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Reeperbahn privat

Angst vor Anfeindungen beim Bahnfahren: Dragqueen macht Führerschein

Dragqueen Veuve macht einen Schritt in die richtige Richtung.
Dragqueen Veuve macht einen Schritt in die richtige Richtung. RTLZWEI

Eine Hure bastelt Adventskränze, eine Dragqueen macht den Führerschein, ein Zuhälter zeigt Gefühle: "Reeperbahn privat!" zeigt die bunte Welt und noch mehr geplatzte Hoffnungen.

"Brauchst du noch einen Adventskranz? Ich zeige dir auch meine Titten!" Laura steht auf dem Hamburger Fischmarkt und will ein paar selbstgebastelte Kränze verkaufen. Die junge Frau ist gelernte Floristin. Aber eigentlich ist sie viel geübter darin, ihre Brüste zu zeigen. Die Kränze sind nur ein Versuch, mal ohne Körper Geld zu verdienen. Die 28-jährige Fränkin trägt eine grellgrüne Mütze und blondierte Haare. Ihre Lippen sind aufgespritzt. Die Prostituierte träumt von einem eigenen "Blumenladen mit Angestellten". Immerhin kann sie sich vom Anschaffen im Laufhaus "Pink Palace" eine Vier-Zimmer-Wohnung am Stadtrand leisten. Aber den Job könne sie "ja nicht bis in alle Ewigkeit" machen. Also Kränze!

"Reeperbahn privat!" ist trostlos

Ein Teil von Hamburg, an dem eine Menge Hoffnungen begraben sind. Laura ist als junges Mädchen von Zuhause abgehauen, hat von 16 bis 18 Jahren auf der Straße gelebt. "Du sitzt draußen und weißt nicht, wohin mit deinem Arsch." Ihre Eltern hat sie seither nicht mehr gesehen. "An manchen Tagen fühlt man sich nicht gut. Man hat das Gefühl, dass einem nur Idioten begegnen." Sie sagt, dass sie gerne mit ihren zwei kleinen Hunden alleine lebe. "Ich habe ja auf der Arbeit viel Besuch." Seit zehn Jahren ist sie eine Hure, seit zehn Jahren hat sie keinen Freund. An den Wänden in ihrer Wohnung hängen Bilder von Totenköpfen. "Weihnachten gab es daheim immer Gulaschsuppe und Geschenke. Aber wenn du keine Lieben bekommst, nutzen auch keine Geschenke."

50 Euro pro Adventskranz

Foto: RTLZWEI

Laura hat um vier Uhr morgens ihre Hurenarbeit beendet, um am Fischmarkt Kränze zu verkaufen. "Ich habe gedacht, dass ich meinen Charme spielen lasse. Halt wie auf der Arbeit." Doch zunächst will niemand einen Kranz haben. Die Verkäuferin vom Nachbarstand gibt ihr den Tipp, doch mal Preisschilder aufzustellen. Auch 50 Euro pro Stück sei zu teuer. Laura beherzigt das. Danach läuft es besser. Am Ende hat sie alle sechs Kränze verkauft - und ist für den Moment glücklich. Vielleicht kommt sie ja doch irgendwann noch raus aus dem vierstöckigen Laufhaus, durch das an Samstagen 2000 Männer gehen. "Die Arbeit ist anstrengend. Das ist kein Beruf für immer." Aber das regelt wohl der Markt.

Vom Zuhälter zum liebevollen Familienpapa

Rotlichtgröße Marco Aschenbrenner, 42, hat sein Geld 20 Jahre lang als Zuhälter auf der Reeperbahn verdient. Doch jetzt möchte er sein Leben für seine Verlobte Danka und Töchterchen Aurelia, die vor eineinhalb Jahren zur Welt kam, radikal ändern: Marco will als Boxtrainer arbeiten. Um sich einen Namen zu machen, steigt er bei einem Boxkampf ohne Handschuhe in den Ring. Nach wenigen Sekunden hat er einen Cut unter dem Auge. Nach 1,5 Minuten geht er zu Boden. Marco sieht ziemlich ramponiert aus und den Kampf verliert er auch. Sein Plan geht nicht wirklich auf. Danach trainiert er gerade mal ein paar Hobbyboxer für ein paar Hundert Euro. Aber er sagt auch: "Ich will mein Kind schützen!" Etwa davor, dass in der Nacht die Tür auffliegt und "die Polizei wegen irgendeinem Scheiß ermittelt". So kann man die Welt auch sehen: Böse, böse Polizei!

Auch Dragqueen Veuve hat einen Traum

"Ich träume davon einen Führerschein zu haben, weil ich dann nicht mehr den Anfeindungen in der Bahn ausgesetzt bin", sagt Veuve. Das eigene Auto bedeutet mehr Sicherheit. Mit 17 Jahren hat er sich geoutet, unternahm einen Suizidversuch und zog später von Rostock an die Reeperbahn. "Ich bin heute ein wenig stolz darauf, dass sich mein Charakter so gefestigt hat, dass ich fest durchs Leben gehen kann." Bei seinen Auftritten kokettiert er gerne. "Wer nicht klatscht, muss im Anschluss mit mir schlafen". Für den Applaus bedankt er sich mit: "Ihr Schleimer!" Die theoretische Fahrprüfung besteht Henrik, so sein bürgerlicher Name. Besser noch: Er macht keinen einzigen Fehler. Das hebt das Selbstwertgefühl. An der Reeperbahn ist wenig viel.

Der Artikel Angst vor Anfeindungen beim Bahnfahren: Dragqueen macht Führerschein wird veröffentlicht von FOCUS online.