Der zu Discovery gehörende Sender TLC startet am 31. Oktober um 22.15 Uhr ein neues True Crime-Format: "Haustyrann" zeigt Fälle, in denen ein misshandelter Ehegatte seinen Partner ermordet.
Tatsächliche Verbrechen werden bei "Haustyrann" durch Interviews und authentische Reenactment-Szenen "emotional dargestellt". Zugleich wird beleuchtet, was eine Person dazu bewegt, solche Taten zu begehen und wie Gerichte letztlich auch die Tyrannei seitens des späteren Opfers bewerten.
In der ersten Folge, dem "Tortenschneider-Fall, geht es um Barbara M., die ihren Mann im Schlaf mit 17 Messerstichen und versucht dann, die Leiche mit einem elektrischen Küchenschneider zu zerteilen.
Über diesen und die anderen Fälle sprach tvspielfilm.de mit Deutschlands bekanntester Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen, die auch bei dem TLC-Format als Expertin im Einsatz ist.
Sie hat über an die 600 Fälle beobachtet
Frau Friedrichsen, wir haben uns die "Haustyrannen"-Fälle schon mal angeschaut. Eine Frau ersticht ihren Mann im Schlaf, eine andere erschießt ihn … Sind die dargestellten Fälle Extremfälle oder normal?
Nein, das sind schon Ausnahme- und Extremfälle. Für Mord ist ja "lebenslang" vorgeschrieben, aber für eben diese Grenzfälle, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, von der zwingenden Verhängung des "lebenslang" abzusehen und die Strafe zu mildern. Es gibt sicher viel häusliche Gewalt, aber im Normalfall endet sie nicht so schrecklich, wie sie in diesen Fällen dann geendet hat.
Wie lange sind Sie jetzt schon Gerichtsreporterin?
Ich habe 1989 beim Spiegel angefangen. Vorher habe ich schon bei der FAZ ab und zu einmal eine Gerichtsreportage geschrieben, aber nicht ausschließlich, nur wenn ich gerade durfte. Das haben die Länderkorrespondenten gemacht. Wenn einer keine Lust hatte, durfte man als normaler Redakteur irgendwo hinfahren. Das habe ich ein paar Mal genutzt und so mein Interesse an diesen Fällen entdeckt.
Über wie viele Fälle haben Sie denn bislang berichtet, wissen Sie das ungefähr?
Rechnen Sie mal: Ich habe beim Spiegel 20 Geschichten pro Jahr geschrieben. Dort war ich 27 Jahre lang. Bei der FAZ hatte ich auch schon ein paar Gerichtsreportagen geschrieben, und für die Welt, bei der ich seit 2016 bin, mache ich das weiter.
"Die Frau ist irgendwann seelisch kaputt"
Ihnen gefällt Ihr Beruf offensichtlich.
Ja, das kann ich wirklich sagen. Ich habe über die ganzen großen und die wichtigen Fälle berichtet. Und ich habe durch meine Berichterstattung – das ist jetzt nicht meine Eitelkeit – manche rechtspolitische Diskussion angestoßen: Zum Beispiel über falsche Geständnisse. Oder seinerzeit in den 90er-Jahren die überbordende Diskussion um sexuellen Missbrauch, die dann dazu geführt hat, dass man Kindern in Kindergärten und so eingeredet hat, sie seien missbraucht worden. Dann gab es diese Massenbeschuldigungsverfahren usw. Da habe ich praktisch gegen die ganze deutsche Journaille geschrieben, weil ich nicht davon überzeugt war, dass da die schlimmsten Kinderschänder aller Zeiten angeklagt waren. Und es war nichts, gar nichts dran.
Darf ich nochmals auf das TLC Format zurückkommen? Haben Sie in Ihrer eigenen Tätigkeit auch solche Fälle erlebt, die dort Thema sind, also diese Morde innerhalb des Familienkreises?
Ja, bei diesen "Haustyrannen"-Fällen ist einer dabei, den ich selbst verfolgt habe. Auf diesen habe ich auch die Produktionsfirma hingewiesen und den Kontakt hergestellt. Das ist der Fall "Der eingebildete Haustyrann", wo die Frau den Mann tötet, weil sie denkt, er tue ihr und den Kindern etwas an.
Was glauben Sie, warum es in Fällen wie diesen bis zum Mord kommt?
Bei dem klassischen Haustyrannenmord, bei dem der Mann die Frau über Jahre hinweg misshandelt, traktiert und möglicherweise auch noch die gemeinsamen Kinder einbezieht, ist die Frau irgendwann so kaputt, seelisch und körperlich so zermürbt und zerrüttet, dass sie wirklich in der Tötung den einzigen Ausweg sieht. Ich habe schon Fälle erlebt, die so fürchterlich gewesen sind, dass man sich nicht fragt, warum hat die Frau das gemacht, sondern wie kommt ein Mann dazu, sich wie eine Bestie aufzuführen?
Das nimmt meine nächste Frage ja schon vorweg. Verspüren Sie in solchen Fällen Solidarität mit den Tätern oder Täterinnen?
Auf mich kommt es nicht an. Natürlich hat man als Beobachter und als Person, die darüber schreibt, auch irgendwelche Gefühle. Aber damit muss man als Journalist umgehen können. Ich bin darauf trainiert, immer beide Seiten zu sehen und die Situation nach Möglichkeit so zu beschreiben, dass sie der Wirklichkeit sehr, sehr nahekommt.
Und die Richter?
Ich habe schon Richter erlebt, die nicht nur wie Automaten handeln, die im Gesetzbuch nachblättern und sagen, das steht da drin, das verhängen wir jetzt. Nein, der gute Richter zeichnet sich dadurch aus, dass er versucht zu ergründen, wen er vor sich hat und warum dieser Mensch so gehandelt hat.
Sie sehen das auch bei den verschiedenen Fällen, die TLC zeigt: Es wird von den Gerichten sehr differenziert, ob es für den Täter oder die Täterin zumutbar gewesen wäre, einen anderen Weg zu gehen. Aber es gibt auch Fälle, bei denen all diese Wege abgeschnitten waren, zumindest aus dem subjektiven Empfinden der Person heraus, die zur Waffe gegriffen hat.
"Darüber konnte ich nicht schreiben"
Gab es denn überhaupt schon mal einen Fall, wo Sie gesagt haben: "Tut mir leid, der ist so schlimm, das kann ich nicht"?
Ich war noch nicht lange beim Spiegel, da hatte ich so einen Fall. Es stand eine junge Frau vor Gericht, die ihr Baby getötet hatte. Vorher hat das Kind unentwegt geschrien, gespuckt, es war fürchterlich. Das führte dazu, dass der Vater gar nicht mehr nach Hause kam, weil er es nicht ertragen konnte. Die junge Frau stand völlig allein da und wollte eine ganz besonders gute Mutter sein. Sie wollte ein strahlendes, gedeihendes, süßes Kind haben. Und das war es nicht. Es hat immer nur geschrien. Dann hat sie angefangen, es zu schlagen. Eines Tages war es tot. In dem Gericht saßen fünf Männer, drei Berufsrichter und zwei Schöffen, und der ganze Saal war hinten voll mit älteren Damen, die sich alle am Anfang maßlos aufgeregt haben. Als ich dann Einblick in die Nöte der Frau bekommen habe, habe ich in der Mittagspause in Hamburg angerufen und gesagt: "Ich halte das nicht aus. Ich kann das nicht, ich kann darüber nicht schreiben. Das ist ja so fürchterlich."
Haben Sie den Fall dann nicht geschrieben?
Ja, ich hatte das große Glück, dass ich mit Gerhard Mauz (G.F. Vorgänger als Gerichtsreporter beim Spiegel) einen Mentor hatte, der solche Zustände kannte und das alles auch schon erlebt hat. Ich musste ihm schildern, was mich so weit gebracht hat, zu sagen, ich höre auf. In dem Moment, in dem man dann anfängt Worte dafür zu finden, hat man es schon im Griff.
"Was sich vor Gericht abspielt, ist immer ein Spiegel der Gesellschaft"
Nach so vielen Jahren, denken Sie nicht mal an den Ruhestand? Was treibt Sie an, weiterzumachen? Sie könnten doch auch an der Côte d'Azur oder auf Mallorca sitzen?
Das ist richtig. Aber wissen Sie, die Zeiten ändern sich. Und was sich vor Gericht abspielt, ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Man hat heute mit ganz anderen Sachen zu tun und auch die Strafjustiz hat sich geändert. Ich denke mir auch manchmal, ich habe doch schon alles gemacht, es gibt doch gar nichts Neues mehr. Aber nein, ganz im Gegenteil: Jeder Fall ist neu, jeder Fall ist anders, jedes Mal erfährt man wieder etwas über den Menschen an sich und über die ganz spezifische Situation, in der gehandelt wurde. Ich muss sagen, das ziehe ich jedem Aufenthalt an der Côte d'Azur vor.
Noch eine letzte Frage, bei so viel Spannung und Aufregung im Berufsleben: Schauen Sie auch privat Krimis?
Ja, ich gucke privat Krimis, aber ich sehe mir diese natürlich mit professionellem Interesse an, weil ich mich frage, welche Stoffe werden aufgenommen. Einem Tatort kann ein tatsächlicher Fall zugrunde liegen, der schon eine Weile her sein kann. Wenn man sich damit beschäftigt, weiß man, um welchen Fall es geht, oder es sind mehrere Fälle, die zusammengestrickt werden. Es interessiert mich, wie das gemacht wird und wie es in den verschiedenen Medien aufbereitet wird. Gelingt das, gelingt das nicht? Ich lese oder schaue Krimis nicht, weil ich die Spannung brauche oder den Kitzel des lange Nichtwissens, wer es war, sondern ich gucke nach der Machart. Die Spannung im Gerichtssaal ist oftmals viel, viel, viel höher und viel intensiver.
Wer ist Ihr Lieblingsermittler, Ihre Lieblingsreihe?
Ich muss gestehen, das sind eigentlich die nordischen Krimis von Wallander oder Beck und die, die immer an einzelnen Figuren festgemacht sind. Oder ich lese jetzt gerade Jo Nesbø. Da interessiert mich eben auch, wie macht der das? Wie schreibt der einen Roman über so eine Geschichte?
"Haustyrann" läuft ab dem 31. Oktober um 22:15 Uhr auf TLC in deutscher Erstausstrahlung