"Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht." Jeder kennt den Anfang von "Mackie Messer". Viele wissen, dass das Lied aus dem Theaterstück "Die Dreigroschenoper" stammt. Von Brecht. Aber wer das war, wer der Mensch hinter dieser Marke war, wissen nur wenige.

Heinrich Breloer hat sich viele Jahre seines Lebens mit dem ­Dramatiker und Dichter Bertolt Brecht beschäftigt. Der Regisseur legt nun mit dem ARD-Zweiteiler "Brecht" (ab Freitag, 20.15 Uhr) das Ergebnis seiner ­langen Forschung vor. Hier fließt auch Material aus einer ersten Brecht-Doku von 1978 mit ein. Flankiert wird die Ausstrahlung auf Arte und im Ersten von Bre­loers Doku "Brecht und das Ber­liner Ensemble", Buch- und DVD-Veröffentlichungen und ­einer kleinen Kino-Tournee mit Diskus­sionsrunden.

Genial oder gemein? Aufwändiges Projekt zeigt Schattenseiten

Tom Schilling und Burghart Klaußner spielen Bertolt Brecht, Schilling den jungen, etwa von 1916 bis 1933, Klaußner den alten, der sich 1947 in den USA vor dem McCarthy-Ausschuss vom Kommunismus distanzieren muss und 1956 in Ostberlin an einem Herzinfarkt stirbt. Der Fokus des Films liegt auf dem Privatleben des Dramatikers – ein schwierig zu erkundendes Terrain.

Heinrich Breloer gilt als Erfinder des Dokudramas. Mit Filmen wie "Todesspiel" über die Terroranschläge der RAF oder "Die Manns" über die Familie des Großdichters Thomas Mann schrieb er Fernsehgeschichte.

An "Brecht" hat Breloer zehn Jahre gearbeitet, acht Millionen Euro hatte er für das recherche­intensive Stück zur Verfügung. "Ich wäre froh, wenn ich jetzt ein halbes Jahr einfach mal leben kann. Durchzuatmen nach dieser langen Strecke, immer mit der Angst im Nacken, es könnte schiefgehen", sagt der mittlerweile 77-Jährige. "Schiefgehen, weil das Geld nicht reicht, weil ein Vertrag doch noch platzt."

Verträge mussten vor allem mit den Brecht-Erben über die Verwendung der Texte geschlossen werden, die im Film auftauchen. Das war schwierig. Brechts Tochter Barbara Brecht-Schall bewachte das geerbte Œuvre streng, verbot einige Aufführungen, ließ bestimmte Lesarten der Stoffe nicht zu. Erst nach ihrem Tod 2015 änderte sich diese Politik. "Brechts Tochter hatte Angst, dass das Andenken ihrer Mutter Helene Weigel beschädigt wird", sagt Burghart Klaußner.

Breloer sollte nichts erzählen über die zahlreichen Liebschaften, die Bertolt Brecht, 1,68 Meter groß, mit schlechten Zähnen, chronischem Mundgeruch und stets ­einer qualmenden Zigarre im Mund, ohne Zweifel hatte. "Er hat die Frauen über seinen Geist erreicht", vermutet Tom Schilling. Der Film legt nahe, dass er diese Frauen oft nicht gut behandelt hat. Breloer zeigt den Dichter im Telefonat mit seiner ersten Frau Marianne Zoff. Sie wirft ihm vor, auch mit der Schauspielerin Helene Weigel ein Kind zu haben. Tatsächlich schläft dieses Kind im Nebenraum, trotzdem bestreitet Brecht den Vorwurf wortstark und geht sogar noch zum Angriff über: Sollte sie ihn je betrügen, etwa mit diesem Theo Lingen, wäre es aus!

"Das ist der Tonfall aus den Briefen der Eheleute", erklärt Breloer. "Ich wollte solche Dialoge nicht weglassen. Sie zeigen, wie sehr Brecht bei diesem anstrengenden Leben immer wieder gezwungen war zu lügen, um im Dickicht der Beziehungen den Überblick zu behalten. " Frauen, die ihn eigentlich gar nicht mehr interessierten, hielt Brecht mit wohldosierten Zuwendungen bei der Stange. Manipulativ würde man das heute wohl nennen.

Kein Denkmalschutz für Bertolt Brecht

Ob das in Zeiten von #MeToo zu einer Neubewertung seines Werks führt? "Ein Werk ist ein Werk und steht für sich", sagt Burghart Klaußner. "Und dann sind Filme wie unsere dazu da, zu zeigen, dass auch die denkmalgeschütztesten Menschen eben Menschen waren. Mit ihren Fehlern und Alltäglichkeiten."

Brechts Werk ist außergewöhnlich. 1898 in Augsburg geboren, veröffentlicht er bereits mit 15 Jahren erste Gedichte und Theaterstücke. Breloer stellt ihn als einen dar, der alles kann, ohne je etwas lernen zu müssen. Einer, der sich selbst früh und wohl zu Recht ein Genie nannte. 1928 gelingt ihm mit der "Dreigroschenoper" ein Welthit. 1933 flieht er vor den Nazis nach Prag, Wien, Zürich, Paris und schließlich 1941 in die USA. Breloers Film spart die Zeit im Exil aus, dafür war das Budget zu knapp bemessen. Brecht schrieb auch im Exil unablässig, konnte aber nur wenig veröffentlichen. 1948 kam er mit einem Berg von Stoffen in der DDR an.

Das Regime nahm den prestigeträchtigen Künstler gern auf. Harmonisch war das Verhältnis nicht. Mit einem Konto in der Schweiz und seinem österrei­chischen Pass versuchte er sich gegen die Vereinnahmung durch die DDR zu wehren. "Alles, was er gepredigt hat, passte denen nicht in ihr spießiges, enges Weltbild", sagt Burghart Klaußner. Die Staatsführung verlangte Ergebenheitsadressen von Brecht.

Der wollte ohne Einmischung inszenieren, drohte, das Land zu verlassen, was er auch jederzeit hätte tun können. Die DDR-Oberen köderten ihn mit einem eigenen Theater, Brechts großem Traum, der ihm 1954 mit dem Theater am Schiffbauerdamm tatsächlich erfüllt wurde. Dass er dafür einige unangenehme Wahrheiten über die DDR für sich behielt, beispielsweise Folter und Verfolgung systemkritischer Bürger, verschweigt der Film nicht.

Brechts Appell an die Zuschauer

Sender

Brecht, Burghart Klaußner

Brecht wollte seine Zuschauer nie mit einer fesselnden Erzählung einlullen. Immer wieder unterbrach er die Handlung und ließ die Schauspieler direkt das Publikum ansprechen. Der Zuschauer soll eine kritische Distanz zum Bühnengeschehen entwickeln und diese Sichtweise, so Brechts Hoffnung, auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse übertragen. Nichts ist endgültig, alles ist veränderbar.

Diese Technik wendet auch Breloer für seinen Film an. Wenn Brecht in sein Tagebuch schreibt, er habe seiner Jugendliebe Paula Banholzer das Schwimmen beibringen müssen, stellt Breloer dem die echte, fast 80-jährige Paula Banholzer entgegen, die sagt: "Der Lügner, ich konnte doch schwimmen!"

Offensichtlich hat Brecht, der von sich selbst auch nur als "Brecht" sprach, sich auch selbst fiktionalisiert. Und das schon in seinen frühen Tagebüchern. "Vor allem wollte er da Abstand herstellen", sagt Breloer. "Abstand zum eigenen Erleben, gerade, wenn es ihn zu überwältigen drohte. Später hat er Personen und das Leben und die Handlungen aus der gesellschaftlichen Situation heraus beschrieben. Das ist ein Gewinn und ein Verlust zugleich."

Breloers Brecht-Zweiteiler wirkt wie aus einer früheren Zeit, als es noch einen Bildungskanon gab, in dem inhaltliche Tiefe erwünscht war und Autoren die Zeit gegeben wurde, diese zu erreichen. Es gibt nicht viele Fernseh­filme, an denen zehn Jahre lang gearbeitet wurde. Dass es sie auch zukünftig geben kann, ist nicht sehr wahrscheinlich.

"Das öffentlich rechtliche Fernsehen ist, wie ich immer noch glaube, ein integraler Bestandteil unserer Demokratie. Es hält sie stabil", sagt Breloer. "Es muss von den Programmverantwortlichen aber mit großer Verantwortung geführt werden. Keine leichte Aufgabe in Zeiten, in denen die Politik die Sender zum Sparen drängt. Wir sollten dabei aber nicht, im Wettbewerb mit der Zerstreuungsindustrie in anderen Medien, das aufgeben, was uns ein Alleinstellungsmerkmal gibt. Und das ist für mich immer noch, bitte den Egoismus zu verstehen, die Königsdisziplin: der aufklärend unterhaltsame Fernsehfilm.

Brechts Musik

Brecht als Sänger, der sich selbst mit Gitarre begleitet? Breloers Film zeigt, wie früh der Dichter auch als Musiker kreativ war. Die ersten Gitarrenballaden fixierte Brecht mittels einer eigenen stenografischen Notenschrift. Später komponierte er auf dem Klavier – in Einfingertechnik. Bald ­holte er sich professionelle Hilfe, um seine musikalischen Ideen auszuarbeiten. Komponisten wie Hanns Eisler oder Kurt Weill kümmerten sich fortan um die Kompositionen, oftmals nach Brechts Vorgaben. Er selbst konzentrierte sich auf die Texte. Songs aus Werken wie "Die Drei­groschenoper" oder "Mahagonny" wurden von so unterschiedlichen Künstlern wie Frank Sinatra, Robbie ­Williams oder The Doors aufgenommen.

Ein Interview mit Heinrich Breloer

Imago

Heinrich Breloer im Interview

Heinrich Breloer gilt als Erfinder des Genres Dokudrama. Um die fiktionalen Teile seiner Filme faktisch zu untermauern, betreibt der Regisseur großen Aufwand – und hält die Nähe zur Realität.

Im Dokudrama steht Faktentreue gegen dramatische Verdichtung – schwierig.
Heinrich Breloer: Es ist immer eine Frage der Redlichkeit. Man hat eine große Verantwortung. Ich würde es nie wagen, etwa in einem Hitler-Film, wo wir am offenen deutschen Herzen operieren, auch nur eine Szene zu verfälschen, einfach die Wirklichkeit zu verwursten, weil man amerikanisches Kino machen will.

Haben Sie ein Beispiel?
Bei "Der Untergang" war es den Machern vollkommen egal, ob die Erzählung historisch stimmt. Magda Goebbels hat ihre Kinder nicht ­eigenhändig eins nach dem anderen mit Zyankali um­gebracht. Der Zahnarzt, der mit im Bunker war, hat ihnen Spritzen gesetzt.

Das ist die eine Szene, an die sich jeder erinnert!
Ja, das ging zu weit. Ich würde so etwas nie machen. Für meinen Speer-Film habe ich Akten gezeigt und bewiesen: Speer war kein "anständiger Nazi". Das gibt es sowieso nicht. Speer hat Auschwitz mit aufgebaut.

Es wird immer gesagt, für einen Film muss man die Wirklichkeit "verdichten".
Das stimmt, aber wenn man lange genug nachdenkt, findet man auch immer eine wahrheitsgetreue Verdichtung, eine ästhetische
Lösung. Die Wirklichkeit ist dramatisch genug.