Kinobetreiber, die unter 16-Jährigen den Eintritt in einen FSK-12-Film verweigern. Ein öffentlich-rechtlicher Sender, der zur Primetime einen Film über widerwärtige Pornopraktiken zeigt. Eine Schulkomödie auf Platz eins der Kinocharts, die ihre jungen Zuschauer mit vulgären Untenrum-Witzen bombardiert. Versagt der Jugendschutz in Deutschland?

Den Eindruck haben viele. Die umstrittene FSK-12-Freigabe von "Blade Runner 2049", die 20.15-
Uhr-Ausstrahlung der "Tatort"-Folge "Hardcore" und die derben Zoten in "Fack ju Göhte 3" bestätigen, was Eltern, aber auch selbst ernannte Tugendwächter immer wieder anprangern: Auf FSK-Siegel ist kein Verlass. Stimmt das?

Wir haben uns durch den Dschungel des deutschen Jugendschutzrechts geschlagen und entdeckt: Über wenige Institutionen sind so viele Missverständnisse im Umlauf wie über die Freiwil­lige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Hier zehn der häufigsten Irrtümer.

Die FSK zensiert Filme

Falsch. Sie kann verlangen, dass Szenen rausgeschnitten werden, wenn ein Verleiher oder Vertrieb (aus wirtschaftlichen Gründen) eine großzügigere Jugendfreigabe anstrebt.

Jeder Film muss der FSK vorgelegt werden

Stimmt nicht. Aber ohne ihre Freigabe gilt im Kinosaal automatisch: Kein Zutritt unter 18 Jahren. Darum kommen praktisch nur geprüfte Filme auf die Leinwand. DVDs dürfen ohne FSK-Siegel nicht offen in Geschäften und Videotheken ausliegen.

Die FSK setzt Filme auf den "Index"

Irrtum. Dafür ist die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zuständig. Stellt sie eine ­Jugendgefährdung fest, darf ein Film ausschließlich Erwachsenen zugänglich gemacht, nicht im Fernsehen gezeigt und nicht beworben werden. Sind Inhalte sogar strafrechtlich relevant, verhängt sie ein Verbreitungsverbot.

Die FSK urteilt zu lax

Verleih

Ansichtssache. Die Maßstäbe im Jugendschutz unterscheiden sich von Land zu Land. In den USA reagieren Jugendschützer sehr empfindlich auf Nacktheit und Vulgärsprache. Die "Fack ju Göhte"-Reihe hätte dort keine Chance auf eine Jugendfreigabe. Gewaltdarstellungen sehen die Amerikaner aber eher locker. In Frankreich kommen 70 Prozent aller Filme ohne jede Altersbeschränkung in die Kinos.

Die FSK prüft Filme nach gesetzlich festgelegten Kriterien

Nicht wirklich. In § 14 des Jugendschutzgesetzes heißt es: Filme, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen [...] zu beeinträchtigen, dürfen nicht für ihre Altersstufe freige­geben werden. Was genau eine Beeinträchtigung ist, und wodurch sie verursacht werden kann, lässt das Gesetz offen.

Die FSK-Prüfer entscheiden nach Bauchgefühl

Teils, teils. Tatsächlich folgen die Prüfer keinem festen Regelkatalog ("nackte Brüste ab 16"). Sie orientieren sich an Kriterien, die auf Ergebnissen der Medienforschung und Entwicklungspsychologie fußen, aber sehr allgemein formuliert sind. Das ermöglicht es, bedenkliche Inhalte differenziert und im Gesamtzusammenhang zu bewerten. Es hat aber auch zur Folge, dass man über viele Urteile streiten kann und manche Entscheidung für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist.

FSK-Entscheidungen gelten für immer

Verleih

Keineswegs. Filmverleiher können Berufung einlegen und eine neue Prüfung verlangen. Im Fall von "Blade Runner 2049" (Bild) wurde so eine Herabsetzung der Freigabe von FSK 16 auf FSK 12 erreicht. Filme, deren Begutachtung viele Jahre zurückliegt, bewerten die Prüfer gelegentlich neu, weil sich die Vorstellungen von Sitte und Moral im Lauf der Zeit wandeln. So wurde der Fünfzigerjahre-Skandalfilm "Die Sünderin" 1994 von FSK 18 auf FSK 12 herabgestuft.

Die FSK ist fürs Privatfernsehen zuständig

Nein. RTL, Pro Sieben & Co. lassen eigene Produktionen von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) prüfen. Deren Arbeit wird im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) geregelt, der unter anderem Sendezeiten an Altersfreigaben knüpft. So dürfen ab 18 freigegebene Sendungen erst ab 23 Uhr ausgestrahlt werden, für "ab 16" gilt 22 Uhr und für "ab 12" 20 Uhr als früheste Anfangszeit. Wurden ­Kinofilme bereits von der FSK geprüft, ist deren Freigabe auch für den Bildschirm gültig. Ausnahmen von dieser Regel können die Sender bei der FSF beantragen.

Die FSK ist für ARD und ZDF zuständig

Noch mal nein. Auch für die ­Öffentlich-Rechtlichen gilt der JMStV. Doch im Unterschied zu den Privatsendern überprüfen ARD und ZDF ihre Sendungen selbst. Sie sind quasi ihre eigene FSK. Verantwortlich sind die Jugendschutzbeauftragten der Sender - die im Fall von "Tatort: Hardcore" grünes Licht für 20.15 Uhr gegeben haben. Die oberste Kontrolle üben Rund­funkräte und Fernsehrat aus. Bei FSK-geprüften Kinofilmen gelten die Sendezeitregeln des JMStV. Kurios: Die Sender dürfen sich hier selbst Ausnahmegenehmigungen erteilen. Arte fällt als deutsch-französischer Sender nicht unter den deutschen Staatsvertrag. Darum ist dort am 17.12. der FSK-18-Western "Zwei dreckige Halunken" schon um 20.15 Uhr zu sehen.

FSK-Siegel sind pädagogische Empfehlungen

Großes Missverständnis! Die Jugendschützer haben den gesetz­lichen Auftrag, zu prüfen, ob ein Film Kinder und Jugendliche bestimmter Altersstufen in ihrer Entwicklung beeinträchtigen könnte. Die FSK-0-Freigabe der Doku "Alptraum Atommüll" heißt noch lange nicht, dass der Film tatsächlich etwas für Kleinkinder ist! Andersherum ist mancher FSK-12-Film sehr wohl schon für Achtjährige geeignet. Das Problem ist hier, dass das Jugendschutzgesetz keine Altersabstufungen zwischen 6 und 12 vorsieht. Für Kinofilme liefert die Website kinofenster.de praxisnahe Altersempfehlungen, für das Kinderprogramm im Fernsehen leistet das, wie unsere Leser wissen, TV SPIELFILM.