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Duell der Generationen: Klitschko im Boxkampf des Jahres

Duell der Generationen: Klitschko im Boxkampf des Jahres
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Respekt statt Trashtalk: Anthony Joshua (27) und Wladimir Klitschko (41) wollen den Kampf der Generationen nur im Ring zum Spektakel machen.

Der erste Auftritt von Antho­ny Joshua im Londoner Wembley-­Stadion dauerte exakt 83 Sekunden. Dann gingen bei seinem Kontrahenten Matt Legg auch schon die Lichter aus. Ein Blitz­-Knock­-out vor halb leeren Rängen: Der Hauptkampf zwischen den beiden britischen Supermittelgewichtlern Carl Froch und George Groves stand an diesem 31. Mai 2014 erst Stun­ den später auf dem Programm und markierte mit 80 000 Zu­ schauern einen neuen Nach­kriegsrekord.

Drei Jahre später strömen die Massen, um Joshua zu sehen, in­ zwischen IBF­-Weltmeister und für viele Experten der kommen­de Mann in der höchsten Ge­wichtsklasse. Dass der gelernte Maurer, Kampfname "AJ", die im­posante Publikumsbestmarke von Froch vs. Groves bei seiner Rück­kehr nach Wembley am 29. April auf 90 000 schrauben wird, liegt allerdings auch an seinem nächs­ ten Gegner: Wladimir Klitschko, bis zu seiner Niederlage gegen Skandalboxer Tyson Fury am 28. November 2015 für viele Jahre unumstrittener Herrscher des Schwergewichts.

Die Rolle des Publikumsma­gneten fällt in London dennoch Joshua zu. In bislang 18 Profi­kämpfen zerpflückte der Modell­athlet seine Gegner nach Belie­ ben und gewann stets vorzeitig. Nur 44 Runden brauchte er dafür. Und jede einzelne davon befeuer­te in seiner Heimat einen Hype um "AJ", der selbst für den chro­nisch hyperventilierenden Box­sport bemerkenswerte Dimen­sionen erreicht hat.
Die Sache mit dem Dope
Dabei stand Joshuas Ringkarriere vor dem K. o., ehe sie richtig be­gonnen hatte. Anfang 2011, andert­halb Jahre vor den Olympischen Spielen in London, flog der Hüne (1,98 Meter) aus dem britischen Boxteam. Die Polizei hatte in sei­nem Auto Cannabis entdeckt und ihn als vermeintlichen Dealer fest­ genommen. "Ich dachte, das war's mit dem Boxen", erinnert sich Joshua. Aber er hatte Glück, das Urteil fiel mit 100 Stunden gemeinnüt­ziger Arbeit milde aus, da sich Drogenhandel nicht nachweisen ließ. Dass er daraufhin eine zweite Chance im Olympiateam bekam, beschrieb Joshua in Interviews als Wendepunkt in seinem Leben.

Wie erfolgreich sich der Sohn nigerianischer Eltern seither auf das Boxen fokussiert, zeigt sein steiler Aufstieg: 2012 Olympia­sieger, 2014 erster Profititel (WBC International), 2016 Weltmeister. Eine atemberaubende Entwick­lung, die Wladimir Klitschko von Anfang an mit Interesse verfolgt hat. Womöglich auch, weil sich der Ukrainer durch Joshua an den Beginn der eigenen Lauf­bahn erinnert fühlt. 2014 verpflichtete Klitsch­ko seinen möglichen Kronprin­zen sogar als Sparringspartner und ließ ihn vor seinem WM­ Kampf gegen Kubrat Pulev ins Trainingslager nach Österreich einfliegen.
"Er könnte mir eines Tages nachfolgen", befand Klitsch­ko damals, beeindruckt von Jo­shuas starker Vorstellung.
"Überragend", sagt Klitschko
Dass Joshua beim Aufeinander­ treffen im Wembley­Stadion vom Besuch in seinem Trainingscamp profitieren kann, glaubt Klitsch­ko allerdings nicht. Erstens gebe es in der Vorbereitung einfach zu viele unterschiedliche Aspekte, und zweitens versuche er, "sich selbst auch immer weiterzuentwickeln". Klitschkos Respekt vor dem 14 Jahre jüngeren Engländer ist dennoch groß. Bei den gemein­samen Pressekonferenzen in London, New York und Köln ließ er keine Gelegenheit aus, Joshua und dessen Team um Promoter Eddie Hearn in den höchsten Tönen zu loben. Sehr "professionell" werde da gearbeitet, Joshua sei ein "überragender Athlet" und darüber hinaus ein "sehr guter Botschafter des Boxsports". Auch den fehlenden Hang zur bisweilen ehrabschneidenden Lautsprecherei seiner boxenden Landsleute Tyson Fury oder Da­vid Haye registrierte Klitschko mit großem Wohlwollen: "Es ist eine Bereicherung, dass ich das Gegenteil von Respektlosigkeit erfahre", sagte er zu seinem auf­strebenden Kontrahenten gewandt. Der sollte bloß aufpassen, dass er sich von so viel Anerken­nung nicht einlullen lässt. Denn wenn es Joshua noch an etwas mangelt, dann ist es Erfahrung. Wie entscheidend die sein kann, weiß Klitschko nur zu genau. Sei­nen ersten Titel verlor er 1998 ge­gen Ross Puritty, weil er vor hei­mischem Publikum in Kiew so übermotiviert agierte, dass ihm am Ende die Puste ausging.
Autor: Frank Steinberg