Zu mutlos, zu konservativ, zu bieder: Immer wieder muss sich die Academy, die seit 1929 den Oscar für herausragende Leistungen vergibt, Kritik über ihre Entscheidungen anhören. Manchmal zu Recht, manchmal zu unrecht. Schließlich gewannen immer wieder "härtere" Genrefilme wie "Das Schweigen der Lämmer", "No Country for Old" oder "Tödliches Kommando". Aber oft genug zog die Academy seichtere Feelgoodmovies den etwas unbequemeren, aber ästhetisch gewichtigeren Filmen vor. Die zehn fragwürdigsten Entscheidungen in der Kategorie "Bester Film".
"The King's Speech" über "The Social Network" (2010)
Eine typische Entscheidung, die exemplarisch zeigt, warum die Academy immer wieder in die Kritik gerät. Statt des düsteren, zynischen, voll am Puls der Zeit operierenden Wirtschaftsthrillerdrama über die Erfindung von Facebook wählte das inspirierende, gut gespielte aber bieder inszenierte Drama über den britischen König Georg VI., der sein Stottern überwinden muss um sein Volk in einer Rede zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg mitzureißen.
"L.A. Crash" über "Brokeback Mountain" (2005)
Wahrscheinlich die umstrittenste Entscheidung über den "Besten Film" ever. Das berührende Liebesdrama über die verbotene Liebe zwischen zwei Männern gewann im Vorfeld alle wichtigen Preise, darunter den Golden Globe. Doch in der Oscar-Nacht gab es den Schock: Statt des Favoriten gewann das antirassistische Episodendrama "L.A. Crash", das eher gut gemeint als gut gemacht ist. Eine Überraschung, die aber bei genauerer Betrachtung gar nocht so überraschend war. Im Vorfeld kündigten konservative Academy-Mitglieder wie Ernest Borgnine an, nicht für den "Schwulen-Western" stimmen zu wollen.
"Shakespeare in Love" über "Der Soldat James Ryan" (1998)
Der Hype um "Shakespeare in Love" ist heute nur noch eine kuriose Fußnote der Oscar-Geschichte. An sich kein schlechter Film, aber kein Vergleich zu den beiden schwergewichtigen Kriegsfilmen "Der Soldat James Ryan" und "The Thin Red Line", die im selben Jahr nominiert waren. Umstritten war vor allem der Triumph von Gwyneth Paltrow als beste Hauptdarstellerin (Die Heulrede, wir erinnern uns) über Ausnehmeschauspielerin Cate Blanchett, die gerade mit "Elisabeth" erstmals für Furore sorgte.
"Forrest Gump" über "Pulp Fiction" (1994)
Auch wieder typisch Oscar: Der herzerwärmende, effektgeladene "Forrest Gump" gewinnt gegen den coolen, harten "Pulp Fiction". Während "Forrest Gump" heute ziemlich cheesy wirkt, ist der bahnbrechende Tarantino-Film so frisch wie zum Kinostart. Ebenfalls im selben Jahr nominiert: Das Gefängnisdrama "Die Verurteilten", das sich erst über die Jahre den Status einer Klassikers erarbeite.
"Eine ganz normale Familie" über "Wie ein wilder Stier" (1980)
Das Regiedebüt von Robert Redford über eine gar nicht so normale Familie ist heute fast vergessen, während Martin Scorseses Boxer-Porträt "Wie ein wilder Stier" heute als eines seiner besten Filme gilt.
"Kramer gegen Kramer" über "Apocalypse now" (1979)
Das Scheidungsdrama mit Dustin Hoffman und Meryl Streep ist ein solider bis guter Film - wie er aber in jedem Jahr dutzendhaft erscheint. Das er den Oscar gegen Francis Ford Coppolas ebenfalls nominierten Jahrhundert-Kriegsfilm gewann ist ein Witz. Da waren die Wunden des Vietnamkriegs wohl noch zu frisch. Im Vorjahr gewann zwar "Die durch die Hölle gehen", aber die delierender Darstellung des Kriegswahnsinn in "Apocalypse now" gingen dann wohl doch zu weit.
"Rocky" über "Taxi Driver" (1976)
1976 war ein starker Kino- und Oscarjahrgang. Nominiert waren amerikanische Klassiker wie Martin Scorseses Großstadt-Inferno "Taxi Driver", 'die Mediensatire "Network", der Journalismusklassiker "Die Unbestechlichen" - und eben "Rocky". Stallones naiv-realistischer Boxerfilm ist besser als sein Ruf, aber der beste seines Jahrgangs - No Way!
"In der Hitze der Nacht" gegen "Die Reifeprüfung" (1967)
Der Südstaatenkrimi "In der Hitze der Nacht" war damals ein wichtiges Statement gegen Rassismus - und insofern ein nicht-unverdienter "Bester Film"-Gewinner. Wenn im selben Jahr nicht "Die Reifeprüfung" und "Bonnie und Clyde" nominiert gewesen wären, die frischen Wind in die damals besonders muffige Kinolandschaft bliesen und die "New Hollywood"-Bewegung anstießen. Vor allem "Die Reifeprüfung" hätte wegen seiner innovativen Bildsprache den Oscar verdient gehabt.
"So grün war mein Tal" über "Citizen Kane" (1941)
Über "Citizen Kane" muss man nicht mehr viel sagen - außer dass er die Filmsprache revolutionierte und jahrzehntelang diverse Listen mit den besten Filmen aller Zeiten anführte. Bei den Oscars ging Orson Welles' Regiedebüt aber leer aus. Stattdessen gewann John Fords Historiendrama "So grün war mein Tal". Natürlich kein schlechter Film, aber nicht in einer Liga mit "Citizen Kane".
Autor: Sebastian Milpetz