Sumatra-Nashörner sind echte Urviecher. Seit 20 Millionen Jahren stapfen Ange­hörige der Gattung Dicero­rhinus durch Asiens Wälder. Von den fünf heute lebenden Rhinozerosarten sind sie die engsten Verwandten der eiszeitlichen Wollnashörner, ihr rostbraunes Haarkleid bildet das passend archaische Outfit. Einzigartig macht sie noch etwas anderes: In Freiheit leben nur noch rund 200 Exem­plare, verteilt auf zehn indone­sische Reservate. Das Sumatra-Nashorn ist der vielleicht am stärksten vom Aussterben bedrohte Großsäuger der Welt.

Aber nicht der einzige. Nach Angaben der Weltnaturschutz­union IUCN sind derzeit 25 Prozent aller Säugetierarten akut gefährdet. Für andere Gruppen wie die Amphibien ist die Situation noch dramatischer. Wissenschaftler fürchten: Wir erleben derzeit ein Artensterben, wie es sich auf der Erde zum letzten Mal vor 65 Millionen Jahren ereignete, als die Dinosaurier für immer verschwanden. Damals war ein Meteorit der Killer, heute ist es der Mensch.

Das sechste Sterben

Dass Arten kommen und gehen, ist ein natürlicher Prozess. In stabilen Zeiten stirbt von 1000 Spezies alle 1000 bis 10 000 Jahre ­eine aus. Biologen sprechen vom Hintergrundsterben. Doch mehrfach in der Geschichte des Lebens stieg diese Rate rapide an. Es kam zu einem plötzlichen Massenaussterben. Das schlimmste spielte sich vor 250 Millionen Jahren ab, als vulkanische Aktivitäten im heutigen Sibirien einen Treibhauseffekt bewirkten. Damals, an der Wende vom Perm- zum Trias-Zeitalter, starben 95 Prozent aller Meereslebewesen und 75 Prozent der landlebenden Arten aus.

Insgesamt ereigneten sich in den vergangenen 500 Millionen Jahren fünf große Massenaussterben. Alles deutet darauf hin, dass der Mensch das nächste verantwortet - und das schon seit einer ganzen Weile, wie Elizabeth Kolbert in ihrem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Buch "Das 6. Sterben" nachzeichnet: Als der Homo sapiens vor 60 000 Jahren von Afrika aus begann, sich über den Globus auszubreiten, begegnete er auf allen Kontinenten tierischen Giganten: Mammuts und Wollnashörnern in Europa, nilpferdartigen Beuteltieren in Australien, tonnenschweren Rüsseltieren und Gürteltieren von der Größe eines Smart in Amerika.

Bis zum Auftauchen des Menschen hatten diese Tiere aufgrund ihrer schieren Größe keine natürlichen Feinde und zeigten vermutlich keinerlei Furcht vor kleinen Zweibeinern, die vor ihnen herumfuchtelten. Deswegen war es für urzeitliche Jäger ein Leichtes, sie mit einfachen Speeren und Pfeilen zu erlegen. Da große Tiere sich nur sehr langsam fortpflanzen, war ihr Aussterben besiegelt.

Eine Ausnahme blieb Afrika, wo Elefant und Rhinozeros einige Hunderttausend Jahre Zeit gehabt hatten, Fluchtreflexe gegenüber der aufstrebenden Primatenart Homo zu entwickeln. Wie das Sumatra-Nashorn sind sie Relikte einer Großtierfauna, die vor dem Zeitalter des Menschen fast den gesamten Erdball beherrschte.

Nach den Jägern waren es Viehzüchter und Ackerbauern, die Wildtiere zurückdrängten. Laut IUCN sind seit dem Jahr 1500 allein 92 Säugetierarten ausgestorben - die meisten, weil ihr natürlicher Lebensraum zerstört wurde. Im 20. Jahrhundert hat sich dieser Prozess extrem beschleunigt. So hat sich die Fläche tropischer Regenwälder gegenüber 1950 halbiert. Die Aussterberate bei Tieren und Pflanzen liegt heute um das Tausend- bis Zehntausendfache über dem Wert des Hintergrundsterbens.

Wer überlebt, ist ungewiss

Doch es könnte noch schlimmer kommen: Der Klimawandel setzt vor allem Ozeanbewohnern zu. Geht er unvermindert weiter, drohen 90 Prozent der Korallenriffe bis 2050 zu verschwinden. Das hätte einen Overkill der Meeresfauna zur Folge, gegen den das Schicksal des Sumatra-Nashorns wie eine Marginalie wirkt. Auf dem Spiel steht ein Ökosystem mit bis zu einer Million Arten.

Die menschengemachten Veränderungen der Atmosphäre ­ähneln beunruhigend denen, die zum Massenaussterben vor 250 Millionen Jahren führten. Damals gehörten unsere Vorfahren zu den wenigen Überlebenden der Klimakatastrophe. Niemand weiß, ob wir beim sechsten Sterben noch einmal so glücklich davonkommen.