"Auf, auf, auf in die Champions League - und nach jedem Sieg singen wir das Lied..." Nichts dokumentiert die Schnelllebigkeit des Fußballs derzeit besser als der letzte große Tribünenhit im Mönchengladbacher Borussia-Park. Vor ein paar Monaten noch musikalischer Vorbote einer womöglich goldenen Zukunft, klingt die Hymne heute wieder fast so angestaubt wie der in den 70er-Jahren begründete Mythos des Vereins.

Dabei hatte die Borussia nach der glanzvollen vergangenen Saison und dem erstmaligen Erreichen der Champions League gehofft, den alten Erfolgsgeschichten der legendären Fohlen-Elf endlich ein modernes Sequel hinzufügen zu können. Vor vier Jahrzehnten hatten Spieler wie Günter Netzer und Jupp Heynckes unter anderem fünf deutsche Meisterschaften und zwei UEFA-Pokalsiege geholt.
Als am 20. August die vom vereinseigenen "Fohlen TV" unterstützte Jubeldoku "Die Elf vom Niederrhein" von René Hiepen auf DVD erschien, konnte keiner ahnen, dass der Inhalt bereits kurze Zeit später richtig wehtun würde, besonders eine Anekdote von Granit Xhaka. Der Mittelfeldspieler hatte alle Eckdaten seines Auftritts im rheinischen Derby gegen Köln im Februar auf dem Smartphone gespeichert, um ihn nie zu vergessen. Sein Tor zum 1 : 0 hatte die Partie in der Nachspielzeit entschieden. Vier Wochen nach Veröffentlichung des Films war es ausgerechnet eine 0 : 1-Pleite im 100. Pflichtspiel ­gegen den Erzrivalen, die den Club nach dem schlechtesten Saisonstart der Vereinsgeschichte in schwere Turbulenzen stürzte. Die im Film gefeierte Ära Lucien Favre, der den Aufschwung seit 2011 sportlich verantwortete, war nach fünf Bundesliganiederlagen in Folge schlagartig vorbei.

Favre-Rücktritt als Brustlöser

Dass Mönchengladbach deshalb wohl noch etwas länger auf den ersten Titel seit dem DFB-Pokalsieg von 1995 warten muss, kann die leidensfähigen Anhänger des Clubs nicht schocken. Sie haben gelernt: Bei der Borussia muss man immer mit dem Schlimmsten rechnen.

Wobei sich der Schock, den Favre mit seinem Rücktritt am 19. September auslöste, zunächst als Initialzündung erwies. Die bis dahin sieglose Elf spielte im folgenden Bundesligaheimspiel gegen Augsburg plötzlich auf, als hätte es die sportliche Krise nie gegeben. Zur Pause stand es 4 : 0 - und aus den üblichen "Einen Punkt sollten wir sicher haben"-Sprüchen staunender Fohlen-Fans klang nur wenig echter Zweifel.

Dass die Mannschaft dem ersten Saisonerfolg (am Ende stand es 4 : 2) unter Interimscoach An­dré Schubert zwei weitere Dreier (in Stuttgart und gegen Wolfsburg) folgen ließ, sorgte auch bei Sportdirektor Max Eberl erstmals seit Wochen wieder für entspanntere Gesichtszüge. Doch die Frage, warum nach Borussia Dortmund im letzten Jahr nun auch die Borussia aus Mönchengladbach so jäh in einen Abwärtssog geraten konnte, hat er noch nicht beantwortet.

Dass nach Marco Reus und Dante (deren Weggang Gladbach 2012 noch den Einzug in die Champions League gekostet hatte) mit Christoph Kramer und Max Kruse erneut zwei Leistungsträger ersetzt werden mussten, reicht als Erklärung jedenfalls nicht aus.

Schalke spielt Schicksal

Macht die Krise also nur eine Pause? Sieben Tage im Oktober könnten für Eberl, der seinen Vertrag kurz nach Favres Rücktritt bis 2020 verlängert hat, besonders aufschlussreich werden: Am 21. Oktober muss Mönchengladbach in der Champions League bei Juventus Turin bestehen (20.45 Uhr, live im ZDF).

Wobei in der Königsklasse mit Blick auf die schwere Gruppe (neben Juve der FC Sevilla und Manchester City) ohnehin von Anfang an das Motto "Lernen, lernen, lernen" galt. Wichtiger für die sportliche Weichenstellung werden deshalb zwei Begegnungen mit Schalke 04. Zunächst das Bundesligaduell am 25.10. im Borussia-Park, drei Tage später dann das DFB-Pokalspiel "auf Schalke".

Eberl hat sicher nicht vergessen, dass Lucien Favre sein Debüt als Trainer der Borussia 2011 gegen die Königsblauen gab. Der 2 : 1-Erfolg des damaligen Tabellenschlusslichts war der erste Heimsieg nach elf vergeblichen Anläufen. Aber von der Schnelllebigkeit des Fußballs war ja bereits die Rede...

Frank Steinberg

Schalke - Möchengladbach
MI, 28.10., ARD, 20:15 Uhr