Viel zu nah kommen Wölfe in "Viel zu nah" (15.3. ARD 20.15 Uhr) der Frankfurter Kommissarin Caro (Corinna Harfouch). Sie streunen über Straßen und Kinderspielplätze, oder nur durch die Fantasie der Kommissarin? Egal, ob real oder eingebildet, Wölfe beschäftigen im Moment wieder das kollektive Unterbewusstsein der Deutschen.

Nachdem der Wolf, der die Deutschen schon seit jeher in Märchen und Sagen beschäftigt hat, seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet war, fasst der wilde Verwandte des Hundes in den letzten Jahren wieder Fuß. 2000 wurde der erste Wolfswelpe in freier deutscher Wildbahn geboren, heute leben über 300 Tiere in über 30 Rudeln und erobern sich das Land vom Osten her zurück.

Tierschützer freuen sich über Isegrims Comeback, Landwirte sind weniger begeistert, sie fürchten um ihre Nutztiere. Nicht zu Unrecht, haben die neuen Wölfe doch schon Schafe attackiert. Aber auch in der breiten Bevölkerung breitet sich teilweise Hysterie aus, obwohl Wölfe eher den Menschen als Bedrohung ansehen anstatt andersherum. Eine Frau aus Niedersachsen fühlte sich von einem "verhaltensauffälligen" Wolf verfolgt, Eltern gerieten in Angst, als ebenfalls in Niedersachsen ein Problemwolf in einem Waldkindergarten gesehen wurde. Nicht nur die AFD Brandenburg, sondern auch Bundesagrarminister Schmidt fordert eine Obergrenze für Wölfe.

Das Verhältnis zwischen Tieren und Menschen neu vermessen

Parallel zu ihrer Rückeroberung der deutschen Wildnis breiten sich Wölfe in den letzten Jahren auffällig oft auch im deutschen Film auf. Gleiches gilt für die Literatur, zum Beispiel in "An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts", dem Romandebüt des meistgespielten deutschen Dramatikers Roland Schimmelpfennig.

In der "Polizeiruf 110"-Folge "Wolfsland" (2013) trifft Maria Simon auf Wolfsfans und -feinde, die sich auch im wahren Leben bekriegen. In einem weiteren "Polizeiruf" mit dem plakativen Titel "Wölfe" (inszeniert von Christian Petzold) bekommt es Matthias Brandt 2016 mit echten und falschen Graupelzen zu tun. Im 1000. "Tatort" "Taxi nach Leipzig" steht Maria Furtwängler nachts im Wald plötzlich vor einem Prachtexemplar des canis lupus. Ein ähnliches Erlebnis hatte die Hamburger Kommissarin Yvonne Catterfeld im ersten Fall der Reihe "Wolfsland" (2016) in der Lausitz.

Den Vogel schoss aber Nicolette Krebitz ab. In ihrem grandiosen Kinofilm "Wild" (2016) lebt eine junge Frau sogar mit einem Wolf als Seelenverwandtem im Plattenbau - eine Glanzleis- tung von Tier, Trainer und vor allem Haupt- darstellerin Lilith Stangenberg.

Anders als in Horrorfilmen, in denen Isegrim in Gestalt des Werwolfs nie weg war, dient der Wolf in den neuen Filmen nicht unbedingt als Symbol für das ungebändigte, animalische Erbe des Menschen, sondern als Metapher für die Rückkehr der Natur im menschlichen Bewusstsein. Und dafür gibt es in unserer hochtechnisierten, virtualisierten Welt anscheinend ein Bedürfnis.

Magazine wie "Landlust" gehen weg wie verrückt, in den Bestsellerlisten stehen Buchtitel wie "Das Seelenleben der Tiere" das "Geheime Leben der Tiere" oder "Tiere denken" von Volksphilosoph Richard David Precht. Überhaupt wird in der Philosophie gerade viel über Tiere nachgedacht, in Disziplinen wie Animal Studies und Tierethik wird das Verhältnis zwischen Tieren und Menschen neu vermessen. Der deutsche Film ist hier (ausnahmsweise) am Puls der Zeit.
Autoren: Roland Kruse/Sebastian Milpetz