Eins muss man den Angehörigen der Upperclass lassen: Sie bewahren in jeder Lebenslage Haltung, auch wenn ihnen das Wasser schon bis zum Bauchnabel reicht. So wie Patrick Melrose, den zu spielen für Benedict Cumberbatch eine Herzensange­legenheit ist. Schon 2013 hatte sich der Brite eine Verfilmung der Romane von Edward St Aubyn gewünscht.

"Patrick verwandelt sich vom Opfer zum Überlebenden und wird schließlich zum Herrn seines Schicksals, wobei er auf sehr komische Weise das überlebte britische Klassensystem seziert", sagt Cumberbatch über den Helden der Miniserie, der nach dunkler Kindheit ein Drogen- und Elternproblem hat.

Mit exzentrischen Charakteren kennt sich der 41-Jährige aus. Als "Sherlock" hat er fast im Alleingang eine Figur des 19. ins 21. Jahrhundert katapultiert, in dem man mit SMS kommuniziert und GPS benutzt. Cumberbatch spielt den Detektiv als Hochleistungscomputer, dem die Gefühle seiner Mitmenschen meist gleichgültig sind.

Von Sherlock nach Hollywood

Der weltweite Erfolg der Serie machte Cumberbatch zum Star. Angebote aus Hollywood folgten. Er wurden ihnen mehr als gerecht: Selbst in Blockbustern wie "Star Trek: ­Into Darkness", die durchformatiert und auf ein Massenpublikum zugeschnitten sind, schafft es der Brite, seine Individualität zu bewahren. So ist er in der Rolle des Schurken Khan intensiver in Erinnerung geblieben als sein von Chris Pine verkörperter Gegenspieler Captain Kirk. Wie bei vielen seiner Figuren ist er auch als ­Patrick Melrose äußerst kontrolliert. Wahrscheinlich ist es das, was man an ihm für typisch britisch hält. In der Miniserie "Parade's End" hat Cumberbatch die Nachtseite dieser Verschlossenheit beleuchtet. Als Landedelmann zerbricht er fast an der Unfähigkeit, seine Gefühle zu zeigen und seine Liebe zu gestehen. Wo bei anderen das Feuer der Leidenschaft lodert, glimmt hier nur eine Energiesparlampe. Aber wie Benedict Cumberbatch dieses schmale Spektrum auslotet, wie in seinem Mienenspiel der Kampf zwischen Pflicht und ­Neigung immer wieder aufflackert, das ist große Schauspielkunst.

Wäre da nicht Eddie Redmayne gewesen, hätte Cumberbatch womöglich schon 2015 einen Oscar für die geniale Verkörperung des genialen Mathematikers Alan Turing in "The Imitation Game" bekommen. Es dürfte nicht die letzte Nominierung gewesen sein. Jeder will mit dem Engländer drehen, der sich virtuos zwischen Filmen mit Anspruch und Popcornkino bewegt. Nach dem Action­spektakel "Avengers: In­finity War", in dem der zweifache Vater einen Auftritt als Dr. Strange hat, folgt im Oktober die Dschungelkindstory "Mogli". Noch in Planung ist "Rio", ein Thriller mit Cumberbatch an der Seite von Michelle Williams und Jake Gyllenhaal. Und auch von "Sherlock" soll es eine fünfte Staffel geben. Cumberbatch will weitermachen. Hoffentlich findet sich in seinem Terminkalender irgendwo noch eine weiße Seite.

Patrick Melrose, ab 12.06.2018 bei Sky 1