Die gebürtige Ostfriesin Henny Reents ist eines der bekannteren deutschen Schauspielgesichter. Das liegt nicht nur an ihren auffällig roten Haaren und der charismatischen Ausstrahlung der 48-Jährigen, sondern gewiss auch an der Rolle als Polizistin Lona Vogt in der extrem quotenstarken ARD-Krimireihe "Nord bei Nordwest". Die spielte sie sechs Jahre lang. Nun ist die Mutter eines elfjährigen Sohnes in einer neuen Krimi-Hauptrolle zu sehen, die sich jedoch von andere Formaten unterscheidet. In "Sonderlage - Ein Hamburg-Krimi: Der Angriff" (Dienstag, 14. Februar, 20.15 Uhr) und "Sonderlage - Ein Hamburg-Krimi: Das Kind wird sterben" (21. Februar) porträtiert Henny Reents den der Realität abgeschauten Job einer Polizeiführerin bei unübersichtlichen Großeinsätzen. Nach allem, was sie dazu in stundenlangen Gesprächen mit echten Beamtinnen und Beamten erfuhr: wohl einer der anspruchsvollsten und nervenzerfetzendsten Jobs der Welt.
teleschau: Wieviel hat das Team der polizeilichen "Sonderlage", wie es in den Filmen gezeigt wird, mit der Wirklichkeit zu tun?
Henny Reents: Da kann ich nur auf das zurückgreifen, was ich in meiner Vorbereitung auf die Dreharbeiten gelernt habe: Wenn es sogenannte "Großlagen" gibt - Terroranschläge, Amokläufe oder Geiselnahmen -, dann sehen die Teams und ihre Arbeit in etwa so aus, wie in unseren Filmen beschrieben. Der Raum, die Art der Kommunikation, nicht zuletzt auch mein Job als Polizeiführerin.
Wir erfahren im Film nicht, welche Ausbildung Ihre Figur genossen hat. Wie wird man "Sonderlage"-Verantwortliche?
Es ist eine jahrelange Ausbildung. Allein schon dafür vorgeschlagen zu werden, ist so etwas wie die "Champions League" der Polizeiarbeit.
"Sie 'darf' sozusagen alles und hat die letzte Entscheidungsgewalt"
Sie haben ausführlich mit einer echten "Sonderlage"-Chefin gesprochen. Wie geht sie in einen solchen Fall hinein?
Ohne Zettel und ohne Stift, sagt sie. Es geht ums Gespür für die Situation. Darum, möglichst viele Informationen aus verschiedenen Quellen herauszufiltern. Eine Besonderheit ist zum Beispiel, dass sie nicht angesprochen werden darf, sondern jegliche Kommunikation geht von ihr aus. Sie "darf" sozusagen alles und hat die letzte Entscheidungsgewalt. Das sind dann schon mal 1.000 Polizisten oder mehr, die sie während eines Einsatzes unter sich hat.
Im Film wird ein Spezialisten-Team vorgestellt. Wer ist "in echt" alles im Raum?
Die sogenannten "Verbinder" zu SEK (Sondereinsatzkommando, d. Red.), MEK (Mobiles Einsatzkommando, d. Red), Psychologen, eine Fachkraft der Pressestelle. Auch die Staatsanwaltschaft ist mit im Raum, aber das haben wir im Film weggelassen, weil es den dramaturgischen Rahmen gesprengt hätte.
Kann denn überall in Deutschland schnell eine solche "Sonderlage" einberufen werden?
Soweit ich weiß, gibt es einige solcher Apparate in Deutschland. Auf jeden Fall gibt es sie in Berlin und Hamburg, wo ich recherchiert habe. Und sie arbeiten wirklich in einem solchen Raum mit Screen-Wänden, die aber vielleicht nicht ganz so bombastisch groß sind wie in den Filmen (lacht).
"Es ist ein Job für Hochenergetiker"
Der Druck, den die männlichen Vorgesetzten auf Ihre Figur ausüben, wirkt im Film fast unrealistisch groß. Was erzählte denn die echte Polizeiführerin über die Atmosphäre ihres Jobs?
Mir wurde gesagt, dass es ein unglaublicher Machtkampf ist, der da hinter den Kulissen tobt. Weil es Entscheidungen von unglaublicher Tragweite sind. Schließlich geht es um Leben und Tod. Es ist fast ein politisches Amt, man darf sich keine Schwächen leisten. Ich habe mich über viele Stunden mit Polizeiführern unterhalten. Beeindruckt hat mich, dass diese Menschen immer wach und lösungsorientiert bleiben. Es ist ein Job für Hochenergetiker. Für Menschen, die sehr schnell im Kopf sind und dabei keine Hänger haben.
Aber braucht man nicht auch die Fähigkeit, sich in die Täter hineinzuversetzen? Also ein großes Verständnis für Menschen - in etwa das, was auch Schauspieler benötigen?
Ja, das stimmt. Aber es ist auch ein wenig anders als bei uns Schauspielern. Wir müssen Menschen beobachten können, sie auf eine empathische Art verstehen. Bei den Polizistinnen und Polizisten geht es darum, zu erspüren, was als Nächstes passieren könnte. Das "vor der Lage sein", wie es bei denen heißt, ist ein ganz entscheidendes Talent oder eine Fähigkeit, die da gefragt ist. Es geht darum, alle möglichen Schachzüge vorherzusehen.
Ein Großteil der Aufklärung geschieht über die Auswertung von Überwachungskameras. Man kennt das aus Staaten wie China oder Katar. Aber gibt es auch hierzulande so viele Kameras, dass die Polizei einen Menschen quasi virtuell verfolgen kann?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich weiß, dass die Polizei der Sonderlage auf alle Kameras Zugriff hat und dass es mit ihr wichtigstes "Tool" ist, mit dem sie arbeiten. Man versucht, kleinste Informationen aus diesen Bildern zu extrahieren. Oft ist es das einzige Mittel, der einzige Ansatz, mit dem man bei Sonderlagen erst einmal arbeitet. Der Film ist in dieser Hinsicht keineswegs unrealistisch.
"Mir wurde ganz anders, als ich im Film einen Schießbefehl geben musste"
Sie würden mit dieser Grundidee eines Krimis nach den zwei Filmen gerne weitermachen, oder?
Ja, na klar. Es ist als Reihe konzipiert, und nun muss man sehen, wie es beim Publikum ankommt. Für mich als Schauspielerin, die schon in viele Krimis gespielt hat, war es wirklich mal ein neuer Ansatz innerhalb des Genres: die Arbeitsweise der Sonderlage, die Machtstrukturen, der unfassbare Stress. Auch die patriarchalen Strukturen in der Polizei - wie natürlich auch in anderen klassischen Institutionen: Die gibt es hier auch, wie man mir sagte.
Könnten Sie diesen Job denn selbst machen?
Nein, auf keinen Fall. Ich könnte nachts nicht mehr schlafen. Man muss ganz viel Information superschnell integrieren, alles Störende ausblenden und auf eine andere Art, als ich sie habe, über ganz feine Antennen verfügen. Eigentlich ein Widerspruch in sich. Ich würde mich von der Verantwortung erschlagen fühlen. Man muss mental unglaublich robust sein.
Also doch ein ganz anderes "mind set" als jenes, das man als Schauspielerin braucht?
Henny Reents: Wie ich schon sagte, es ist ähnlich und auch ganz unterschiedlich zugleich. Ich brauche als Schauspielerin ebenfalls sehr feine Antennen, so wie die Polizeiführerin, aber mit einem anderen Fokus. Sie braucht einen Gefahrenradar, ich eher eine Beobachtungsgabe für Menschliches. Vielleicht bin ich etwas einfühlsamer, bei der Polizei geht es um Verantwortung. Mir wurde ganz anders, als ich im Film einen Schießbefehl geben musste. Ich möchte mir nicht vorstellen, einen solchen Befehl in echt geben zu müssen.
"Ich stehe in der Mitte meines Lebens und habe Lust auf neue Sachen"
Ihre Rolle der Polizistin Lona Vogt in "Nord bei Nordwest" war unglaublich populär. Aber auch darüber hinaus wurden sie oft als Ermittlerin besetzt. Haben Sie die Ausstrahlung einer Polizistin?
Ich glaube, das ist die äußere Wahrnehmung, dass ich so viele Polizistinnen spiele. Ich habe zuletzt eine Politikerin bei Jan Böhmermanns "Die Innenministerkonferenz" gespielt oder eine voll tätowierte, traumatisierte Performance-Künstlerin in der französischen ARTE-Serie "Die schwarzen Schmetterlinge" - das waren beides keine Polizistinnen. Weil "Nord bei Nordwest" aber so unfassbar viele Menschen gesehen haben, bin ich bei vielen als Polizistin abgespeichert. Deutschland ist einfach eine Krimi-Hochburg. In der Wahrnehmung wird unglaublich viel Krimi produziert.
Sind Sie bei "Nord bei Nordwest" ausgestiegen, weil Sie von Ihrer "Wahrnehmung" als Kommissarin genervt waren?
Nein, das nicht. Ich weiß, was ich dieser Reihe zu verdanken habe, aber ich bin jemand, der einfach immer wieder etwas Neues braucht, um bei der Arbeit glücklich zu sein zu. Weiterentwicklung gibt mir eine unglaubliche Zufriedenheit - nicht nur im Job, sondern auch privat übrigens. Ich habe sechs Jahre "Nord bei Nordwest" gemacht und hatte dann das Gefühl: So, jetzt wiederholst du dich, wenn du noch länger dabei bleibst. Ich stehe in der Mitte meines Lebens und habe Lust auf neue Sachen. Deshalb musste ich einfach mal wieder aufbrechen - zu neuen Ufern.
"Sonderlage - Ein Hamburg-Krimi: Der Angriff" (Dienstag, 14. Februar, 20.15 Uhr) und "Sonderlage - Ein Hamburg-Krimi: Das Kind wird sterben" (21. Februar) bei RTLund vorab auch bei RTL+.
Das Original zu diesem Beitrag "Nach Serientod bei "Nord bei Nordwest": Henny Reents zurück als Ermittlerin bei RTL" stammt von "Teleschau".