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"Münchhausen": Arte feiert 100 Jahre Ufa mit einem Klassiker

Münchhausen: Arte feiert 100 Jahre Ufa mit einem Klassiker
Arte

Zum 100. Geburtstag der Ufa würdigt Arte die Kinofabrik mit lautem Tusch und ihrer schil- lerndsten Fantasy: ­"Münchhausen".

Wenigstens auf diesem Schlachtfeld will Joseph Goebbels den sicheren Sieg ­davontragen. 1942 befiehlt der oberste Filmkritiker der Nazis der längst gleichgeschalteten Ufa, Hollywood an­zu­greifen. Hollywood mit seinem Technicolor, ­seinen globalen Leinwandhits und seinem freizügigen Weltbild.

Anlässlich des 25. Geburtstags der Film­fabrik soll ein überlebensgroßer "Spitzenfilm" das Volk bei Laune halten und zugleich der Welt die Überlegenheit deutschen Filmschaffens vor Augen führen: "Münchhausen", frei nach den abenteuerlichen Flunkereien des Gottfried August Bürger (geschrieben 1787).

"Münchhausen", eine Materialschlacht
Dafür wirft die Ufa mitten in bedrückenden Kriegszeiten einen gigantischen Apparat an. Während überall in Deutschland die Lichter ausgehen und Rohstoffe rationiert werden, dürfen die Produzenten prassen. Effektspe­zialist Konstantin Irmen-Tschet tobt sich mit Doppelbelichtung, Zeitraffer, Spiegeltricks und kolossalen Bauten aus. Für Münchhausens legendären Ritt auf der Kanonenkugel lässt er einen Riesenturm errichten, unter dem sich eine orientalische Fantasielandschaft auf einer Trommel dreht.

Techniker der IG Farben schieben Extraschichten, um das deutsche Agfacolor-Verfahren voranzutreiben. Es wirkt natürlicher, ist aber technisch instabiler als die US-Konkurrenz Technicolor. Tausend Komparsen schlüpfen in maßgeschneiderte Rokoko-Kostüme. Ganze Kerzenmeere brennen für den Triumph des Kinowillens.

Die Ufa-Macher überschreiten alle Grenzen. Sie überziehen das ohnehin üppige Budget, am Ende ist das stargespickte Prestigeprojekt mit 6,475 Millionen Reichsmark der teuerste Unterhaltungsfilm des Dritten Reichs. Allein Hans Albers streicht 360 000 Mark ein. Der Überstar jener Epoche hat sich eigentlich mit der Ufa überworfen. Die Babelsberger hatten sich über seine astronomischen und stetig steigenden Gagenforderungen empört. Aber nun heiligt der Zweck alle Mittel.

Noch mehr gilt das fürs Drehbuch. Goebbels erteilt dem von den Nazis verfemten Erich Kästner eine Ausnahmegenehmigung, unter dem Pseudonym Berthold Bürger verfasst er ein mehrdeutig-frivoles Drehbuch, das virtuos mit den Realitätsebenen spielt.
Propaganda, die sich selbst karikiert
Und das ist aus heutiger Sicht das eigentlich Faszinierende an diesem anmaßend-absurden Luftschloss. Jenseits des Größenwahns seiner Auftraggeber entwickelt "Münchhausen" ein surreales Eigenleben.

Natürlich huldigt der Film schneidigem ­Militarismus preußischer Prägung, auf dem Kinoplakat recken sich die Minarette raketengleich in den Himmel. Und der blonde Held ist sowieso der tollste Haudrauf und Frauenverschwender aller Zeiten.

Zugleich ist er aber auch der größtmögliche Aufschneider. Die Idee, einen Lügner zum eskapistischen Leithelden in Kriegszeiten zu stilisieren, ist so superschlau wie wahnsinnig. Zudem lugt aus dem kästnerschen Humor immer auch die Rebellion gegen das Unmenschliche und den Biedersinn hervor. Unterhaltung, die wirken soll, kann eben nicht einfach Propaganda sein.

Kinostart kurz nach Stalingrad
Im März 1943, kurz nachdem die Wehrmacht in Stalingrad eine kriegsentscheidende Niederlage erlitten hat, kommt "Münchhausen" in die Kinos. Der Film wird ein Riesenerfolg, aber er ist kein Wunder, sondern nur eine wunderliche Ablenkung von der schrecklichen Realität.
Einen handfesten Effekt hat das Spektakel aber auch: Während der über acht Monate währenden Dreharbeiten ist das rie­sige Filmteam vom Einsatz an der wahren Kriegsfront freigestellt. 

Autor: Kai Nungesser

Baron Münchhausen
28.8. Arte 20.15
Das Arte-Filmfest zum UFA-Jubiläum
Mit einer repräsentativ-kritischen Reihe und zwei frischen Dokus widmet sich Arte jener Marke, die Glanz und Elend deutschen Filmschaffens in sich vereint.

Baron Münchhausen gibt in frisch restaurierter Fassung die tolldreiste Ouvertüre, gefolgt von einer hübsch gemachten Doku und einer echt bizarren Ausgrabung: dem 1925er Körperkulturfilm Wege zu Kraft und Schönheit.

Bis Dezember lässt Arte noch 14 Spielfilme folgen, drei davon online. Unter vielen nostalgischen Kinohits ragt Der blaue Engel mit Marlene Dietrich (11.12., ) hervor, kon­trastiert vom Nazi-Machwerk Kolberg (4.12.). Das G.-W.-Pabst-Melodram Die Liebe der Jeanne Ney (4.9.) und der Gender-Bender-Klassiker Viktor und Viktoria (4.9.) stehen für den künstlerischen Reichtum der deutschen Traumfabrik. Dann gibt's noch zwei Dokus und ein Special mit historischen Kurz- und Werbefilmen aus der UFA-Schmiede (16.9.). Wer sich für die Gegenwart interessiert, muss zu RTL zappen: Dort läuft die Ufa-Produktion "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" - mit bislang über 6300 Episoden.