Ihr persönliches Aha-Erlebnis hatte sie im Flugzeug. Schauspielerin und Ärztin Maria Furtwängler hörte kurz vor dem Start die Stimme der Pilotin, die den Passagieren einen angenehmen Flug wünschte. Furtwänglers erster Reflex: "Wie komme ich so schnell wie möglich aus diesem Flugzeug heraus?" Sie war dem Rollenbild erlegen, demzufolge Frauen zwar Stewardess, aber nicht Pilotin sind. Jedenfalls berichtet sie es so auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die Universität Rostock stellt hier eine neue Studie vor, die Furtwängler ini­tiiert hat. Es geht um die Frage, wie Frauen im deutschen Kino und Fernsehen dargestellt werden. Denn ob wir eine Pilotin als kompetent erachten, hängt auch damit zusammen, ob nur Piloten in den Medien präsent sind oder auch Pilotinnen.
Nach der Untersuchung von rund 3000 Stunden TV-Programm und über 800 Kinofilmen kommen die Wissenschaftler zum Fazit: Frauen stellen nur 33 Prozent der Protagonisten und Hauptakteure. Noch weniger sind es im Kinderfernsehen, hier ist eine von vier Hauptfiguren weiblich. Wenn Frauen vorkommen, sind sie meist jung. Schauspielerinnen über 30 sieht man sukzessive seltener in Kino und TV als ihre männlichen Kol­legen. "Ich habe Glück", kommentiert Furtwängler trocken, "dass ich zumindest als "Tatort"-Kommissarin entspannt altern kann." Auch in der nonfiktionalen Unterhaltung finden Frauen seltener den Weg auf die Mattscheibe als Männer. Nur 21 Prozent der Experten im TV und 26 Prozent der Journalisten sind weiblich. Wa­rum das ein Problem ist, erklärt die Studienleiterin und Direktorin des Instituts für Medienforschung der Universität Rostock im Interview.

Mal angenommen, in den "Harry Potter"-Filmen wäre Hermine ­Granger die Hauptperson. Wären die Filme dann genauso erfolgreich?

Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Wa­rum nicht? Ich halte es für einen Mythos, dass sich Männer keine Filme ansehen, die von Frauen handeln. Es gibt sehr erfolgreiche Filme mit Hauptdarstellerinnen, zum Beispiel "Die Tribute von Panem". Ich bin mir sogar sicher, dass eine Menge Filme ohne Protagonistinnen gerade deshalb weniger Zuschauer erreichen.

Gibt es zu wenig starke Frauen im deutschen Fernsehen?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Ja, das haben wir ganz eindeutig ­festgestellt. Wenn Frauen überhaupt vorkommen, dann entsprechen sie häufig einem Stereotyp.

Wie sieht das Stereotyp Frau aus?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Die Frauen sind schlank und jung, meist jünger als dreißig. Und meistens werden sie über ihre Beziehungen definiert. Sie sind auf der Suche nach einer Beziehung, oder sie befinden sich in einer Partnerschaft, die schwierig ist. Im echten Leben dagegen beschäftigen uns Frauen sehr viel mehr Themen.

Aber es gibt doch auch Figuren, die ihre eigenen Träume umsetzen.


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Wenn in einem Film eine Frau ihre Träume umsetzt, wird sie allerdings oft nur durch die Hilfe eines Manns stark. Er ist es, der ihr das nötige Selbstbewusstsein gibt.

Warum schauen Frauen sich so etwas dann überhaupt an?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Weil wir alle in Stereotypen verhaftet sind. Allerdings wären diese Filme nicht per se schlecht, wenn es gleichzeitig andere Filme mit anderen Rollenbildern geben würde. Ich selbst schaue mir auch gern einen Til-Schweiger-Film an, in dem die zurückhaltende Frau und der Machotyp zusammenfinden.

Wie ist der stereotypisierte Mann?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Das ist das Interessante daran: Der Mann hat kein Stereotyp. Männer nehmen im Fernsehen ganz verschiedene Rollen ein. Sie können dick oder dünn sein, fies, stark oder schwach. Bei einer kleineren Stichprobe im Rahmen unserer Studie haben wir Adjektive gezählt. In Bezug auf die männlichen Figuren gibt es sehr viel mehr Adjektive, die zutreffen, als bei den Frauen.

Warum ist das überhaupt ein Problem?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Weil die Bilder sehr wirkmächtig sind. Haben Sie den Film "Hidden Figures" gesehen?

Drei schwarze Mathematikerinnen arbeiten in den Sechzigerjahren für die NASA.


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Genau. Wenn es keine verschiedenen Optionen für Frauenrollen gibt, dann komme ich auch in der Realität eher nicht auf die Idee, Astronautin, Mathematikerin oder Informatikerin zu werden. Wir können uns zum ­Beispiel nur schwer vorstellen, dass es weise alte Frauen gibt, weil sie im Fernsehen nicht vorkommen.

Wie groß ist der Einfluss von Filmen auf unsere Gesellschaft überhaupt?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Als "Die Tribute von Panem" in den Kinos lief, wurde Bogenschießen als Sportart für Mädchen in Amerika auf einmal viel beliebter. In der Regel ist es aber nicht so, dass wir einen Film sehen, und schon ändern wir unser Leben und unseren Beruf. Entscheidend sind die Vielzahl der Bilder und alles, was uns von klein auf umgibt, wie unser Spielzeug oder unsere Bücher. All das prägt uns.

Mal ehrlich: Gutes Fernsehen soll uns doch nicht erziehen, sondern unterhalten!


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Wer sagt denn, dass gute Unterhaltung nur mit Frauen unter dreißig geht? Außerdem hat das Fernsehen, insbesondere das öffentlich-rechtliche, auch den Auftrag, zu bilden und für gesellschaftliche Integration zu ­sorgen. Das tut es aber nicht, wenn Schauspielerinnen, Journalistinnen und Mode­ratorinnen ab dreißig Jahren fast nicht vorkommen.

Haben Sie ein Beispiel für eine starke Frau im deutschen Fernsehen?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: In Deutschland haben wir die starken Fernsehkommissarinnen. Und die sind nicht nur tough, sondern teils auch lustig, wie Nora Tschirner im Weimarer "Tatort". Was mir aber auch wahnsinnig gut ­gefallen hat, ist die dänische Serie "Borgen". Birgitte Nyborg ist als Person spannend und trägt die gesamte Serie.

Die Studie wurde von den großen Anstalten ARD, ZDF, ProSiebenSat.1 und RTL mitgefördert. Jetzt wollen die Sender Konsequenzen aus den Ergebnissen ziehen. Worauf sollten sie Ihrer Meinung nach achten, wenn sie eine Frauenrolle ohne Stereotype erschaffen wollen?


Prof. Dr. Elizabeth Prommer: Das sollte eine Frau sein, die konsequent ihre eigene Geschichte verfolgt. Ich plädiere aber auch für mehr Vielfalt. Nicht auf den perfekten Charakter einer einzelnen Figur, sondern auf vielfältige, sehr unterschiedliche Charaktere kommt es an. Es wäre zum Beispiel schön, wenn erfolgreiche Karrierefrauen im Fernsehen nicht immer privat unglücklich sein müssten.

Sie ermitteln, sie moderieren, sie machen die besseren Witze

Die Frauenemanzipation der Siebzigerjahre hat vieles verändert. Davon erzählt nicht nur die neue ZDF-Serie "Zarah" (ab 7.9.), es zeigt sich auch im gesamten TV-Programm.
Für Frauen ist zwar das deutsche Fernsehen 2017 noch nicht die beste aller Welten, wie die Studie unten zeigt. Aber es hat sich in den vergangenen 40 Jahren einiges getan. 1978 trat mit Nicole Heesters die erste "Tatort"-Kommissarin ihren Dienst an, aktuell gibt es immerhin 18 Ermittlerinnen gegenüber 25 Männern. Das Fern­sehen ist da sogar noch fortschrittlicher als die Realität. Im vergangenen Jahr ­waren in Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, lediglich 12,9 Prozent der Stellen im höheren Polizeidienst mit Frauen besetzt. Gerade im Krimi, dem mit Abstand populärsten Genre, zählt Können mehr als Jugend: Dagmar Manzel trat ihren Dienst als "Tatort"-Kommissarin in Franken mit 56 an, Barbara Auer ("Nachtschicht") ist 58 und Senta Berger, seit 2002 mit "Unter Verdacht" erfolgreich im ZDF, schon 76.

Präsenz in Filmen, Serien, Comedy, Shows

Auch die großen Eventfilme der Sender und Mini­serien sind ohne Frauen undenkbar. Alicia von Rittberg spielte sich als wissbegierige Hilfsschwester im Frühjahr im ZDF-Fünfteiler "Charité" in die Herzen des Publikums (mehr als acht Millionen Zuschauer sahen den ersten Teil), Sonja Gerhardt und Claudia Michelsen prägten "Ku'damm 56" ebenso wie die ­Autorin Annette Hess, die schon mit "Weissensee" die Drehbücher zu einer der besten Serien der letzten Jahre geschrieben hatte. Der Moderator mit dem größten Show-Appeal ist eine Frau, nämlich Barbara Schöneberger, und wenn man Revue passieren lässt, welche Comedyserien in den letzten Jahren stilprägend waren, stößt man auf lauter starke Frauen: Josefine Preuß in "Türkisch für Anfänger", Diana Amft in "Doctor's Diary" und Annette Frier in "Danni Lowinksi" (Sat.1 plant übrigens ­aktuell eine Fortsetzung mit einem TV-Film). Das älteste Politmagazin im deutschen Fernsehen, "Panorama", wird von ­einer Frau, Anja Reschke, moderiert, die Polittalkerinnen Anne Will und Sandra Maischberger genießen großen Respekt.

Es gibt zu wenig Regisseurinnen

Was wirklich ins Gesicht springt, ist der geringe Anteil von Regisseurinnen im Kino und im Fernsehen. Er liegt in fast allen Genres deutlich unter 20 Prozent, obwohl inzwischen 40 Prozent der Studenten in den Regieklassen staatlicher Filmhochschulen weiblich sind. Trotzdem muss einem nicht bange sein. Sowohl Deutschland als auch Österreich schickten großartige Filme von Frauen ins Rennen um den Oscar 2017: "Toni Erdmann" von Maren Ade und "Vor der Morgenröte" von Maria Schrader. Der Club der exzellenten Regisseurinnen um Caroline Link, Doris Dörrie und Sherry Hormann ("Tödliche Geheimnisse - Jagd in Kapstadt") wächst stetig.