.

"Twin Peaks" Staffel 3: Das Böse und wie es in die Welt kam

Twin Peaks Staffel 3: Das Böse und wie es in die Welt kam
Showtime

Episode 8 von "Twin Peaks - The Return" ist ein Highlight der TV-Geschichte. Doch auch große Teile des Schlussaktes der 3. Staffel sind ein Schlüssel zu David Lynchs Gesamtwerk.

Nachdem die Handlung der dritten Staffel zuletzt mit den launigen Abenteuern des knuffigen Dougie (Kyle MacLachlan) so dahinperlte, holte David Lynch in der achten Episode einen Hammer raus. Eine experimentelle Folge, die in den USA das Internet sprichwörtlich lahmlegte und schon jetzt als Meilenstein der TV-Geschichte gilt. Warum? Weil es um die ganz großen Themen geht und weil Episode 8 wahrscheinlich die Schlüsselfolge der Serie und der ganzen Welt von David Lynch ist.

Spoileralarm für die 3. Staffel muss man eigentlich nicht geben, da die Folge jenseits der Handlung steht und am ehesten als Prequel des "Twin Peaks"-Universum zu verstehen ist. Das Wort Universum trifft es hier tatsächlich am besten, geht es hier doch um nichts geringeres als um die Frage, wie das Böse in die Welt, jedenfalls in die amerikanische tritt.

Die Atombombe als amerikanischer Sündenfall

Der Sündenfall ist für David Lynch, und das macht er unmissverständlich klar, die Atombombe. Nachdem der böse Cooper-Doppelgänger von seinem Compagnon erschossen wird und von schattenhaften Gestalten ins Nichts aufgelöst wird, springen wir in der Zeit zurück, zum schwarzweißen 16. Juli 1945, dem Tag des Trinity-Tests in der Wüste von New Mexico, der ersten Kernwaffenexplosion der Welt.

Zu den Klängen von "Threnody to the Victims of Hiroshima", die der polnische Komponist Krzysztof Penderecki 1960 den Opfern des Atombombenabwurfs auf Hiroshima am 6. August 1945 widmete, sehen wir in Superzeitlupe den Atompilz des nuklearen Tests entstehen. Ein atemberaubender Moment, auf den ein irrlichterndes Gewitter von Punkten folgt, ein schwindelerregender Tanz der Atome. Näher an abstrakte Videokunst kam das Fernsehen wohl nie. Aus diesem Chaos schält sich irgendwann eine Blase mit dem Gesicht des Superschurken BOB (Frank Silva) heraus. Das Böse ist in der amerikanischen Welt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Passend zum Inhalt finden Sie hier einen externen Inhalt von YouTube. Aufgrund Ihrer Tracking-Einstellung ist die technische Darstellung nicht möglich. Mit dem Klick auf „YouTube-Video anzeigen“ willigen Sie ein, dass Ihnen ab sofort externe Inhalte dieses Dienstes angezeigt werden.

YouTube-Video anzeigen

Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Über den Privacy Manager im Footer können Sie die aktivierten Funktionen wieder deaktivieren.

Mit Sorge beobachtet diese Entwicklung der Riese (Carel Struycken), der schon in Staffel eins Dale Cooper Ratschläge gab und den Lynch jetzt vielleicht als Mastermind hinter dem Guten in der "Twin Peaks"-Welt outet. In seinem Turm (jenseits von Zeit und Raum?) erschafft der in den Credits als "????" geführte Gigant als Gegengewicht zu BOB eine leuchtende Kugel - mit dem strahlenden Antlitz von Laura Palmer darin. Eine Gefährtin des Riesen platziert die Kugel dann auf einer Weltkarte mitten in Twin Peaks, Washington, USA.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Passend zum Inhalt finden Sie hier einen externen Inhalt von YouTube. Aufgrund Ihrer Tracking-Einstellung ist die technische Darstellung nicht möglich. Mit dem Klick auf „YouTube-Video anzeigen“ willigen Sie ein, dass Ihnen ab sofort externe Inhalte dieses Dienstes angezeigt werden.

YouTube-Video anzeigen

Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Über den Privacy Manager im Footer können Sie die aktivierten Funktionen wieder deaktivieren.

Der Schlüsselmoment der Serie und ein irrer Lynchmoment, der leicht unfreiwillig komisch sein könnte, wenn er nicht so entwaffnend aufrichtig und mit einem unerschütterlichen Glaube an das Gute inszeniert wäre. Danach springt die Handlung ins Jahr 1956. Das Böse treibt hier schon sein Unwesen in Form der schattenhaften Männern, die sechzig Jahre später den bösen Cooper zu sich heimholen und an Hobos erinnern, die amerikanischen Landstreicher, der Alptraum der braven US-Bürger. Einer davon kapert eine Radiostation und schickt in Form eines seltsamen Gedichts das Böse über den Äther. Gleichzeitig kriecht ein ekelhaftes Insekt in den Mund eines jungen Mädchens. Kurz nachdem dieser Mund erstmals von einem Junge geküsst wurde. Wie bei Laura Palmer ist die scheinbare Unschuld schon immer vom Übel dieser Welt infiziert.

Ein Schlüssel zu Lynchs Gesamtwerk

Die jetzt schon legendäre Episode 8 ist nicht nur ein Schlüssel zum Verständnis der ganzen Serie, sondern auch zum Gesamtwerk von David Lynch.

Der Gegensatz zwischen der amerikanischen Nachkriegsidylle und dem universellen Bösen zieht sich durch sein ganzes Werk, besonders deutlich in "Blue Velvet" und "Twin Peaks", vor allem in "Twin Peaks - Der Film". Wobei die Idylle immer schon vergiftet ist. Lynch erklärt diese Erfahrung mit einer Urszene aus seiner Kindheit im Herzen von Amerika: Aus einem schönen Kirschbaum in seiner heilen Kindheitswelt krabbelten tausende rote Ameisen. Seitdem wusste er, dass hinter der Fassade das Unheimliche, die Ameisen lauern kann. Diese Insektenmetapher treffen wir bei Lynch immer wieder an, vom Anfang von "Blue Velvet" bis zu dieser Episode, wenn der "Käfer" in den Mund des Mädchens kriecht.

Neu ist nur, dass Lynch das Böse erst mit der historischen Schuld der Amerikaner, einen Atomschlag geführt zu haben, beginnen lässt. Das ist angesichts der Ausrottung der Indianer vielleicht ahistorisch, für Nachkriegskind Lynch (Jahrgang 1946) aber verständlich. So politisch und überdeutlich wie in Episode 8 war der Künstler jedenfalls noch nie.

"Twin Peaks" 3. Staffel: Recap, Kritik, Interpretation

"Is it future or is it past?" - Nur eine von vielen Leitfragen, die wir nach Abschluss der 3. Staffel "Twin Peaks" entschlüsseln. Dennoch verfahren wir getreu des David Lynch Mottos: "I don't think that people accept the fact that life doesn't make sense. I think it makes people terribly uncomfortable." Auch wir fühlen uns an der ein oder anderen Stelle unwohl, Licht ins Dunkel zu bringen, doch vieles in "Twin Peaks" erscheint uns nach sorgfältiger Sichtung sinnvoller, als es David Lynch selbst zugeben würde. Zieht die roten Vorhänge auf: Es ist Mindblow-Time! Aber Achtung: In Minute 49 unterliegt die Aufnahme ungewollt lychesken Einflüssen. Vielleicht eine transzendente Macht, die hier dazwischen funkt? Auch das wird wohl ein Mysterium bleiben!



Hier direkt bei iTunes reinhören: