Das Kinojahr 2021 war eigentlich keines. Man müsste es ehrlicherweise einfach das Kinohalbjahr 2021 nennen, denn schließlich mussten die Kinos in Deutschland die ersten fünf Monate geschlossen bleiben – Coronapandemie sei Dank. In der Zwischenzeit bildete sich ein beeindruckender Rückstau an Titeln, die nur drauf warteten, endlich gesehen zu werden, von Oscargewinnern wie "Nomadland" zu Über-Blockbustern wie "Fast & Furious 9". Und wenngleich bei weitem keine Besucherzahlen wie vor der Pandemie erreicht wurden, konnten zwischenzeitlich doch erfreuliche Botschaften gesendet werden. Kino, darauf haben Menschen auch 2021 und im Zeitalter des überbordenden Streamingangebotes immer noch Lust.

Unklar ist jedoch ob und wie es 2022 weitergehen wird. Die vierte Pandemiewelle hält besonders Deutschland aktuell fest in ihrem Griff, strengere Maßnahmen wurden bereits erlassen und es wirkt ganz so, als würde auch 2021 kinotechnisch nur mit Mühen, keuchend und kriechend, über die Ziellinie kommen. Es war, ist und bleibt eine schwere Zeit für alle Freunde der großen Leinwand. Umso mehr ist jetzt ein guter Zeitpunkt für mich gekommen, einen Blick zurückzuwerfen und einige meiner größten Momente Revue passieren zu lassen, die ich dieses Jahr in einem Kinosaal erleben durfte.

Fantasy Filmfest: Comeback des Erlebnisraums Kino

Seit mehr als drei Jahrzehnten tourt das Fantasy Filmfest jährlich durch verschiedene deutsche Städte, um seinem Publikum heiße Genre-Ware zu kredenzen. Wer hierzulande auf Horror in all seinen Spielarten, Thriller, Science-Fiction oder Fantasy abfährt, kommt um einen Besuch des Fantasy Filmfests nicht herum. Auch 2021 gab es eine reguläre, wenngleich etwas abgespeckte Ausgabe, der ich in Hamburg beiwohnte.

Gleich beim Eröffnungsfilm "Gunpowder Milkshake" durfte ich wieder die Magie des Kinos spüren. Und damit meine ich nicht einmal per se das, was projiziert wurde. Schon vor der Vorstellung lief ich durch das vollste Foyer seit einer gefühlten Lebenszeit – als Filmfan starb ich mit jedem bisherigen Lockdown einen kleinen Tod, nur um meine ganz eigene, heimliche Wiederauferstehung zu erleben, bei Popcorngeruch, Gesprächen über Filme und im bequemen Sessel sitzend. Und während ich ehrfürchtig die große Leinwand im Hamburger Savoy Kino emporblickte (ich sitze gerne in Reihe L, der dritten von vorne), musste ich erst ein wenig ängstlich und dann doch auch wohlwollend feststellen: Das war das erste Mal in diesem Jahr, dass links und rechts neben mir jemand saß. "Hallo, liebe Fremde und Seelenverwandte," dachte ich. "Ich kann, darf und werde es nicht tun, aber ich möchte euch am liebsten drücken!"

Es konnte anschließend keinen besseren als Regisseur Navot Papushado geben, um diesen besonderen Anlass zu zelebrieren. Seine kurze Anmoderation machte jede Menge gute Laune, ein Foto mit dem Publikum sorgte für noch mehr Stimmung und diese Atmosphäre setzte sich auch während der und auch anderen Vorstellungen fort: Szenenapplaus und Gelächter, wenn Karen Gillan versucht, mit zwei betäubten Armen Fieslinge auszuschalten, bei "Beyond The Infinite Two Minutes" konnten mein Kollege Michael Hille und ich uns vor Gelächter kaum zusammenreißen und beim jetzt schon brutalsten Kinofilm 2022 "The Sadness" (der reguläre Kinostart soll im März erfolgen), zuckten meine werten Sitznachbarn mit schöner Regelmäßigkeit zusammen, während sie sich die Hände vors Gesicht hielten – wie ich auch, allerdings musste ich mir ein schelmisches Grinsen und Gekichere unterdrücken, so verrückt hat mich diese Gewaltorgie gemacht. Als der Abspann vorbei war und sich der Saal erhellte, saß ich erschöpft mit einem breiten Grinsen nur da, schüttelte ungläubig ob des Gesehenen den Kopf und wurde dann netterweise gefragt: "Alles gut bei dir?"

Ja, verdammt noch mal. Kino, Freude, Leidenschaft. Alles richtig, richtig gut bei mir.

Übrigens: "The Innocents" von Eskil Vogt ist der beste Film des Jahres. Gesehen beim Fantasy Filmfest – natürlich.

Filmfest Hamburg und "Memoria": Kollektive Stille

Mit dem richtigen Publikum wird das Filmeschauen zum kollektiven Ereignis und in seinen besten Momenten befeuern authentische Reaktionen der Zuschauer die eigenen und das hat das Kino dann auch noch jedem Stream um Welten voraus. Doch es muss nicht immer das gemeinsame Gejohle und Erschrecken sein. Während des Screenings von "Memoria" beim diesjährigen Filmfest Hamburg, war das mächtigste Erlebnis das kollektive Schweigen.

"Memoria" ist kein Film für Jeden, handelt es sich doch bei Apichatpong Weerasethakuls jüngster Regiearbeit um einen Vertreter des "Slow Cinema". Es geht also langsam und ruhig zu, ganz besonders, weil es in "Memoria" um Wirkung, Bedeutung und auch Neudeutung von Geräuschen und Tönen im Allgemeinen geht. Superstar Tilda Swinton geht einem rätselhaften Geräusch auf die Spur, das sie eines Nachts weckt und das sie – und scheinbar nur sie – wiederholt hört. In langen, meditativen Einstellungen geht sie der Ursache auf den Grund, wobei oft viele Minuten kein Wort gesprochen wird und nur die natürliche Geräuschkulisse zusammen mit dem Bild auf einen selbst einwirkt. Die nur augenscheinlich erzählerische Leere wird alsbald von eigenen Reflexionen gefüllt, jede neue Szene stimuliert den eigenen Denkprozess umso mehr.

Das überragende und extrem feinfühlige Sound-Design trägt stark zur einnehmenden Atmosphäre von "Memoria" bei. Und wenn auf der Leinwand die Figuren schweigen und nur zuhören, dann schweigt und lauscht auch das Publikum. Nicht das geringste Rascheln, Räuspern und Reden war zu vernehmen. Für 136 Minuten waren wir wie gefangen in diesem filmischen Kunstwerk, das uns sprachlos machte. Beim großen Finale aber, das noch mal spannende neue Ideen einbrachte und das Konzept von Ton als Erinnerung jenseits von Raum und Zeit visuell illustrierte, ging es mir dann doch wieder wie beim Fantasy Filmfest, wie bei Horror, Blut und Schrecken: Ich riss meine Augen vor Überraschung und im Unglauben weit auf und schlug meine Hände vor den Mund.

"Memoria" soll übrigens regulär ins Kino kommen und auch nur dort für immer gespielt werden.

"Dune": Kino, das Ehrfurcht vor dem Filmbild lehrt

Trotz nur einem halben Jahr offener Kinosäle kamen Interessierte in den Genuss von vielen großen Krawallnummern, die mit viel Geld und viel Action und Effekten audiovisuelle Spektakel lieferten. "Fast & Furious 9" zum Beispiel oder "James Bond: Keine Zeit zu sterben". Und nicht zu vergessen wurde das MCU gleich viermal (!!!) in diesem Jahr vorstellig: "Black Widow", "Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings", "Eternals" und dieser Tage "Spider-Man: No Way Home" sorgen für eine regelrechte Marvel-Flut.

Kino wird hier ganz großgeschrieben, doch meinen Freunden sagte ich wiederholt: Wenn ihr in diesem Jahr nur einen Film wirklich auf der großen Leinwand sehen solltet, am besten im IMAX, dann ist es "Dune" von Denis Villeneuve. Der erste Teil der Romanverfilmung mit Starbesetzung wurde heiß erwartet und trotz großer Erwartungen konnte das Werk mindestens auf der handwerklichen Ebene vollends beeindrucken. Die edlen Bilder von Chef-Kameramann Greig Fraser sind zum Niederknien schön und fangen die verschiedenen, eindrucksvoll inszenierten Welten des klassischen Sci-Fi-Stoffes perfekt fürs Kino ein. Das für einen Film dieser Preisklasse doch vergleichsweise etwas ruhigere Erzähl- und Schnitttempo gibt den mächtigen visuellen Einfällen genug Zeit, sich über die ganze Leinwand vollends zu entfalten und vom Publikum als solche auch goutiert zu werden. Dazu kommen ein äußerst detailverliebtes Produktionsdesign und eine bombastische Musikuntermalung von Hans Zimmer und fertig ist der einzig wahre Blockbuster 2021.

Während die Konkurrenz die Sinne der Zuschauer betäubt, die sich passiv vom Krach berieseln lassen, lädt "Dune" dazu ein, Augen und Ohren mit Lust und Laune dem Filmbild und Filmton entgegenzuwerfen und sie mit Gusto zu verschlingen. Denn für das audiovisuelle Medium Film und für den Raum Kino errichtete Villeneuve mit "Dune" nicht weniger als ein bleibendes Monument in Zeiten flüchtiger Plastik-Thrills.

"Malignant": Was zur Hölle, wo kam das auf einmal her?!

Ob professionelle Kritiker oder nur Otto Normalverbraucher, sie alle eint eine Beschwerde: Der mangelnde Einfallsreichtum im Kino. Remakes, Reboots und Fortsetzungen werden regelmäßig moniert, die Geschichten, so kann man oft vernehmen, sind alle ausgelutscht und vorhersehbar. Wo bleiben denn nur die kreativen Ideen oder die ganz großen Überraschungen?

Ich spreche natürlich nur für mich, aber genau eine solche habe ich 2021 mit "Malignant" erlebt. Den Trailer fand ich ganz ok und ich dachte, wenn der "Conjuring"-Macher James Wan mit einem ganz neuen Horrorfilm um die Ecke kommt, dann sollte ich dem zumindest eine Chance geben. Erwartet habe ich klassischen Grusel von Meisterhand, bekommen habe ich … klassischen, aber mäßigen Grusel von Meisterhand. Dachte ich zunächst. Mit angenehmem und doch konventionellem Schaudern lullte mich der Plot ein, ehe einige visuelle Einfälle dann doch mein Interesse weckten. So langsam dämmerte mir, dass sich die Geschichte auf die ein oder andere Wendung zubewegte und ich war gespannt, wohin die Reise gehen würde.

Aber was dann im letzten Drittel noch mal an blutigen, völlig durchgeknallten und für mich vollkommen unerwarteten Geschützen aufgefahren wird, ließ mich (mal wieder) nur noch wie ein Irrer loskichern, während ich ungläubig auf die Leinwand starrte und versuchte, diesen Wahnsinn irgendwie verarbeitet zu bekommen. Am Ende von "Malignant" feierte ich auf meinem Sitz eine kleine Ein-Mann-Party und nahm dieses High noch mit nach Hause. Wan hat eine Mordsgaudi abgeliefert, die ich so auf keinen Fall auf der Rechnung hatte und die mir unverschämt viel Spaß gemacht hat. Die Überraschung des Jahres.

"The Father": Mit fremden Augen sehen

Filme können unterhalten, für Ablenkung sorgen und uns viele verschiedene Dinge fühlen lassen. Doch den besten Filmen gelingt weit mehr als das: Sie können uns ganz neue Denkanstöße geben, uns inspirieren und uns wie im Falle von "The Father" in ein ganz anderes Bewusstsein stecken und die Welt durch fremde Augen sehen lassen.

In Florian Zellers zweifach oscarprämierten Regiedebüt "The Father" (Bester Hauptdarsteller und Bestes adaptiertes Drehbuch) geht es um den grantigen Anthony (grandios: Anthony Hopkins), der seine Wohnung partout nicht verlassen will, obwohl er von seiner Tochter dazu gedrängt wird. Auch ist der alte Mann auf eine Pflegekraft angewiesen, aber auch davon will er nichts wissen. Ihm geht es blendend! So glaubt er zumindest. Doch mit der Zeit häufen sich immer mehr verwirrende Ereignisse, die ihn an der Wahrheit und an sich selbst zweifeln lassen …

"The Father" ist sicher nicht der erste Film, der sich des Themas Demenz annimmt, aber selten dürfte ein solch effektives wie eindrückliches Ergebnis herausgekommen sein. Denn Drehbuch und Schnitt verwirren den Zuschauer zunächst, ohne jedwede Erklärung abzugeben. Und doch wird allmählich klar, dass die Konfusion gewollt ist – und den Zuschauer direkt in die Situation von Anthony versetzt. Ganz ohne aufwendige Effekte oder vordergründige handwerkliche Experimente, sondern subtil und mit perfektem Timing und getragen von grandiosen Darbietungen wird Anthonys Schicksal nicht nur seh- sondern vor allem fühlbar. Der Versuch, den Zuschauer an einer Demenzerkrankung nachvollziehbar teilhaben zu lassen, gelingt so gut, wie es für das Medium Film nur möglich ist. Das regt zum Nachdenken an – und macht zutiefst betroffen.

"Stirb Langsam" – auf der großen Leinwand!

Abschließen möchte ich diesen Jahresrückblick mit einem alten Weihnachtsklassiker – ja, für mich ist "Stirb Langsam" ein Weihnachtsfilm! 1988 war ich allerdings gerade einmal fünf Jahre alt, also durfte ich Bruce Willis‘ Durchbruch nicht im Kino sehen. Von daher ergriff ich die Gelegenheit, als das Hamburger Metropolis den Action-Dauerbrenner im Rahmen einer Reihe über besondere Synchronfassungen zeigte.

Ich entschied mich natürlich für die englische Sprachfassung, denn so sehr ich Manfred Lehmann als Sprecher schätze, so kommt auch er nicht gegen das wunderbare falsche Deutsch in "Stirb Langsam" an: "Schieß dem Fenster!" Oh mein Gott, auch nach unzähligen Sichtungen ist und bleibt das grandios. "Die Hard" im Kino zu sehen, mit einer guten Freundin, die einfach nicht aus dem Abfeiern kam, wirkte so, als hätte ich den Film selbst erneut zum ersten Mal gesehen. Und es gibt einfach nix Besseres als das erste Mal!

In diesem Sinne: "Now I have a machine gun – ho, ho, ho!"