Kaum ein Zeichentrickklassiker rührt so zu Tränen wie es eine einzelne Szene in "Bambi" schafft: der Tod der Mama. Der für einen Kinderfilm schockierende, entsetzliche Moment hat sich tief in das popkulturelle Gedächtnis eingebrannt. Es besteht kein Zweifel daran: "Bambi" ist ein Meisterwerk, einer der besten Disney-Filme aller Zeiten, ein Pflichtfilm für eigentlich jeden.
Doch nur wenige wissen, dass "Bambi" auf einem Kinderbuch von 1923 basiert. Damals schrieb der österreichische Schriftsteller Felix Salten sein Buch "Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" – die Idee für die Geschichte eines jungen Rehs kam ihm – kein Witz – bei der Jagd. Der Roman unterscheidet sich nicht nur drastisch von der Filmvorlage, sondern hat auch eine tiefere Ebene, die direkt mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus zusammenhängt.
"Bambi"-Vorlage war Warnung vor Antisemitismus
Felix Salten war als ungarisch-jüdischer Autor sein Leben lang mit Antisemitismus konfrontiert. Als er 1923 "Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" schrieb, wurden antisemitische Stimmen in Wien lauter. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Karl Lueger, der damalige Bürgermeister von Wien, antijüdische Gesetze durchgebracht und Antisemitismus später sogar als seine Wahlkampfstrategie bezeichnet.
Salten hatte über die Jahre mit angesehen, wie sich die Lage der Juden in der Wiener Gesellschaft immer weiter verschlechterte – und drückte das in seinem "Bambi"-Buch aus. Die Rehe werden bei ihm zur Metapher für das Judentum. Das Buch schildert, wie das Wild von einem gelobten Land träumt, in dem sie eines Tages sicher vor den Menschen sein werden – eine klare zionistische Botschaft. Ferner spielt Salten regelmäßig auf die jüdische Kultur an – und schreibt später von einem Fuchs, der heimtückisch die Menschen zu den Rehen führt und sie verrät. Ein aus heutiger Sicht düsteres Vorzeichen dessen, was nur wenige Jahre später in Europa zur Realität wurde. Der Fuchs als früher "Kollaborateur" und "Denunziant".
"Bambi" fiel Bücherverbrennungen zum Opfer
Das Buch unterscheidet sich massiv von der Geschichte, die durch den Disney-Film in jedem Kinderzimmer bekannt ist. Klopfer gibt es hier nicht, Religion und Philosophie spielen eine große Rolle. In einer bewegenden Szene zeigt Bambis Vater seinem Sohn die Leiche eines Jägers und sagt: "Er ist nicht allmächtig, wie sie sagen. Er ist es nicht, von dem alles kommt, was da wächst und lebt. Er ist nicht über uns! Neben uns ist Er wie wir selber, denn Er kennt wie wir die Angst, die Not, das Leid. Er kann überwältigt werden und dann liegt Er hilflos am Boden, so wie wir anderen, so wie du Ihn jetzt vor dir siehst." Auch diese Stelle lässt im Zusammenhang mit Saltens Versuch, durch "Bambi" seine Mitmenschen vor der zunehmenden antisemitischen Radikalisierung zu warnen, viele Interpretationen zu.
Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen, galt "Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" als Antinazi-Propaganda. 1936 wurde es schließlich Opfer der Buchverbrennungen, heute gibt es folglich nur noch wenige Erstauflagen. Der Umgang des Nationalsozialismus zeigt, wie deutlich Saltens Absichten im Buch erkennbar sind. Und wirklich bezeichnend ist dann, wie die Verfilmung mit diesen Inhalten umgeht.
Walt Disneys schwieriges Verhältnis zu Nazi-Deutschland
Wie genau Walt Disney zum Nationalsozialismus stand, ist bis heute umstritten. Viele Anzeichen zeigen aber auf, dass er mit dem Gedankengut von Nazi-Deutschland in Teilen sympathisierte. Sein 1933 erschienener Trickfilm "Die drei kleinen Schweinchen" zeigte in der ersten Fassung den bösen Wolf als hinterhältigen Hausierer mit jüdischen Charakteristiken. 1938 traf er sich mit Leni Riefenstahl – der Lieblingsregisseurin von Adolf Hitler, die mehrere Propaganda-Filme verantwortete, und zu dem Zeitpunkt in Hollywood längst als Persona non grata galt. Disneys älterer Bruder Roy Disney besuchte 1937 Nazi-Deutschland, und warb an der Seite von Joseph Goebbels für "Schneewittchen und die sieben Zwerge".
Überraschend ist es da nicht, dass für die 1942 erschienene "Bambi"-Verfilmung jeder Verweis auf das Judentum und auf Antisemitismus vollständig entfernt wurden. Obwohl während des Zweiten Weltkriegs ohnehin keine seiner Filme in Europa starteten, wurde der Film zu einer allgemeineren Geschichte um die Schön- und Reinheit der Natur, in der man leicht eine Tierschutzbotschaft finden kann. Was sich dafür nicht mehr finden lässt, ist Felix Salten – und alles, wofür er "Bambi" einst erfand.
Salten schrieb 1939 übrigens noch eine "Bambi"-Fortsetzung namens "Bambis Kinder: Eine Familie im Walde", zu welcher der Disney-Konzern aber nie die Rechte bekam.
Dieser Artikel wurde zuerst bei chip.de veröffentlicht.