1972 also. Damals, so die Legende, machten die Mitglieder des Fußball-Thekenklubs FC Merowinger angeblich das erste Mal Party am Strandlokal "Balneario 6". Aus Balneario, dem schönen spanischen Wort für "Heilbad", wurde der Ballermann – ein Wort, das der Deutsche auch nach dem dritten Topf voll Sangria noch unfallfrei nuscheln kann. Nach 1972 kamen immer mehr Deutsche, sie brachten der Insel Geld und weltweite Prominenz. Und machten Mallorca zum inoffiziellen 17. Bundesland.
50 Jahre Ballermann, das bedeutet vor allem: 50 Jahre Ballermann-Sound. Bernhard Brink, Costa Cordalis, Jürgen Drews: Jeder von ihnen wurde zum König von Mallorca gekrönt. Isi Glück, Ikke Hüftgold, Tim Toupet: Ohne das Mittelmeer-Eiland würden sie irgendwo in der deutschen Provinz in heruntergekommenen Schuppen auftreten. Auf der "Bierstraße" hingegen sind sie die Schankwirte des akustischen Komasaufens.
Oliver Geissen macht sich in der "Ultimativen Chart Show" mit Hilfe ausgewählter Malle-Experten auf den Weg durch fünf Jahrzehnte musikalisch hochprozentiger Genüsse, um letztendlich den Hit 2022 zu küren. Lucas Cordalis und Frauke Ludowig, Lola Weippert und Mike Singer, Mark Quashie alias "The Mad Stuntman" ("I like to move it"), Lorenz Büffel und sogar Andreas Gabalier begleiten Geissen dabei. Der reicht zum Ausgleich Schnaps, allerdings nur in kleinen Gläsern. Und ohne Strohhalm.
Außerdem bittet Geissen seine Promis immer wieder zu neckischen Ballermann-Spielchen: Songtitel-Pantomime, Eiswürfel-Curling, Liegestuhl markieren, Wassertemperatur mit der Nase checken und das launige Trinkspiel "Trinke, wenn...". Hier muss Lola Weippert ganz schön was wegsüffeln: selbst die Haare geschnitten, Kopfstand auf dem Tresen gemacht, Leihgaben nicht zurückgegeben – been there, done that. Mallorca? Ist manchmal eher eine Charaktereigenschaft als eine Insel.
Braucht man Alkohol, um Ballermann-Hits zu ertragen? Es sei genau andersherum, behauptet Frauke Ludowig: "Die Musik macht den Pegel." Vielleicht, weil der typische Ballermann-Hit über das Innenohr direkt ins Blut geht, ohne Zwischenstopp im Großhirn. Oder weil die Texte eine ähnliche Wirkung auf das Sprachzentrum haben wie sehr viel Sonne auf das Gehirn. Das Niveau auf Mallorca: Es singt.
Von "Dreilagiges Klopapier" über "Das rote Pferd" bis "Tote Enten / Sollen nicht verwesen": Ballermann-Lyrik ist das Pupskissen der Poesie. Der einprägsame Dadaismus dieses Genres entzieht sich jeder Germanisten-Interpretation mit einer fröhlichen Polonaise. Nachdenken kann man immer noch, wenn der Urlaub rum ist. Bis dahin gilt: Hüpfen, hüpfen, hüpfen, bis die Insel wackelt!
Aber auch internationale Hits wie "Come on Eileen", "Bambolea" oder die Hasselhoff-Hymne "Looking for Freedom" haben stets gerne auf Malle geurlaubt, um von da aus immer wieder als akustisches Souvenir in die diversen Heimatländer geschleppt zu werden. Der Ballermann hält damit auch Songs im kollektiven Gedächtnis, die dieses ansonsten längst verlassen hätten. Was nicht immer ein Verlust wäre.
Lustig: Zwischen all die halbseidenen TV-Helden und Malle-Mädels, mit denen RTL gerne die "Chart Show" bestückt und sie um ihre Meinung bittet, hat der Sender diesmal auch den Herr Gesundheitsminister platziert. Leicht verwirrt blickt Karl Lauterbach auf ein Video von DJ Ötzi und urteilt: "Spricht mich nicht an." Alles andere hätte uns auch nachhaltig verstört.
Vier Stunden Malle-Sound: Das ist fern der Schinkenstraße gar nicht so einfach zu ertragen. Und wer darüber schreiben muss, kann sich den musikalischen Offenbarungseid nicht einmal schön trinken. Da fühlt man sich kurz vor Mitternacht bereits ziemlich "Hulapalu" im Kopf, als es schlussendlich an die Kür des ultimativen Malle-Hits für 2022 geht. Wie diese höchst salomonische Nominierung zustande kommt, ist etwas undurchsichtig, aber egal: Es sind die Mallorca Allstars mit "Nichts auf der Welt". Darauf jetzt einen Schnaps als Betthupferl. Ohne Strohhalm.
Der TV-Kolumne "Die ultimative Chartshow": 50 Jahre Ballermann: Das waren die größten Malle-Hits wird veröffentlicht von BUNTE.de.