Letzter Septembertag, und immer noch scheint fett die Sonne. "Keiner schiebt uns weg" heißt der Film, der am Abend auf dem Hamburger Filmfest vorgestellt wird. Hauptdarstellerin Alwara Höfels schlägt vor, zum Reden rauszugehen. Weil die Sonne scheint, und weil sie eine rauchen will. Wenigstens das ist unvernünftig. Im Gegensatz zu allem, was Höfels über sich und ihren Beruf erzählt. Das klingt überlegt und reflektiert. Schwärmereien kommen bei ihr so wenig vor wie der berühmte Satz von der Rolle, die wie ein Geschenk war.

Auf Geschenke hoffen ist in ihrem Beruf nicht die beste Option. Höfels weiß das seit Kindertagen. Ihre Eltern sind Schauspieler. Für die Tochter ging es von Frankfurt nach München, von München nach Stuttgart, von Stuttgart nach Berlin. Zwei Kindergärten und zwei Schulwechsel allein in Berlin. War das schwierig? "Ich kenne es nicht anders", sagt sie, "mein Leben war immer Bewegung und ist es heute noch." Obwohl Kinder von Zahnärzten nicht unbedingt Zahnarzt werden wollen, gab es für sie schon als Schülerin die Notwendigkeit, sich künstlerisch auszudrücken. "Der einzige Kurs, in dem ich im Abi fünfzehn Punkte generieren konnte, war Darstellendes Spiel." Wer heute Worte wie "generieren" benutzt, hat wahrscheinlich schon damals nicht die holde Julia gespielt? Höfels lacht. "Ich habe Fassbinder inszeniert. ‚Blut am Hals der Katze‘, ein eher unbekanntes Stück."

Auf der Bühne sollte sie vom Leben erzählen, aber sie führte keins mehr
Nach der Schule wollte Alwara Höfels Regie studieren. Mit achtzehn. "Da sagen die natürlich, mach erst mal ein paar Erfahrungen, bevor du anderen sagst, wo's langgeht", erinnert sie sich. Und gibt zu, dass da was Wahres dran ist. Es wurde dann die Schauspielschule "Ernst Busch". Ein Jahrgang mit Friedrich Mücke und Alexander Fehling. Danach standen Erfahrungen auf dem Spielplan. Ihr Engagement am Deutschen Theater sei die eigentliche Schule gewesen, sagt Höfels. Dort habe sie die wichtigsten Erfahrungen überhaupt gemacht. Auch im Scheitern. Die Bühne verließ sie aus an­deren Gründen. Höfels hatte das Gefühl, vom ­Leben erzählen zu sollen, führte aber keins mehr. Seitdem kann sie mittendrin aussteigen und sagt im für sie richtigen Moment Nein. Auch beim "Tatort". Zeit für die zweite Zigarette. Und für ihr Kinodebüt.

Til Schweiger setzte die 2007 noch unbekannte Kollegin für eine Komödie durch, die nur mit bekannten Namen besetzt sein sollte. In der Rolle der selbstbewussten Kindergärtnerin Miriam spielt Höfels den Gegenentwurf zur verhuschten Anna (Nora Tschirner). Sie fragt Ludo (Schweiger), ob er ein Wühler oder Pieker ist, und referiert über die sexuellen Irrtümer vieler Männer. Die Szene aus "Keinohrhasen" saß. Für viele kommt sie gleich nach Meg Ryans gefaktem Orgasmus in "Harry und Sally". Kann es sein, dass das Komödiantische seitdem immer mitschwingt?

"Ja, das sind die Filme, die die meisten kennen. Ich habe aber auch andere gedreht. Für die Vielfältigkeit habe ich mich bewusst in die zweite oder dritte Reihe gestellt, auch wenn mir Hauptrollen angeboten wurden." Das kann sich leisten, wer seine Lebensbedingungen ­danach ausrichtet. Höfels isst gern gut, liebt ihre Arbeit, lebt eher langweilig. Behauptet sie. Zum Geldverdienen habe sie den Beruf nie gedacht. "Geld war nie mein Motor."

Das will sie jetzt aber nicht falsch verstanden wissen. Im großen Zusammenhang sieht das ganz anders aus. Damit sind wir beim Thema von "Keiner schiebt uns weg", in dem Mitarbeiterinnen eines Fotolabors durch ­Zufall entdecken, dass sie für ihre Arbeit viel schlechter bezahlt werden als ihre männ­lichen Kollegen. Der Film spielt 1979 in Gelsenkirchen, könnte aber genauso gut in der ­Gegenwart angesiedelt sein. Dass Frauen bis heute im Schnitt 21 Prozent weniger verdienen als Männer, das regt Alwara Höfels auf.

Ein Siebzigerjahrefilm mit starkem Bezug zum Heute ist auch das ein Jahr zuvor gedrehte Emanzipationsdrama "Aufbruch in die Freiheit" mit Anna Schudt in der Rolle ihrer Schwester. Beide Filme umkreisen keine historisch abgeschlossenen Episoden. Auch "Aufbruch" erzählt von Kämpfen, die andauern.

Aufbruch in die Freiheit , 29.10 ZDF 20.15 Uhr. Erst um 20:30 Uhr nach Hause gekommen und den Anfang verpasst? Mit TV Spielfilm LIVE laufende Sendungen wieder von Anfang an starten und anhalten. FERNSEHEN WANN DU WILLST - TV Spielfilm LIVE!"

"Gäbe es eine Zeitreisekapsel, ich würde sie gern in Anspruch nehmen"
Hat Alwara Höfels, Jahrgang 1982, jetzt genug von den Eskapaden in die Jugendjahre ihrer Eltern? Die Zeit der Frauenräte und Männerrunden, Creolen und fetten Blockabsätzen? Sie zündet sich eine Zigarette an: "Gäbe es eine Zeitreisekapsel, ich würde sie gern in Anspruch nehmen. Das waren politisch große Zeiten, ­gesellschaftlich eine Phase der Zäsuren und, was die Musik angeht, vielleicht die beste ­Epoche überhaupt."

Höfels sitzt in beiden Filmen fest hinterm Steuer. Mal im VW Käfer, mal im Renault R4. Die Revolverschaltung beherrscht sie seit den ersten Fahrversuchen mit ihrem Vater im Urlaub. Für historische Filme, in denen sie Traktor fährt und Autos beschleunigt, die längst aus dem Verkehr gezogen sind, ist sie bestens gerüstet. Nur manchmal, beim Hochschalten, fällt ihr wieder ein: Sie hat gar keinen Führerschein.

Aufbruch in die Freiheit , 29.10 ZDF 20.15

Keiner schiebt uns weg, 14.11, ARD, 20.15