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DINOSAURIER

Aktenzeichen XXL

Big ist nicht nur beautiful: Forscher finden neue Erklärungen dafür, warum die Dinosaurier so riesig wurden (SA, 2.7.)

Edward Drinker Cope hatte schon viele Saurierknochen aus den Hängen der Rocky Mountains gekratzt. Doch das Stück, das der amerikanische Naturforscher 1878 in Colorado entdeckte, stellte sie alle in den Schatten. Dabei handelte es sich um nicht mehr als einen Knochensplitter, genauer: den Teil eines Wirbels. Mit seiner Länge von zweieinhalb Metern war das Fragment jedoch das mit Abstand größte seiner Art, das je gefunden wurde. Cope berechnete, dass Amphicoelias fragillimus, wie er die neu entdeckte Art taufte, mehr als 60 Meter lang und bis zu 170 Tonnen schwer gewesen sein muss - selbst für Dino-Verhältnisse ist das gigantisch.

Nie wandelten größere Landtiere auf unserem Planeten als im Erdmittelalter, das vor 250 Millionen Jahren mit dem Auftauchen der Dinos begann und vor 60 Millionen Jahren mit ihrem Aussterben endete. Pflanzenfresser wie der Brachiosaurus hätten mühelos Balkonkästen im sechsten Stock abgrasen können. Und der massige Argentinosaurus hatte das Gewicht von acht LKW-Zugmaschinen.

Survival of the fattest

Naiv könnte man annehmen, das junge Leben hätte damals einfach mal an die Grenzen gehen wollen und austesten, was möglich ist. Doch so funktioniert Evolution nicht. Der Riesenwuchs der Urviecher kann nur einen Grund gehabt haben: Er brachte ihnen handfeste Vorteile im Kampf ums Überleben. Die Frage ist nur: Worin bestanden diese Vorteile? Und warum endete mit der Dino-Ära das biologische Prinzip das Gigantismus?

Ein Nutzen von Größe liegt auf der Hand: Je größer ein Tier ist, desto weniger natürliche Feinde hat es. Den Angriff eines Tyrannosaurus konnte ein ausgewachsener und gesunder Brontosaurus vermutlich mit einem lässigen Schwanzhieb abwehren. Doch seine ungeheuren Körpermaße brachten auch Nachteile mit sich. Die Riesenbiester brauchten Unmengen Futter. Zum Glück herrschte damals ein feuchtwarmes Klima, so dass das Grün üppig wucherte. Außerdem war der Sauerstoffgehalt der Luft höher. Das steigerte den Energielevel der Tiere. So wie Grillkohle aufglimmt wenn man pustet, machte die Luft der Kreidezeit Tiere schnell, stark und groß.

Und damit auch schwer. Eine besonders ausgefeilte Statik verhinderte, dass die Kolosse unter ihrer eigenen Masse zusammenbrachen. Wie eine Hängebrücke war die Wirbelsäule über Knochenfortsätze und Sehnen verspannt. Hohlräume in den Knochen halfen wie bei ihren Nachfahren, den Vögeln, Gewicht einzusparen. Eine Art zweites Gehirn im Beckenbereich verkürzte den Weg der Nervenimpulse durch sattelzuglange Dino-Leiber. Damit sie es nicht erst morgen merkten, wenn ihnen ein T-Rex in die Schwanzspitze biss.

Riesen frieren nicht

Doch war es wirklich nur ein besserer Schutz vor Räubern, der den Riesenaufwand nötig machte? Die entscheidende Rolle spielte wohl ein Umstand, der erst seit Kurzem bekannt ist: Dinosaurier waren vermutlich keine wechselwarmen Tiere wie heutige Reptilien, sondern die ersten Lebewesen, die ihre Körpertemperatur teilweise selbst regulieren konnten. Größe war ein Mittel gegen Wärmeverlust. Denn je größer ein Tier ist, desto kleiner ist seine Oberfläche im Verhältnis zum Volumen, und desto weniger Wärme verliert es über die Haut an die Umgebung. Der britische Dino-Forscher Lambert B. Halstead hat ausgerechnet: Bei einem 30 Tonnen schweren Brontosaurus würde es 80 Stunden dauern, bis seine Körpertemperatur nur um ein Grad gesunken ist.

Sein Kollege Edward Drinker Cope konnte davon vor mehr als 130 Jahren noch nichts wissen. Zumal er nur wenig Gelegenheit hatte, seinen Sensationsfund unter die Lupe zu nehmen. Kaum ausgebuddelt, verschickte ihn Cope zur weiteren Untersuchung nach New York. Doch dort ist er nie angekommen. Während der Zugfahrt ist das Jahrmillionen alte Stück Knochen zu Staub zerbröselt.

Christian Holst