"Jedes Bundesland, das einen Arsch in der Hose hat, schickt seinen Kultusminister zu uns"

Das komplette Interview!

TV SPIELFILM: Wie enttäuscht waren Sie über den achten Platz, den Max im Mai 2004 beim Eurovision Song Contest in Istanbul belegt hat?

Stefan Raab: Ich war nicht enttäuscht im Sinne, eine Lebenschance vertan zu haben. Ich hatte nur gedacht, da wäre unter Umständen mehr drin gewesen. Man geht ja immer wieder mit der Illusion zum Eurovision Song Contest, dass dort nach musikalischen Gesichtspunkten entschieden wird. Das ist aber nicht so. Es hat eine musikalische Ostverlagerung stattgefunden.

TV SPIELFILM: Wie äußert sich die?

Stefan Raab: Der Grundgedanke des Grand Prix war ursprünglich, die vor 50 Jahren moderne westliche Popmusik miteinander zu messen. Das fing, glaube ich, an mit Deutschland, Frankreich, England, Benelux und Italien. Damals war es sieben oder acht Länder, die musikalisch eine ähnliche Popkulturtradition hatten. Jetzt sind so viele Länder im Osten dazu gekommen, die mit der westlichen Popmusikkultur überhaupt nichts zu tun haben. Der Sound wird immer orientalischer. Und natürlich hält der slawische Volksstrang da unten doch sehr stark zusammen. Das hat man auch immer wieder in den Moderationen gehört, wenn die russische Moderatorin sagte: "12 Punkte gehen an unsere slawischen Freunde aus..." Das ist schon sehr offensichtlich.

TV SPIELFILM: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Stefan Raab: Ich schaue nach vorn und mache jetzt den Bundesvision Song Contest. Wir machen einen Schritt zurück aus der Globalisierung und beschränken uns auf unser eigenes musikalisch-kulturelles Umfeld. So wie die Italiener das schon seit Jahren erfolgreich mit ihrem San Remo-Musikfestival machen.

TV SPIELFILM: Der Legende nach hatten Sie die Idee zum Bundesvision Song Contest schon in Istanbul.

Stefan Raab: So ist es. Das war wie bei vielen anderen Sachen, die wir machen. Das kommt von jetzt auf gleich und meistens aus einer Situation heraus. In dem Falle haben nach dem Grand Prix im Bus gesessen und sind zu einer Party auf einer kleinen Insel vor Istanbul gefahren. Es war schon gegen 2 Uhr. Einige waren etwas betrübt und deshalb habe ich rumgescherzt. Daraus entstand dann die Idee, als eine Trotzreaktion unsere eigene Veranstaltung zu machen. Den Bundesvision Song Contest. Thüringen gegen Sachsen, Bayern gegen Baden-Württemberg. Die üblichen Spiele.

Wie deutsch wird die Veranstaltung?

Stefan Raab: Wir setzen auf die vielen guten deutschen Bands. Und wir haben uns dazu entschlossen, nur Teilnehmer mitmachen zu lassen, die auch Deutsch singen. Also mindestens die Hälfte des Textes. Es sind also sogar ein paar dabei, die sonst nur Englisch singen, aber extra für uns Deutsch singen.

Das heißt, Sie erfüllen schon die Deutsch-Quote, die der Bundestag von den Rundfunkanstalten fordert?

Stefan Raab: Ja, und ich bin mal gespannt, ob einer von den Sportsfreunden, die sich da so weit aus dem Fenster lehnen, bei uns meldet und fragt, ob er uns irgendwie unterstützen kann.

Sehen Sie die Veranstaltung als Konkurrenz zum Eurovision Song Contest?

Stefan Raab: Nee, nee, Konkurrenz würde ich nicht sagen. Wir sind die Alternative. Wir nehmen nur deutsche Acts. Wir legen Wert darauf, dass es authentische Acts sind. Und nicht so viele Newcomer wie beim Grand Prix. Der Bundesvision Song Contest wird musikalisch eine außerordentlich glaubwürdige Veranstaltung.

Wieso vertritt Max Mutzke kein Bundesland?

Stefan Raab: Max wäre natürlich ein richtiger Kandidat für diese Veranstaltung. Aber Sie können sich ja vorstellen, was passiert, wenn Max da mitmacht! Ich initiiere diese Show und der gewinnt, dann ist die Veranstaltung sowieso tot nächstes Jahr. Dann sagen alle: "Der Raab bringt da seine Leute rein und lässt die gewinnen." Ich bin ja erstens nicht blöd und zweitens will ich nicht den kurzfristigen Erfolg dieser Veranstaltung. Ich will, dass in 50 Jahren ganz groß das 50-jährige Jubiläum des Bundesvision Song Contest vom Bundespräsidenten eröffnet wird.

Ein großes Ziel.

Stefan Raab: Da geht es nicht um den schnellen Erfolg. Wir machen natürlich viel. Und wir werten auch kommerziell aus. Das ist ja auch unser gutes Recht und es ist ja auch fürs Land gut. Wir schaffen Arbeitsplätze, wir zahlen Steuern. Und zwar hier in Deutschland.

Sie meinen, im Gegensatz zu Ralf Schumacher?

RAAB: Das haben Sie jetzt gesagt. Aber ich denke natürlich langfristig. Beim Bundesvision Song Contest genau so wie bei der Wok-WM oder beim Turmspringen. Das denke ich mir irgendwann aus, dann habe ich ganz viele Leute gegen mich, die sagen: "Ja, wer soll das denn sehen?" Ich finde das aber interessant und mache mich dafür stark, dass wir es einfach mal ausprobieren. Ich sage Ihnen, die Wok-WM wird spätestens 2022 olympisch. Da wette ich mit Ihnen um 10 Euro.

TV SPIELFILM: Ich komme darauf zurück.

RAAB: Und auch den Bundesvision Song Contest wird es in 50 Jahren noch geben. Das wird die wichtigste deutsche Musikveranstaltung sein.

TV SPIELFILM: Besteht nicht die Gefahr falscher Erwartungen beim Zuschauer? Wollen die nicht lieber Witze statt guter Musik?

RAAB: Das glaube ich nicht. Überhaupt nicht. Wir haben schon mal bewiesen, dass es nicht zwingend alle 20 Sekunden einen Schenkelklopfer braucht. Bei unserem kleinen Casting-Wettbewerb, bei der SSDSGPS-Show, waren natürlich ein paar lustige Sänger in der Casting-Box. Aber als wir die Endausscheidung hatten, haben wir nicht groß auf Quatsch gemacht. Da haben außerordentlich talentierte Künstler gute Live-Musik gemacht. Das hat gut funktioniert bei den Zuschauern. Es ist nicht so, dass die Leute zwingend alle 30 Sekunden einen Lacher erwarten. Ich glaube, mittlerweile ist mein persönliches Image so weit gediehen, dass die Leute erkannt haben: Ich bin gar kein Komiker, sondern sehe mich eher als Entertainer. Und Entertainment ist ein Sammelsurium von verschiedenen Genres.

TV SPIELFILM: Welche Rolle spielen Sie beim Finale des Bundesvision Song Contests in Oberhausen am 12. Februar?

RAAB: Ich bin der Moderator. Bei allem, was ich mir ausdenke, bin ich immer Teil der Veranstaltung. Und wenn ich wie bei den sportlichen Events nicht selbst mitmache, dann moderiere ich.

TV SPIELFILM: Sie haben versprochen, das Wahlverfahren wird genauso Scheiße wie beim Original. Wie wird sich das äußern?

RAAB: Ja. (lacht) Das ist ja so ein bisschen der Thrill beim Eurovision Song Contest, dass kleine Länder, die zwei Millionen Einwohner haben, genau so viele Punkte vergeben können wie Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern. Und so wird es halt hier auch sein. Bremen kann genauso gut 12 Punkte vergeben wie Nordrhein-Westfalen. Und Mecklenburg-Vorpommern genauso viele wie Bayern. Ich bin mal gespannt, ob Thüringen tatsächlich für Sachsen und Sachsen für Thüringen abstimmt.

TV SPIELFILM: Nicht, dass uns die Osterweiterung auch wieder zum Verhängnis wird!

RAAB: Ja, dann müssen wir halt noch mehr zurück zu den Wurzeln gehen und sagen: "2006 dürfen nur noch die alten Bundesländer beim Bundesvision Song Contest mitmachen." Das wird der Old Bundesländervision Song Contest.

TV SPIELFILM: Wie viel Wert legen Sie darauf, dass in den Liedern typische Eigenheiten eines bestimmten Bundeslandes auftauchen?

RAAB: Das ist meines Erachtens nach nicht wichtig. Wir machen keine Volksmusik-Veranstaltung, Dialekte spielen eher eine Nebenrolle. Für Sachsen treten zwar zum Beispiel De Randfichten auf. Ist mal eine andere Farbe, aber für Bayern tritt Slut an. Das ist eine Band, die bisher eigentlich nur in Englisch gesungen hat, die jetzt für uns das erste Mal in Deutsch singt. Und für Niedersachen spielt Mousse-T mit Emma Lanford, die "Horny" gesungen hat, die auch die Hälfte des Songs in Deutsch machen, extra für diese Veranstaltung. Also es spielt da keine Rolle, ob jemand in einem Dialekt singt. Das wollen wir auch gar nicht. Wir wollen eine Veranstaltung machen, in der gute deutschsprachige Musik geboten wird, von etablierten Bands. Das ist einfach lustig, wenn sich zu Hause die Zuschauer entscheiden müssen, ob sie für De Randfichten anrufen oder für Sido.

TV SPIELFILM: Welchen Einfluss haben Sie auf die Bands und deren Titel?

RAAB: Auf die Titelauswahl habe ich überhaupt keinen Einfluss genommen. In diesem Jahr habe ich, weil die Veranstaltung noch nicht den nötigen Bekanntheitsgrad hat, die verschiedenen Bands gefragt, ob sie für ihr Bundesland antreten wollen. Im nächsten Jahr versuchen wir das richtig mit einer Vorausscheidung zu machen. Dazu muss man natürlich erst mal die Veranstaltung bekannt machen. Einige Bands habe ich mehrfach angerufen, um sie persönlich davon zu überzeugen, dass das eine gute Sache ist. Einige hatten Angst, zu verlieren und dann einen Imageschaden zu haben. Dann habe ich ihnen erst mal erklärt, dass sie den nicht haben. Ich bin damals auch bei der Vorausscheidung zum Grand Prix angetreten, mit lauter unbekannten Nasen. Die Gefahr, dass ich da nicht gewinne, war ja auch gegeben. Da muss man halt mutig sein. Und selbst, wenn du nicht gewinnst, sagt doch zu Hause keiner: "Na ja, Virginia Jetzt ist nur Dritter geworden, ab heute sind die eine Scheißband!" Das macht doch kein Mensch, ist doch völliger Quatsch.

TV SPIELFILM: Welche Punkte können die Bundesländer vergeben?

RAAB: Von 1 bis 10 und dann die Topwertung 12.

TV SPIELFILM: Werden die, wie beim Original, auch mehrsprachig vergeben?

RAAB: Mal schauen. Vielleicht in Hochdeutsch, in Bayerisch und in Sächsisch.

TV SPIELFILM: Schalten Sie abends live in jedes Bundesland?

RAAB: Ich glaube nicht, dass wir in jedes Land einen Satellitenübertragungswagen stellen. Vielleicht nur aus Hamburg, Berlin, München und Frankfurt. Oder wir haben in der Halle die Dépendancen der einzelnen Bundesländer mit deren Vertretern. In der Arena Oberhausen gibt es eine Reihe mit Logen. Da könnten die einzelnen Ländervertretungen sitzen, vielleicht Prominente mit den jeweiligen Ministerpräsidenten.

TV SPIELFILM: Ob die wirklich kommen?

RAAB: Da gehe ich doch mal von aus, dass jedes Bundesland, dass einen Arsch in der Hose hat, seinen Ministerpräsidenten in die Arena Oberhausen schickt.

TV SPIELFILM: Wie haben Sie 1982 eigentlich Nicoles Grand-Prix-Sieg mit "Ein bisschen Frieden" erlebt?

RAAB: Ich war damals im Internat und hatte kein Heimfahrtswochenende. Das heißt, ich musste abends im Internat bleiben und durfte um diese Uhrzeit kein Fernsehen mehr gucken. Ich war also vorher Gott sei Dank im Bett und habe dann am nächsten Tag übers Radio, dass Nicole gewonnen hat.

TV SPIELFILM: Ach so, ich habe gedacht, das war ein magischer Moment, der Sie musikalisch beflügelt hat.

RAAB: Nein, ich habe es gar nicht live miterlebt, ich habe die Veranstaltung bis zu einem gewissen Punkt geguckt, aber dann musste ich ins Bett. Ich war damals in der 9. Klasse oder 10. Klasse und wir durften nur bis 22 Uhr fernsehen.

TV SPIELFILM: Wie groß ist Ihr Traum, doch noch mal den regulären Eurovison Song Contest als Sänger oder Produzent zu gewinnen?

RAAB: Das reizt mich nicht mehr. Das waren Supererlebnisse, bei diesen drei Grand Prix, an denen ich dann teils als Songschreiber, teils als Interpret dabei war. Ich habe aber auch, ehrlich gesagt, keinen Bock, eine Woche in der Ukraine in Kiew zu verbringen. Und das wird ja in den nächsten Jahren nicht besser. In fünf Jahren findet die Endausscheidung in Ulan Bator statt. Und irgendwann endet das in Peking.

TV SPIELFILM: Der Eurovision Song Contest dehnt sich nicht nur geographisch aus, sondern auch in seiner politischen Bedeutung. Einige Leute sagen, der Sieg der ukrainischen Sängerin Ruslana hat 2004 entscheidend zur Revolution im Land beigetragen. Sehen Sie das auch so?

RAAB: Nein. Da gibt es überhaupt keinen Zusammenhang. Das ist purer Zufall. Wahrscheinlich hätte die gleiche politische Entwicklung in der Ukraine auch ohne den Sieg von Ruslana stattgefunden und umgekehrt hätte wahrscheinlich Ruslana auch den Grand Prix ohne die politische Entwicklung gewonnen. Das hat miteinander nichts zu tun. Oder wollen Sie behaupten, dass der Boxsieg von Klitschko im Dezember mit der Entwicklung in der Ukraine zu tun hat? Er hatte zwar einen orangenen Lappen in der Hose, aber ich glaube nicht, dass sich die politischen Entwicklungen von solchen Sachen beeinflussen lassen.

Das Interview führte TV SPIELFILM-Redakteur Michael Scholten