Tor in Verona! Kommentator Carsten Fuß und sein Experte Massimo Morales gehen in Sprecherkabine 1 aus dem Sattel. Die Entscheidung zwischen den Lokalrivalen Hellas und Chievo im italienischen Pokal fällt im Elfmeterschießen. Die sich überschlagenden Stimmen sind selbst ein paar Schritte den Flur runter in der "Gallery" gut zu hören. Gallery nennt sich die ­Regie, wo die Vorbereitungen für das Premier-League-Spiel Stoke City - Liverpool laufen. Dann heißt es: Tür zu und volle Konzentration. Gleich wird Moderator Alex Schlüter aus ­einer weiteren Kommentatorenbox die Vorberichterstattung übernehmen. An seiner Seite: Exprofi Moritz Volz, der lange Zeit in England unter Vertrag stand, unter anderem beim FC Fulham. Auf dem Weg zu Schlüter läuft Volz Benny Lauth über den Weg, früher unter anderem für den HSV in der Bundesliga aktiv. "Hallo, Benny, bist du durch für heute?" - "Nee, ich mach um 21.30 Uhr Copa del Rey, Atlético gegen Elche."

Willkommen in Deutschlands größter TV-Sport-Fabrik DAZN. ­Allein an diesem Mittwoch laufen Bilder von zwölf Fußballspielen aus Serbien, Italien, Spanien und England im Production Control Room (PCR) auf, dazu das NBA-Duell zwischen den Minnesota Timberwolves und den Washington Wizards. An Wochenenden sind es zwanzig und mehr Feeds, die hier verarbeitet ­werden, bis zu 25 davon parallel. 8000 Live-Events pro Jahr verspricht die Plattform ihren Abonnenten, derzeit besitzt das Tochterunternehmen der britischen Perform Group Übertragungsrechte in 16 Sportarten.

DAZN will mehr als eine reine Streamingplattform sein

Das Tempo, das DAZN vorlegt, seit der Dienst vor rund anderthalb Jahren an den Start ging, ist atemberaubend. Seit Beginn dieser Saison laufen bereits 40 Minuten nach dem Abpfiff Highlightclips aus der Fußballbundesliga. Ab der kommenden Spielzeit teilt man sich dann mit Sky die Übertragungsrechte für die UEFA Cham­pions League und zeigt die Spiele der Europa League. Auch die Formel 1 könnte schon ab 2018 auf der Plattform ihre Runden drehen.

Als reiner Live-Streamingsender versteht sich DAZN dennoch nicht. "Wir wollen möglichst viele Inhalte selbst generieren, die wir an unsere Partner liefern können", erläutert Chefredakteur Michael Bracher. Partner, das sind unter anderem weitere Perform-Töchter wie Spox oder Goal, aber auch "Kicker", "Bild" und Sport1. Bei DAZN selbst gehören ­Features, ­etwa über den Ex-Bremer Marko Ar­nautovic, und Spieltagszusammen­fassungen wie "Matchday" hinter Livefußball schon jetzt zu den meistkonsumierten Angeboten. Abrufzahlen mag Bracher nicht nennen. Stattdessen präsentiert er nicht ohne Stolz die gerade erweiterten DAZN-Räumlichkeiten in Ismaning. Sogar eine schmucke Küche mit zwei XXL-Espressomaschinen gibt es jetzt. Aber der Wachstumskurs von DAZN lässt sich auch anders dokumentieren. Über 170 Mitarbeiter, etwa 50 davon in der Redaktion, hat Brachers Team mittlerweile.

Viele von ihnen waren schon dabei, als die Plattform 2016 vor der Markteinführung nur im Testbetrieb lief. "Mein erstes Spiel war Tottenham gegen Juventus im International Champions Cup", erinnert sich Experte Volz an die Anfänge. "Es war ein Spiel, bei dem ich viel zu viel gesprochen habe. Vielleicht auch aus dem Gefühl heraus: Okay, du bist selbst Teil der Testphase. Wenn du jetzt hier hockst und nichts sagst, dann kommst du auch nicht wieder." Volz lacht. Er hat die Phase als ­"extrem spannend" in Erinnerung. Von einigen Kommentatoren kannte er vorher zwar die Stimme, aber persönlich getroffen hat er sie dann um drei Uhr nachts in einem kargen Kommentatorenkabuff in Ismaning. "Anfangs saß man gefühlt jedes Mal mit einem anderen Kommen­tator vor den Monitoren und hat sich ausprobiert." So konnte im Lauf der Tests das vielleicht wichtigste Alleinstellungsmerkmal von DAZN seinen Feinschliff bekommen: Kein anderer Sportsender setzt so konsequent auf das Stilmittel der Doppelkommen­tierung. Wobei das jeweilige Duo stets aus dem Off arbeitet, ebenso wie der Moderator.

Kommentator und Experte als untrennbare Einheit

Die Vorlaufberichte fürs Stoke-Spiel sind zu Ende. Noch ein Trailer, dann geht es los. Moderator Alex Schlüter räumt seinen Platz neben Volz für Kommentator Marco Hagemann und wechselt in die Regie. Das ist der Moment, in dem Exkicker Volz beherzt am Lautstärkeregler für sein Headset dreht: "Richtiges Stadion­gefühl kann hier natürlich nicht ­aufkommen, ich habe es vor dem ­Anpfiff deshalb gern ein bisschen lauter, um die Stimmung besser wahrzunehmen." Als sein Nebenmann mit der Reportage beginnt, ist Volz dann aber wieder ganz Ohr.

"Bei unseren Experten ist uns Meinungsstärke besonders wichtig. Wir sind da von Anfang an weniger nach großen Namen gegangen, vielmehr haben wir Leute gesucht, die gut zu uns passen und inhaltlich überzeugen", sagt Schlüter. Volz gilt da als ­Paradebeispiel - und beweist seine Meinungsfreude auch nach dem Spiel. Angesprochen auf ein kostenpflich­tiges Produkt wie DAZN (9,99 Euro im Monat) und den Trend zu immer weniger Topsport im frei empfang­baren Fernsehen, sagt er: "Man muss die Basis im Blick behalten. Wenn man den Zugang endlos weiter einschränkt, sorgt man unter Umständen dafür, dass sich viele Leute abwenden oder gar nicht erst dem Sport zuwenden."

Fußball unterm Weihnachtsbaum

Andererseits: Job ist Job, und DAZN ermöglicht es Volz nun mal, das zu ­machen, was er gleich nach dem Fußballspielen am liebsten macht: über Fußball reden. Selbst am zweiten Weihnachtsfeiertag wird er Deutschlands größte TV-Sport-Fabrik ansteuern, um zu arbeiten. Womöglich sogar mit besonderer Vorfreude: Mit dem Boxing Day in der Premier League verbindet der 34-Jährige nach vielen Jahren als England-Legionär schließlich beste ­Erinnerungen.
"Nach zwei, drei Jahren mit Anpassungsschwierigkeiten bin ich kon­vertiert", sagt er lachend und lobt die besondere Stimmung in den Stadien. "Selbst als ich nicht mehr in England gespielt habe, bin ich Weihnachten oft hingefahren, um mir Boxing-Day-Fußball anzuschauen." Auch einen Boxing Day in der Bundesliga könnte sich der Experte vorstellen, aber nur mit Zustimmung der Fans in Deutschland. "Man sollte auf jeden Fall mal nachfragen, ob sie prinzipiell Interesse hätten." Wäre am Ende vielleicht ja auch was fürs Free-TV.