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"Noch nie in meinem Leben": Warum die Netflix-Serie nicht nur was für Teenies ist

Noch nie in meinem Leben Never Have I Ever
"Noch nie in meinem Leben" ist nicht nur was für Teens. Netflix / Lara Solanki, Montage: TV Spielfilm

Wie eine Mischung aus "American Pie", "Gossip Girl" und "Élite" wirkt die neue Netflix-Serie "Noch nie in meinem Leben" in Beschreibung und Trailer. Doch weit gefehlt: Die kluge Story erzählt auch von Trauerverarbeitung und kultureller Distanz. Unser Autor verrät, warum die vermeintliche Teenie-Serie für alle Altersgruppen ein großer Gewinn ist.

Drei Ziele setzt sich die Musterschülerin Devi (Maitreyi Ramakrishnan) für das neue Schuljahr: Sie will auf eine heftige Party eingeladen werden und sich vielleicht das erste Mal im Leben betrinken. Sie erhofft sich deutlich weniger Armhaare (ihr eigener Kommentar: "Ich weiß, das ist typisch indisch"). Und sie will einen Freund. Ihretwegen ruhig auch einen Idioten, solange er heiß ist und sie endlich eine Chance hat, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren.

Vollrausch, Mode und Sex: Wenn man diese grobe Inhaltsangabe so liest, und dann noch den spaßigen Trailer zur neuen Netflix-Serie "Noch nie in meinem Leben" ansieht, kann man schnell denken: "Schon wieder eine Teenie-Serie?" Doch so einfach macht es sich die Serien-Schöpferin Mindy Kaling ("The Mindy Project") nicht. Als US-Komödiantin mit indischen Wurzeln bezeichnete sie die Geschichte um Teenie-Girl Devi als teilweise autobiographisch und scheut sich nicht vor tiefgründigen Themen. Denn Devi hat gerade ihren Vater verloren – ihre Vorhaben für die Highschool sind nicht nur pubertierende Neugier, sondern ein großer Schritt Traumaverdrängung. Und "Noch nie in meinem Leben" ist deshalb so viel mehr, als es den Anschein macht.

Den Trailer zur Serie seht ihr hier:

Der deutsche Trailer zu "Noch nie in meinem Leben". Netflix

Never Have I Ever: Trinkspiel im Titel, Pubertät im Konzept

Der englische Titel der Serie "Never Have I Ever" stammt von einem beliebten Party-Trinkspiel (hierzulande bekannt als: "Ich hab noch nie"), bei dem Jugendliche sich nicht nur betrinken, sondern sich auch ihre sexuellen Erfahrungen mitteilen. Blöd nur, wenn man wie Devi noch keine gemacht hat. Das will sie ändern und zwar mit einem genau erarbeiteten Plan. Den begehrtesten Jungen an der Schule (Darren Barnet) fragt sie ganz beiläufig im Schulflur, ob er mit ihr schlafen will. Und als der tatsächlich "Ja" sagt, reicht sie ihm auf die Abmachung hin ihre Hand.

Foto: Netflix / Lara Solanki, Devi kann auch so richtig fies sein.
In solchen Momenten könnte man "Noch nie in meinem Leben" für eine typische Teenie-Serie halten, in der vor sich hin pubertiert wird und die Figuren sich ausprobieren wollen. Natürlich mit etwas Rebellion, denn Devi muss sich bei all dem stets von ihrer Mutter (Poorna Jagannathan) anhören, sie verhalte sich "nicht indisch genug". Doch damit gibt sich das Netflix-Format nicht zufrieden: Devi ist keinesfalls durchgehend sympathisch. Mit ihrer rücksichtslosen Art stößt sie nicht nur ihre besten Freundinnen, sondern auch die Zuschauer vor den Kopf. Sie lügt schamlos, um ihre Ziele zu erreichen, manipuliert ihr Umfeld und sagt gar zu ihrer eigenen Mutter: "Ich wünschte, du wärst tot und nicht Dad."

Noch nie in meinem Leben: Die tieferen Ebenen der Jugend

Foto: Netflix, Paxton ist Devis großer Schwarm.

Trotz dieses Verhaltens ist Devi eine der liebenswertesten Protagonistinnen, die Netflix die letzten Jahre hervorgebracht hat. Oder doch eher: Genau aufgrund dieses Verhaltens? Wie schon bei "Tote Mädchen lügen nicht" gelingt es Netflix auch mit dieser Serie, jugendliche Figuren ernst zu nehmen und ihre Probleme und Nöte nicht runterzuspielen. Devi ist eine dreidimensionale, komplexe Figur, die mit dem Tod ihres Vaters ringt und selbst vor ihrer Therapeutin nicht über den Verlust sprechen mag. Sie saugt ihre Probleme in sich auf, statt sie zu verarbeiten – und verhält sich in der Konsequenz toxisch für ihr Umfeld.

So können auch Erwachsene sich in Devi einfühlen ­und Eltern lernen ihre eigenen Kinder vielleicht etwas besser verstehen. Immerhin ist es leicht, Probleme der Jugend zu früh abzutun. Serien wie "Noch nie in meinem Leben" können dagegen Augenöffner sein. Gerade in den USA, in denen außerdem auch die Vermischung kultureller Identitäten ein enorm großes Thema ist, trifft Mindy Kaling mit dieser Serie einen Nerv. Wie Devi sich langsam mit ihrer indischen Herkunft anfreundet und auch ihre Mutter immer mehr begreifen muss, dass es für Devi mehr als einen Heimatsbegriff gibt, ist herzzerreißend und authentisch. Und von der Newcomerin Maitreyi Ramakrishnan fantastisch gespielt!

Komik und Drama müssen keine Gegensätze sein

Foto: Netflix / Lara Solanki, Mit ihren Freundinnen im Gespann fühlt sich Devi nicht mehr so sehr wie eine Außenseiterin.

Doch "Noch nie in meinem Leben" hat noch eine weitere Qualität: Während andere Teenie-Formate wie "American Pie" schnell bei Humor unter der Gürtellinie landen oder wie "Tote Mädchen lügen nicht" und "Club der roten Bänder" komplett in die Drama-Schiene abdriften, ist "Never Have I Ever" sowohl traurig als auch enorm witzig. Eines der besten Elemente der Serie ist etwa der Off-Kommentar, den im englischen Original der Ex-Tennisstar John McEnroe spricht – und in pikanten Szenen dem Zuschauer seine eigenen Gedanken mitteilt. Als Devi und ihre Freundinnen etwa Sexstellungen "üben", sagt McEnore lapidar: "Das ist jetzt auch für mich unangenehm."

Humor und Drama müssen eben kein Widerspruch sein – gerade in der Adoleszenz. "Noch nie in meinem Leben" hat verstanden, wie Jugendliche ticken und wie Jugendformate ticken müssen, damit alle Altersgruppen profitieren: Kitsch für die Teenies muss sein, doch die Erwachsenen hinter der Serie müssen den Kitsch und ihr Publikum ernstnehmen, damit auch Ältere davon etwas haben. Schwierige Themen können angesprochen werden, solange auch die schönen Seiten nicht unausgesprochen bleiben. Das Beste aus zwei Welten eben.

Und wenn mal alles schief geht, wären wir doch alle gerne wie Devi, die in der Schule ein UN-Planspiel als Ventil für ihr gescheitertes Liebesleben nutzt – und in ihrer Rolle als Äquatorialguinea den USA prompt den Krieg erklärt. Diplomatie ist out, lang lebe der Spaß!

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