.

Darts: Der letzte Pfeil

Darts: Der letzte Pfeil
Shutterstock

Rekordweltmeister Phil Taylor überlässt die große Bühne nach der WM jüngeren Kollegen und scheitert ausgerechnet im Finale an dem 27-jährigen Rob Cross.

Nicht zu glauben! Kaum hatte Phil Taylor 1990 den ersten seiner bis heute 16 WM-Titel gewonnen, da versagten dem Champ in der TV-Gameshow "Bullseye" die Nerven. Neun Würfe in Folge die einfache statt der Triple-20. Macht er sonst mit verbundenen Augen. Die bedeckt er nach dem peinlichen Auftritt mit der Hand, lässt die Schultern hängen, murmelt konsterniert: "Sorry." Was noch heute auf YouTube zu besichtigen ist, zeigt exemplarisch, was Taylor seit jeher stark macht: unstillbarer Ehrgeiz, der jede, aber wirklich jede Niederlage ­nahezu unerträglich macht. Gepaart mit einem Fleiß, der eine ganze Sportart in neue Sphären katapultiert hat.

Taylor, der Darts-Arbeiter
In den 90er-Jahren war Taylor der Einzige, der Darts schon als Profisport betrachtet und entsprechend trainiert hat. Ihm war klar: Das ist jetzt dein Beruf, da muss man sieben, acht Stunden am Tag ran. Und Taylor arbeitet Darts, im wahrsten Sinn des Wortes. Bis zu seinem 28. Lebensjahr ging das Arbeiterkind für 70 Pfund die Woche in einer Fabrik schuften, heute geht er nach dem Frühstück in sein Darts-Büro und wirft drei Stunden lang Pfeile. Nach der Mittagspause das Ganze dann noch einmal. Fast so monoton wie ein Job am Fließband, aber dank zigtausendfacher Wiederholung wesentlich lukrativer. Noch immer soll Taylor nach Turniersiegen umrechnen, wie lange er für das Preisgeld in der Fabrik hätte ackern müssen.

Lohnt sich das? Bei Taylor muss sich alles auszahlen
Wer wie Taylor in einem Haus aufwächst, in dem verglaste Fenster nicht zum Wohnstandard gehören, schätzt materielle Dinge womöglich besonders. Ich kann mich jedenfalls kaum an ein Gespräch mit ihm erinnern, das sich nicht um Geld drehte oder um ­irgendwelche Anschaffungen. Mal ging es um einen blauen Ferrari - den er wieder abbestellen musste, weil seine damalige Frau in dem Sportwagen ­einen Groupie-Magneten erkannt ­hatte -, mal auch nur um die Vorzüge ­einer Miele-Waschmaschine.

Trainieren mit dem Weltmeister
Bei dem Versuch, seinen Ausnahmestatus zu verteidigen, beweist Taylor immer wieder psychologisches Geschick. Aufstrebende Gegner bat er früher gern zum gemeinsamen Training. Dann wurde so lange gespielt, bis er die jungen Kerle nach Belieben schlug. So impfte er ihnen ein, dass "The Power" für sie auch auf der ­großen Bühne unbesiegbar ist. Unter ­anderem hat er sich auf diese Weise Dennis Priestley geschnappt, der ihn allerdings bei der ersten PDC-Weltmeisterschaft 1994 dann doch im Finale besiegte.

Immer auf der Suche nach dem entscheidenden Vorteil
Kein anderer Spieler ist so darauf ­bedacht, sich durch vermeintliche Kleinigkeiten weiter zu verbessern. Als die Superzeitlupen bei den TV-Übertragungen aufkamen, hat Taylor sofort die Chance erkannt: Erstmals war es möglich, genau zu schauen, wie sich ein Dart im Flug verhält. Also hat er in seinem Darts-Büro Kameras aufgestellt, die Flugphase analysiert und seine Pfeile mithilfe eines Ballis­tikers bearbeitet.

Fokussiert aufs letzte Ziel
Taylor wäre nicht Taylor, wenn er sich nicht auch auf seinen letzten großen Auftritt bei der WM akribisch vorbereiten würde. Inklusive psychologischen Vorgeplänkels mit Titelverteidiger Michael van Gerwen, der 2017 ein "ganz gutes Jahr" gehabt habe, aber nach der Geburt seiner Tochter doch ein wenig abgelenkt wirke. Und wenn der letzte Pfeil geworfen ist? Endlich mehr Zeit, sich um die Enkelkinder zu kümmern? Von wegen: Für 2018 hat der 57-Jährige 170 Schaukämpfe vereinbart. Los geht es gleich nach der WM mit einer sechswöchigen Tour durch Australien. Warum so rastlos, habe ich Taylor vor Kurzem gefragt. "Es muss doch weitergehen, ich kann ja jetzt nicht einfach aufhören." Eingebläut hat ihm das sein Vater. Statt der ersehnten Anerkennung nach Turniersiegen bekam sein Phil zu Hause meist nur eine Frage zu hören: Okay, was nun?

Phil Taylor verpasst 17. WM-Titel

Phil Taylor gewann 1990 seinen ersten WM-Titel, also in dem Jahr, in dem Rob Cross, sein Endgegner, geboren wurde. Dieser 27-jährige Neuling im Dartssport deklassierte den Altmeister Taylor scheinbar nach Belieben. Beim 7:2-Finalerfolg im Londoner Alexandra Palace wirkte der 30 Jahre ältere Taylor jedenfalls chancenlos. Und der frischgebackene Weltmeister Rob Cross könnte nun in seine Fußstapfen treten.

Der Außenseiter spielte so souverän, dass sein einziger Moment der Unsicherheit nicht mal etwas mit der Dartscheibe zu tun hatte. Ein Wasserglas fiel ihm versehentlich vom Tisch, er entschulidgte sich bei Taylor und reckte dennoch am Ende die Trophäe in die Höhe. Nach dem Spiel fand Cross für seinen Gegner lobende Worte: "Als Phil Taylor seinen ersten Titel gewann, tat ich meinen ersten Atemzug", der Sieg sei ein Märchen, so Cross weiter: "Vor 15 Jahren war es mein Traum, gegen ihn zu spielen. Es ist phänomenal."

Auch Taylor zeigte Größe: "Er war wie ich vor 25 Jahren: Er war gut, er war unerbittlich und er hörte einfach nicht auf, dich unter Druck zu setzen." Bei seiner ersten WM besiegte der damals noch unbekannte Phil Taylor im Finale den bis dato erfolgreichsten Spieler, Eric Bristow, mit 6:1. Es war damals das Ende der Ära Bristows und der Beginn von Taylors. Ähnliches könnte nun auch Rob Cross bevorstehen.