Er war einer der unheimlichsten Mörder, die je in einem Tatort zu sehen waren. Unbemerkt hielt sich Kai Korthals in fremden Wohnungen auf, befingerte alle persönlichen Dinge der Bewohner - und brachte immer wieder Frauen um.

Jetzt ist er wieder da: Lars Eidinger schlüpft erneut in die Rolle des Psychopathen. Claudia Garde inszeniert seine Rückkehr ebenso spannend wie beklemmend.

Bei TV SPIELFILM sprechen die beiden über ihren Fall. Wer seine Korthals-Erinnerungen auffrischen möchte: Das Erste wiederholt "Tatort: Borowski und der stille Gast" am 27.11., 22 Uhr.
TV SPIELFILM: Herr Eidinger, ihre Figur Kai Korthals war lange abgetaucht. Was hat sich zwischendurch getan?

LARS EIDINGER: Die Isolation hat etwas mit diesem Menschen gemacht. Die Situation hat sich verschärft. Die Figur lebt davon, dass bestimmte Grenzen überschritten werden. Im ersten Teil hat er einfach behauptet, in einer Wohnung zu wohnen, obwohl er die Person, die tatsächlich dort lebt, gar nicht kennt. Mittlerweile behauptet er, dass jemand anwesend ist, der gar nicht mehr da ist.

Er spricht in seiner Wohnung eine "Omi" an, die man nicht sieht.

CLAUDIA GARDE Interessant. Du hast eine ganz andere Interpretation als ich. Die Omi hat es für mich irgendwann mal gegeben. Die war sehr nett. Er hat ihr geholfen. Das war meine Backstory.

Der Film wirkt oft eng und dunkel. Wie waren die Dreharbeiten?

LARS EIDINGER: Ich musste die ganze Zeit ein Pflaster am Hals tragen (Korthals wurde am Ende des ersten Teils mit einer Axt am Hals verletzt). Ich hatte eine allergische Reaktion auf das Pflaster am Hals. Das sah aus wie eine Verbrennung.

CLAUDIA GARDE Und trotzdem musste das Pflaster immer wieder drauf. Ich fühlte mich wie ein Folterknecht. Nach drei Tagen sah Lars wirklich schlimm aus. Es werden auch viele Leute geknebelt in diesem Film. Maren (Eggert) hat auch ganz schön viele blaue Flecken gehabt.

Der Tatort ist überhaupt sehr hart, sehr blutig. Korthals, der Serienmörder bekommt ein Neugeborenes in die Hände.

CLAUDIA GARDE Die meisten Gewalttätigkeiten sieht man aber gar nicht.

Aber auch wenn davon gesprochen wird, hat das eine Wirkung.

LARS EIDINGER: Mich wundert immer, wenn Leute einen Film sehen und sagen: So ist das ja in Wirklichkeit gar nicht. Ich habe diesen Anspruch überhaupt nicht. In Wirklichkeit ist es doch wahrscheinlich stinklangweilig auf einem Polizeirevier. Aber wer will sich das anschauen? Ein Tatort ist Fiktion und spielt mit Übertreibung und Extremen.

Aber das Extreme wird immer extremer.

CLAUDIA GARDE Wir haben es mit einem Film zu tun. Und natürlich arbeite ich mit Überhöhungen. Gegen das, was tatsächlich in der Welt passiert, ist alles, was wir im Fernsehen sehen, ein Klacks.

LARS EIDINGER: Haben Sie von dem Mann gelesen, der in Deutschland seiner Frau den Kopf abgeschnitten hat und ihn vom Balkon warf? Es gibt Sachen, von denen würde man sich wünschen, es sei fiktiv, aber es ist real.

Warum benutzt Korthals die Zahnbürste von fremden Leuten?

LARS EIDINGER: Er ist ein Soziopath, der Schwierigkeiten hat zwischenmenschliche Kontakte aufzubauen. Aber weil er natürlich Sehnsucht nach Nähe hat, versucht er diese Widerstände zu überwinden, indem er in fremde Wohnung eindringt und eine Intimität zu den Bewohnern behauptet, die gar nicht existent ist. Das ist natürlich total übergriffig und vereinnahmend. Er ist eben ein Psychopath.

CLAUDIA GARDE Im Kontext dieses Films wirken die Gesten natürlich besonders verstörend, weil man Vorahnungen aufgrund des ersten Teils hat. Man ahnt, dass da noch schlimme Dinge kommen.

Es geht auch um gut und böse. Korthals tötet, will aber eigentlich niemanden etwas tun. Ist er böse?

CLAUDIA GARDE Ich lebe in dem ethisch-christlichen Kontext der westlichen Welt und darin ist er böse. Er tötet und verletzt und tut ihnen Gewalt an. Natürlich ist er ein böser Mensch.

Ist Korthals in seiner Einmaligkeit trotzdem ein Kind unserer Zeit? Hat jede Zeit ihre eigenen Monster?

CLAUDIA GARDE Die Phantasie der Menschen war schon immer sehr grenzenlos. Durch die Verfügbarkeit von Informationen, nicht zuletzt durch das Internet, wird die Phantasie nur wieder angeregt und erinnert an das, was schon lange stattgefunden hat. Foltermethoden, Menschen drangsalieren - das hat es immer gegeben. Das ist nicht zeitgebunden. Und ich glaube auch nicht dass das mehr wird.

LARS EIDINGER: Korthals rührt im Grunde eine Urangst von Menschen an. Man möchte einen geschützten Raum haben. Und Korthals dringt dort ein. Jeder, der mal Einbrecher in der Wohnung hatte, weiß, wie unangenehm das Gefühl ist, dass andere in der Wohnung waren und was angefasst haben.

"Der ganze menschliche Dreck ist noch in dir drin" sagt Frida Jung zu Borowski und meint damit die Nachwirkungen des Polizeiberufs auf das Privatleben. Stimmt das auch für Schauspieler und Regiesseurinnen?

CLAUDIA GARDE Am Set sieht man den Film ja nicht als Ganzes. Die Wirkung ist nicht so stark. Die Dreharbeiten in den engen Innenräumen waren aber sehr anstrengend für uns alle. Besonders für Maren, deren Figur viel einstecken musste. Alle haben immer gefragt: Maren geht es dir gut? Kannst du noch? Aber für denjenigen, der den anderen quälen muss, ist es genau so schwierig. Und ich stehe als Dritte da und muss immer sagen...

LARS EIDINGER: Eine drehen wir noch.

CLAUDIA GARDE (lacht) Ja, das kann ich sowieso ganz gut. Es gibt beim Drehen auch viele Unterbrechungen aus technischen Gründen. Die bringen einen immer wieder auf den Boden der Tatsachen.

LARS EIDINGER: Dieser menschliche Dreck, wenn man es so nennen will, ist doch immer anwesend. Man macht sich was vor, wenn man sagt, ich habe diese Extreme nicht in mir. Alle Abgründe, alle Perversion schlummern in einem.

Wie meinen Sie das?

LARS EIDINGER: Es äußert sich in den unterschiedlichsten Situationen. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Bei Autos fällt es mir extrem auf, weil die Leute oft vergessen, welche Gewalt ein Auto hat. Das ist im Grunde eine Waffe. Wie oft ich meine Tochter in letzter Sekunde von der Straße ziehen muss, damit sie nicht überfahren wird, in der 30er oder 10erZone!

Das Aggressionspotential ist erstaunlich. Ich habe die Möglichkeit im Theater ziemlich viel rauszulassen. Das ist für mich wie ein Ventil und hat fast etwas therapeutisches. Die meisten Leute haben dieses Privileg gar nicht. Ich frage mich immer: wo gehen die hin mit ihrer Aggression.

CLAUDIA GARDE Die werden Kai Korthals. (lacht)

Der letzte Münster-Tatort hat mit 13,63 Millionen Zuschauern wieder einen neuen Einschalt-Rekord aufgestellt. Warum ist die Tatort-Reihe so unglaublich beliebt?

CLAUDIA GARDE Die Leute haben den Tatort immer geschätzt. Es ist aber tatsächlich in den letzten Jahren etwas damit geschehen, das keiner so richtig erklären kann. Die Vielfältigkeit der Tatorte spielt eine Rolle. Viele sind Anhänger eines bestimmten Tatort-Teams und ähnlich wie beim Fußball gleicht man im Gespräch ab, wie das letzte Spiel war.

Haben Sie es als Regisseurin schwerer im Filmgeschäft als Ihre männlichen Kollegen? Ist Sexismus ein Thema?

CLAUDIA GARDE Ich weiß natürlich nicht wie es ist, in einem Männerkörper zu leben...

LARS EIDINGER: Wunderschön ist es.

CLAUDIA GARDE (lacht) Ich arbeite relativ viel und natürlich ist mir das auch schon begegnet. Es gibt Sprüche, bei denen ich mir dachte, das müsste sich ein Mann jetzt nicht anhören. In der Richtung: Brauchst du Hilfe? Bist du hart genug? Hast du genug Kraft, um die Zeit mit diesen Kerlen, mit diesen Egos durchzustehen? Ich habe aber nie ein Angebot bekommen für das ich ein Gegenangebot machen musste. Grundsätzlich liebe ich meinen Beruf und ich liebe es auch die Horde anzuführen.

Es kommen im Moment viele Menschen aus anderen Ländern zu uns. Werden sich mit ihnen auch die Geschichten verändern, die man von diesem Land erzählen kann?

CLAUDIA GARDE Im deutschen Film spielen andere Kulturen eigentlich keine große Rolle. Wenn Sie stattfinden, dann ziemlich platt: Guck ma! So machen die Türken ihren Tee, und so reden, und so denken die. In anderen multikulturellen Ländern wie den USA werden bestimmte Dinge einfach gesetzt.

Da wird einem Mexikaner nicht eine Tortilla in die Hand gegeben. Ich habe es schon oft erlebt, dass es heißt: Da kannst du jetzt aber keinen Türken besetzen. Die leben doch ganz anders. Da hat der Zuschauer eine falsche Assoziation. Das halte ich für totalen Quatsch.

LARS EIDINGER: Ich kenne es auch aus einem Tatort und das ist noch nicht so lange her, da wollte der Regisseur einen Schwarzen als Verdächtigen besetzen und das ging hoch bis zum Senderchef und wurde abgelehnt. Das ist natürlich auch eine Form von Rassismus. Positiver Rassismus.

Der Regisseur hat dann als Revanche alle Statisten mit schwarzen Darstellern besetzt. Es gibt eine Szene im Polizeirevier, wo im Hintergrund etwa 30 schwarze Polizisten geschäftig rumwuseln. Das war ein sehr ungewohnter Anblick. Ich fand das einen äußerst mutigen, rebellischen und couragierten Akt des Regisseurs.

Frank I. Aures
Tatort: Borowski und der stille Gast
FR, 27.11., ARD, 22 Uhr.

Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes
SO, 29.11., ARD, 20:15 Uhr