Barbara Ludowika Phyllis Salesch ist eine der bekanntesten deutschen TV-Juristinnen. Die studierte Rechtswissenschaftlerin arbeitete unter anderem als Staatsanwältin in Hamburg und war Richterin am dortigen Landgericht.1991 wurde Salesch zur Vorsitzenden Richterin und Abteilungsleiterin in der Justizbehörde Hamburg ernannt. Von Oktober 2000 bis April 2012 spielte die heute 73-Jährige in der Fernsehsendung "Richterin Barbara Salesch" die Richterin in gestellten Gerichtsverhandlungen. Nach einer zehnjährigen Pause kehrte sie 2022 auf den Bildschirm zurück.
TVSpielfilm.de: Frau Salesch, sind Sie die deutsche Judge Judy?
Barbara Salesch: Theoretisch ja, faktisch nein.
Wie meinen Sie das?
Gemessen am Erfolg des Formats schon. Aber ich ticke ganz anders als Judge Judy. Sie führt Menschen gerne vor, ist knallhart. Die Amerikaner lieben das.
Sie können sich also nicht mit Judge Judy identifizieren.
Als ich seinerzeit von Filmpool - also der Produktionsfirma meiner Sendungen - angefragt wurde, haben mir die Verantwortlichen ein paar Folgen ihrer Gerichtsshow geschickt. Das war ja auch das Modell: echte Fälle als Schiedsgerichtsverfahren*. Nur habe ich gesagt: Wenn ihr eine Judge Judy sucht, dann bin ich die Falsche.
Keine deutsche Judge Judy also. Ins TV haben Sie es trotzdem geschafft. Früher mit der Sendung "Richterin Barbara Salesch", jetzt mit dem "Strafgericht". Wieso verhandeln Sie so gern im Fernsehen?
Im wirklichen Leben kann ich nicht mehr verhandeln. Ich bin 73.
Naja. Ihre Fernsehkarriere begann schon vor mehr als 20 Jahren. Sie sind eine echte Juristin, die den "echten" Gerichten den Rücken gekehrt hat.
Das stimmt. Mit 49 fand ich es interessant, ins Fernsehen zu gehen. In den 20 Jahren bei der Justiz in Hamburg hatte ich als Rechtswissenschaftlerin alles erreicht, was ich erreichen wollte und konnte. Ich war Staatsanwältin, Referentin und Abteilungsleiterin in der Justizbehörde, außerdem Vorsitzende Richterin. Irgendwann hatte ich alles gesehen. Die Dinge wiederholten sich.
Wir hatten es gerade schon angeschnitten. Aber jetzt nochmal genauer: Wie sind Sie zur Fernsehrichterin geworden?
Das war Zufall. Filmpool suchte nach einer Richterin. Geplant war ein Format mit echten Juristen und echten Fällen. Die Verantwortlichen hatten zuletzt auch meine Hamburger Landgerichtspräsidentin angesprochen. Sie fragten sie, ob sie jemanden in ihrem Bereich kenne, jemanden, der für die Rolle in Betracht käme. Sie hat sich an mich gewandt.
"Danach ist die Produzentin hereingestürmt: 'Das ist sie!'"
Wie haben Sie reagiert?
Ich war überrascht. Weil es um Zivilrecht ging, habe ich erst einmal abgelehnt. Ich befasste mich eigentlich nur mit Strafsachen. Nach einigen Gesprächen mit anderen habe ich meine Gerichtspräsidentin nochmal angerufen und ihr gesagt, dass sie meinen Namen doch weitergeben kann. Drei Wochen später bin ich zum Casting nach Köln gefahren und habe "probeverhandelt". Danach ist die Produzentin hereingestürmt und hat gerufen: "Das ist sie!"
Wie ging es weiter?
Beim "Schiedsgericht", also der Sendung, die "Judge Judy" nachempfunden war, haben wir echte Fälle verhandelt. Natürlich Zivilrecht. Das stieß aber nur auf mäßiges Interesse. Die Quoten waren nicht ausreichend, die Show wurde nach einem Jahr abgesetzt. Wir bekamen für den Nachmittag eine Stunde, die wir dann mit nachgestellten Strafrechtsfällen gefüllt haben.
Die Geburtsstunde von "Richterin Barbara Salesch".
Es war der Beginn eines riesigen Erfolgs. Wir haben im Oktober 2000 angefangen, an Weihnachten hatte "Richterin Barbara Salesch" eine Million Zuschauer, Weihnachten darauf zwei Millionen, Weihnachten darauf drei Millionen und Quoten bei Jung und Alt bis 35 Prozent.
Gerichtssendungen scheinen die Leute interessiert zu haben.
So ist es. Strafrecht interessiert eben immer. Das haben auch andere gemerkt. Nach einem Jahr kamen "Richter Alexander Hold" und "Das Jugendgericht" dazu. Nach einem weiteren Jahr "Das Strafgericht" und "Das Familiengericht". "Streit um drei" mit fiktiven Fällen aus dem Zivilrecht war schon da. Am Ende waren wir zu sechst.
Hat Sie das gestört?
Gestört ist vielleicht das falsche Wort. Ich fand es erstaunlich und manchmal auch ärgerlich. Verhindern lässt sich das Nachahmen aber sowieso nicht, nirgends. Erfolg wird auch beim Fernsehen gnadenlos kopiert. Dass sogar die Art, wie ich meine Drehbücher geschrieben habe, teilweise abgekupfert wurde, hat mich anfangs geärgert. Andererseits habe ich mich auch von meinen Kollegen inspirieren lassen. Ich habe zurückgeklaut.
"So etwas gehört nicht ins Nachmittagsprogramm"
Haben Ihre früheren Kollegen Sie manchmal wegen der Fernsehsendungen belächelt?
Manche schon. Sie konnten mit meiner Sendung nichts anfangen. Sie haben im Wesentlichen bemängelt, dass mein Format nicht den Gerichtsalltag zeige. Gekränkt hat mich das aber nicht. Mir hat gereicht, dass ein ehemaliger Präsident des Bundesgerichtshofs zu meiner Sendung sagte, man könne Menschen auch mit Mitteln der Unterhaltung Recht näherbringen. Natürlich ist das Ganze in erster Linie Unterhaltung. Es sind gespielte Fälle. Aber: Wir sind echte Juristen. Und die Sachverhalte, die wir zeigen, haben reale Hintergründe. Da steckt mehr Realität dahinter als in vielen anderen Bereichen.
Haben Sie sich jemals für einen Fernsehauftritt geschämt?
Nein, noch nie. Warum sollte ich? Manchmal habe ich zwar gedacht, das war jetzt echt nicht so prickelnd. Aber unangenehm waren mir meine Auftritte nie. Ich habe auch selten Fälle abgelehnt. In den knapp 2500 Sendungen meiner ersten Fernsehkarriere kam das nur dreimal vor.
Welche drei Fälle waren das?
Im Detail kann ich das nicht mehr sagen. Es waren Fälle, die einmal mit Kirche und zweimal mit ungewöhnlichen Sex-Praktiken zu tun hatten. Ziemlich zu Anfang. Dann hatten sie es begriffen. So etwas gehört nicht ins Nachmittagsprogramm.
Was wollen Sie mit Sendungen wie "Das Strafgericht" erreichen? Steckt dahinter ein tieferer Sinn?
Ich finde, das ist gut gemachte Unterhaltung. Die Zuschauer werden nicht dümmer, wenn sie die Sendungen schauen. Jeder kann die Inhalte verstehen. Natürlich dauert eine Gerichtsverhandlung im echten Leben selten nur 44 Minuten reine Sendezeit. Natürlich liegt nach so kurzer Zeit in der Regel kein Geständnis vor. Aber darum geht es auch nicht. Es sind einfach gut erzählte Geschichten, die nach einer Stunde enden. Fernsehen soll etwas Besonderes sein, nicht den Alltag abbilden. Den Alltag haben die Menschen zu Hause. Der reicht ihnen.
"Der Angeklagte ist nicht immer das pure Böse"
Aber die Menschen können aus den Gerichtsshows trotzdem etwas für ihren Alltag ableiten.
So ist es. Wenn sie es wollen. Natürlich kennen sie die grundlegenden Regeln. Niemanden verletzen, nicht stehlen, niemanden umbringen und so weiter. Aber manchmal läuft etwas schief und Sachverhalte sind selten so eindeutig, wie sie am Anfang scheinen.
Aber Gut und Böse gibt es doch trotzdem.
Na ja. Meistens eben nicht in dieser Deutlichkeit. Der Angeklagte ist nicht immer der pure Böse und es gibt nicht immer ein klares Motiv. Vieles entwickelt sich auch erst mit der Zeit. Das Opfer hat manchmal auch etwas zu seinem Schicksal beigetragen, hatte vorher vielleicht Streit mit dem Angeklagten oder hat ihn betrogen. Oder war in der Sekunde einfach unverschuldet am falschen Ort. Ich will in meiner Sendung genau das zeigen: Es ist nicht alles schwarz-weiß. Das Leben ist wesentlich differenzierter. Wir dürfen nicht einfach tun, was wir wollen. Das Gegenüber muss geachtet werden. Und wir dürfen auch nicht mit Gewalt in den Gegenangriff gehen, es sei denn in Notwehr zum Beispiel.
Was bedeutet für Sie persönlich Gerechtigkeit?
Das ist ein interessanter philosophischer Begriff. Mit dem Alltag, der Justiz und dem wirklichen Leben hat er nicht so viel zu tun. Gerechtigkeit in der Justiz bedeutet erst einmal ein Bemühen um Gerechtigkeit, indem wir Vergleichbares vergleichbar behandeln.
Vergleichbares vergleichbar behandeln?
Richtig. Ähnliche Situationen ähnlich behandeln. Nicht nach Lust und Laune handeln. Wenn jemand einen schweren Raub begangen hat, muss er vergleichbar behandelt werden wie eine andere Person, die einen schweren Raub begangen hat. Vergleichbar, aber eben nicht gleich. Die Umstände können komplett unterschiedlich sein. Wichtig ist vor allem eines: Nicht willkürlich entscheiden.
Sie sind nun schon so lange Juristin. Was hat sich in all den Jahren gesellschaftlich geändert?
Der Umgangston ist deutlich lockerer geworden. Früher galt eher: Das tut man und das nicht. Heute wird mehr auf den Einzelfall geachtet. Die Gesetze haben sich nicht geändert, aber die Menschen. Sie sprechen wenigstens etwas mehr miteinander.
"In der Regel wird niemand dazu gezwungen, sich zu betrunken"
Gibt es Entwicklungen im Bereich Kriminalität, die Ihnen Sorge bereiten?
Die Kriminalität ist eigentlich immer gleichgeblieben. Es sind eher gesellschaftliche Entwicklungen wie Respektlosigkeiten, die mich beunruhigen. Wenn zum Beispiel Sanitäter angegriffen werden, die eigentlich nur helfen wollen, frage ich mich, warum das so ist.
Oft ist Alkohol eine Begründung.
Das interessiert mich als Entschuldigung nicht die Bohne. Wer säuft, kann auch die Konsequenzen für sein Verhalten tragen. In der Regel wird niemand dazu gezwungen, sich zu betrinken. Heutzutage sind die Menschen ichbezogener als noch vor Jahren, jedenfalls kommt es mir so vor. Das ist okay, aber es gibt Grenzen. Es gilt immer die goldene Regel: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Damit ist eigentlich alles gesagt.
Es gab viele heftige Verbrechen in den vergangenen Monaten. Zum Beispiel die 12-jährige Luise, die mit 70 Messerstichen von Gleichaltrigen getötet wurde. Oder der Messerangriff im Zug bei Brokstedt. Ist unsere Welt schlechter geworden?
Nein, das möchte ich so nicht sagen. Die Welt ist transparenter geworden. Man erfährt mehr als früher. Mir fällt aber eine gewisse Gleichgültigkeit und Ichbezogenheit auf: Was andere machen und fühlen, interessiert mich nicht. Hauptsache, ich habe es oder kann es. Das ist eine Tendenz, die problematisch ist. Ein Mensch ist kein Ich, sondern ein Du und ein Ich. Das muss gewahrt bleiben.
Wie kann so etwas aus der Balance geraten?
Ich denke, das ist die Schattenseite eigentlich positiver Entwicklungen. Das Internet und die sozialen Medien sind zum Beispiel gute Instrumente, um miteinander zu kommunizieren. Wir können uns vernetzen, am Leben des jeweils anderen teilhaben, auch von weit weg. Theoretisch sehr positiv. Aber es gibt auch Menschen, die nicht damit umgehen können. Die Hassnachrichten verschicken und die Anonymität des Internets ausnutzen. Das sind Leute, die denken: Mir kann ja keiner was. Dazu die ewigen Gewaltspiele. Das bleibt nicht folgenlos. Und wenn Eltern nur mit dem Handy in der Hand durchs Leben stolpern, dann verspricht das für den Nachwuchs nicht nur Gutes.
"Das war eine ausgesprochen gute Entscheidung"
Wie helfen Gerichtsshows, die Welt besser zu machen?
Das können sie nicht und das ist auch viel zu hoch gegriffen. Die Welt ist ein Planet mit bald acht Milliarden Menschen, die alle mehr oder weniger miteinander auskommen müssen oder sollten. Mit den zwei Millionen, die noch vor 10.000 Jahren auf der Welt lebten, dürfte es in der Theorie einfacher gewesen sein. Die Welt ist in ständiger Veränderung. Mal in eher positiver, mal in eher negativer. Wir zeigen den Menschen, was verboten ist, welches Verhalten nicht in Ordnung ist und was wie bestraft wird. Meistens wissen sie das längst. Einige haben aber ein Problem damit, diese Regeln umzusetzen.
Hilft Abschreckung?
Das funktioniert in den wenigsten Fällen, leider auch bei größeren Delikten nicht und bei spontanen Taten sowieso nicht. Nur beim Thema Führerschein und Alkohol scheint das anders zu sein. Die meisten Menschen fahren nicht betrunken Auto, weil sie befürchten, einen Unfall zu bauen oder jemanden zu verletzen. Sollte man denken. Aber die Erfahrung zeigt: Sie fahren deshalb nicht, weil sie Angst haben, ihren Führerschein zu verlieren.
Wie fühlt es sich heute für Sie an, ins Fernsehen zurückgekehrt zu sein? Das ist jetzt knapp ein Jahr her.
Das war eine ausgesprochen gute Entscheidung. Ich wusste zwar nicht, ob es läuft. Das habe ich nur gehofft. Aber das Jahr hat gezeigt: Es läuft sogar sehr gut, die Fälle sind irgendwie besser, frischer und es macht mir wieder echt Spaß.
Was hat Sie in all den Jahren als Fernsehrichterin stolz gemacht?
Meine gute Zusammenarbeit mit meinem Team vor und hinter der Kamera. Es war und ist nicht mein, sondern unser Erfolg. Ich muss auch nichts tun, was ich nicht akzeptieren kann – das wäre mit einer Richterin eh schwierig. Außerdem liebe ich Verhandlungen. Im echten Leben – und im Fernsehen.
"Barbara Salesch – Das Strafgericht" läuft montags bis freitags um 15 Uhr auf RTL. Ab dem 4.9.2023 gibt es neue Folgen.
*privates Gerichtsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten, welches nicht vor einem ordentlichen Gericht stattfindet, sondern vor einem institutionellen Schiedsgericht oder einem Gelegenheitsschiedsgericht, Anm. d. Red.