese unvergleichlich schnörkellose Sprachgewalt machte ihn berühmt, und berüchtigt. Im Juni 2008 startete Somuncu eine Youtube-Show mit dem Titel "Hatenight", in der er scharfzüngig aktuelle Themen kommentierte. Doch das Videoportal ließ im Juni 2009 aus inhaltlichen Gründen den kompletten Kanal sperren. Der politisch engagierte Künstler, Ende 2016 trat er "Die Partei" von Satiriker Martin Sonneborn bei, wechselte mit seinem Format zu Sevenload, wo ebenfalls nach wenigen Monaten bekanntgegeben wurde, dass die Sendung aus rechtlicher Sicht eingestellt werden müsse. Somuncu warf den Betreibern Zensur vor und erzwang, dass die Videoreihe, zwar sehr verkürzt und entschärft, weiterproduziert wurde.

Zensurvorwürfe, derer sich aktuell der WDR erwehren muss, weil Somuncu wegen eines gekürzten Beitrags in der Caroline Kebekus Sendung "PussyTerror TV" seine künstlerische Freiheit eingeschränkt sieht. In seinem knapp fünfminütigen Kommentar finden sich Passagen wie:

"Im Namen aller frustrierten Gebührenzahler gegen die Infamisierung des Abendprogramms und der hassistischen Befreiungsfront erkläre ich mit sofortiger Wirkung meine Machtübernahme. Ich habe das Studio der Flachpfeife Grobian gekapert samt Standleitungen zu mitteilungsbedürftigen Mettfickern und meinem Schwanz in der Hand."

Vulgärer Sprachwitz paart sich schonungslos mit den plumpen rhetorischen Klischees der rechten Szene. Der WDR kürzte das Stück auf eine Minute und sendete es trotz vehementen Einwands des Künstlers.
Bauerfeind assistiert...Serdar Somuncu
"Keimzelle des Faschismus"
Doch dem nicht genug: Nun geht die zuständige Fernsehredakteurin des WDR gegen den Kölner Satiriker mit einer Unterlassungsklage vor. Auf einer schon im November 2015 stattgefundenen Podiumsveranstaltung der Körber-Stiftung hat Somuncu in Richtung eben dieser Redakteurin und des WDR im Allgemeinen erklärt: "Diese Arschlöcher nehmen sich, im Namen der Gebührenzahler, raus, zu zensieren. Und das war für mich die Keimzelle des Faschismus."

Daraufhin erklärte der WDR, es gebe bei seinen Sendungen keine Zensur, nur "Entscheidungen auf der Grundlage redaktioneller Programmgrundsätze". Der Kölner Regionalsender werde seine Mitarbeiterin juristisch unterstützen. Man dulde nicht, "dass unsere Mitarbeiterin öffentlich als 'Keimzelle des Faschismus' oder 'Arschloch' bezeichnet wird". Somuncu reagierte darauf salopp mit der Wortschöpfung "WDRdogan". So weit, so unübersichtlich. Vor allem da der WDR den streitbaren Kopf auch nach der "PussyTerror TV"-Sendung weiter buchte, u.a. für Plasbergs Polittalk "hart aber fair".

Wie der Streit beigelegt werden könnte, ist bislang nicht absehbar. Täglich werden neue Vorwürfe erhoben. So äußerte sich Somuncu erst gestern gegenüber Spiegel Online mit diesem Vorschlag:

"Der WDR, der behauptet, es gäbe keine Zensur, könnte seinem reinen Gewissen Ausdruck verleihen, indem er den genannten Ausschnitt sowohl im Original als auch in der geänderten TV-Fassung öffentlich zugänglich macht."
Mal mehr, mal weniger virtuos
Seitdem Serdar Somuncu sich medienwirksam künstlerisch betätigt, polarisiert er. Hat er einen guten Tag, dann führt er in einem virtuos unappetitlichen Beschimpfungs-Crossover unterschiedliche Techniken des Hasses vor und entlarvt sie. Frei nach seinem Motto: "Jede Minderheit hat es verdient, beleidigt zu werden." Hat der Comedian einen schlechten Tag, bleibt es bei stumpfen unappetitlichen Beschimpfungen in alle Richtungen.

Das war schon zu Zeiten der Late-Night-Show "Neo Paradise" so, als er in der Kategorie "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" beleidigte, geiferte und fluchte. Das ist aktuell so, wenn er als Kommentator bei der ZDF-Satiresendung "heute-show" zu sehen ist und in obszöne Schimpftiraden entgleist. Und es ist davon auszugehen, dass es so bleiben wird. Ob auf kleinen Stand-up-Bühnen, bei ProSieben oder eben im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Der Wüterich in ihm ist Teil seiner künstlerischen Identität - eine Identität, die neben aller Ausrutscher, oft genug genialen Wahnsinn produziert.

Autor: Steven Sowa