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"Charité": 2. Staffel beleuchtet Medizin unter dem Hakenkreuz

Charite 2. Staffel, Ärzte im OP
Sender

Die Erfolgsserie "Charité" geht in die zweite Staffel, mit einem Zeitsprung: Ulrich Noethen kämpft als Professor Sauerbruch um das Leben der Kranken und gegen Nazis in der Klinik.

Wie geht's weiter? Das war die Frage, die sich alle Beteiligten nach dem Ende von "Charité" im Frühjahr 2017 stellten. Mit 8,32 Millionen Zuschauern hatte der Sechsteiler den besten Start einer Serie im deutschen Fernsehen seit dreizehn Jahren hingelegt. Klar, dass alle auf eine Fortsetzung der Krankenhaus-Saga drängten. Nur kamen die ­genialen Forscher an der Charité, denen man in der ersten Staffel so gern zusah, für eine zweite Staffel nicht mehr infrage: Robert Koch, gespielt von Justus von Dohnányi, verließ unmittelbar nach der Zeit, die in der Serie ­erzählt wird, die Klinik, und auch Paul Ehrlich und Emil von Behring gingen ­ihrer Wege.

Der MDR entschied sich in dieser Situation für einen radikalen Bruch: Sprung ins Jahr 1943, nur noch ein Starmediziner, nämlich Professor Sauerbruch, ein neuer Regisseur und lauter neue Schauspieler. Nur der Kameramann Holly Fink blieb, und die beiden Drehbuchautorinnen Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann. Wie schon in der ersten Staffel schildern sie das Krankenhaus als einen Mikrokosmos, in dem es nicht nur um Medizin geht, sondern auch immer um die großen Fragen der Zeit.

Diese rücken Anni Waldhausen näher auf den Leib, als ihr lieb ist. Die angehende Ärztin ist mit der Nazi-Ideologie aufgewachsen und hält sie für richtig. Ihr Mann ist ein konformistischer Oberarzt, und als Doktorvater hat sie sich einen Psychiater und SS-Hauptsturmführer ausgesucht. Erst als sie Mutter wird, kommen ihr Zweifel an der Richtigkeit von Rassenhygiene und Eugenik.

Aber in den ersten beiden Folgen ist sie noch ganz auf NSDAP-Linie. Und das macht es, wie Mala Emde einräumt, für den Zuschauer anfangs nicht ganz einfach, eine emotionale Bindung zu der von ihr verkörperten Medizinerin herzustellen. Auch dies ein Bruch mit der ersten Staffel, wo Alicia von Rittberg als geknechtete Hilfspflegerin sofort alle Sym­pathien auf ihrer Seite hatte.
Wie kalt darf die Hauptdarstellerin sein?
Foto: Sender, Ulrich Noethen als Prof. Sauerbruch
Regisseur Anno Saul ist stolz auf den neuen Weg, den die Serie einschlägt. In den allermeisten Filmen über das Dritte Reich gebe es eine zentrale Person, die als Gegenspieler der Nazis fest im Humanismus verankert sei und sich den Zuschauern zur Identifikation anbiete. "Charité 2" sei da ­anders. Tatsächlich passt die von keinerlei moralischen Bedenken getrübte Nüchternheit, mit der Anni anfangs die Bestrafung von Deserteuren fordert, zu jenen "Verhaltenslehren der Kälte", die der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen schon für die Zwanzigerjahre beobachtet hat: Schluss mit dem Gewissen und dem Blick nach innen, stattdessen Funktionieren wie eine gut geölte Maschine bei höchster Aufmerksamkeit auf das, was in einer gefährlichen Welt die ständige wechselnde Lage erfordert.

Zumal in der Charité. Sie ist 1943 vermintes Terrain. Das immer noch wichtigste Krankenhaus Deutschlands in dem riesigen Rotklinkerbau verfügt über fast 1500 Betten in dreizehn Kliniken, aber es herrscht Mangel an qualifiziertem Personal. Die jüdischen Ärzte hatte man schon 1933 entlassen, viele Männer sind an der Front. Frauen wie die fiktive Se­rienfigur Anni drängen nach: Im Fach Medizin vervierfachte sich reichsweit die Zahl der Medizinstudentinnen zwischen 1939 und 1943 von 3352 auf 14 078; der reale Bedarf ist den Nazis letztlich wichtiger als das Propaganda­märchen, Frauen würden ihre ­Erfüllung als Mutter an Wiege und Herd finden.

Sauerbruch kann zwar SA-­Leute daran hindern, eine Hakenkreuzflagge auf der Klinik zu ­hissen, aber den Einfluss der ­NS-Ideologie besonders auf den Nachwuchs vermag er nicht aufzuhalten. Einige Charité-Mediziner sind überzeugte Nazis, so wie Annis Dokorvater Professor Max de Crinis, seit 1938 Direktor der ­Nervenklinik und Euthanasiebefürworter. In dem Berliner Krankenhaus selbst, das für die Serie in der ehemaligen Hauptpost­verwaltung von Prag nachgebaut wurde, finden keine Menschenversuche statt. Aber hier denken sich Doktoren moralisch verwerfliche Tests aus, die in Kliniken vor der Stadt oder in KZ durch­geführt wurden, so der Medizin­historiker und Fachberater der Serie, Thomas Schnalke.

Aber es regte sich auch Widerstand. Für die Drehbuchautorinnen war es ein Glücksfall, dass sie bereits zu Beginn ihrer Recherchen auf das bislang unveröffentlichte Tagebuch von Professor Adolphe Jung stießen, das zeitgleich der Historiker Christian Hardinghaus für seine Studie "Ferdinand Sauerbruch und die Charité: Operationen gegen ­Hitler" (Europa Verlag, 2019) ausgewertet hat.

Der Chirurg Jung war Franzose aus dem Elsass und kam im Ok­tober 1942 als Zwangsarbeiter an die Berliner Klinik, wo er drei Jahre blieb. Aus seiner Abneigung gegen Hitler machte er kein Hehl. Wohl auch deshalb sprach ihn Ende 1942 Fritz Kolb an, der Verlobte von Sauerbruchs Sekretärin Maria Fritsch. Kolb war Nazi-Gegner und arbeitete im Auswärtigen Amt als Sekretär von Botschaftsrat Karl Ritter. In dieser Position hatte er Zugang zu geheimen Informationen, er kannte die Standorte deutscher Rüstungsfabriken und war über die deutsch-japanischen Beziehungen auf dem Laufenden.

Heimlich entnahm er die Dokumente dem Tresor und brachte sie in die Charité, wo seine Freundin und Jung ihre Dienstwohnungen hatten. Nachts lichteten sie die Papiere mit einer Spezialkamera ab. Für die Weitergabe der Informationen an die Amerikaner spannte das Trio auch Sauerbruch ein. Als Vorzeigemediziner durfte er während des Kriegs ins Ausland fahren und bekam bei Medizinkongressen in der Schweiz Umschläge in die Hand gedrückt, die er an spezielle Kontaktpersonen weitergeben sollte, ohne den Inhalt zu kennen.

Die Situation spitzt sich in den Folgen drei bis fünf dramatisch zu, als Männer des Widerstands wie Hans von Dohnanyi (Max von Pufendorf) und Claus Schenk Graf von Stauffenberg eingeliefert werden. Sauerbruch stellt den Verschwörern des 20. Juli seine Villa für Treffen zur Verfügung. Er selbst und sein mit Stauffenberg befreundeter Sohn Peter geraten in den Fokus der Gestapo und entgehen nur mit Glück der Rachejustiz nach dem gescheiterten Hitler-Attentat.

Prothesen für ein ­besseres Leben
Medizinisch ging es nicht ganz so aufregend zu. Die Ärzte an der Charité waren durch Diktatur und Krieg von der internatio­nalen Forschung weitgehend ­abgeschnitten. Gefördert wurden hauptsächlich biopolitisch und militärmedizinisch relevante ­Bereiche wie Gynäkologie und Chirurgie. Vor diesem Hintergrund strahlte der Stern des genia­len Operateurs Professor Sauerbruch umso heller.

Ulrich Noethen spielt den Choleriker, der seine Assistenten anbrüllt, aber alles für seine Patienten tut und ihnen mit neuartigen Prothesen das Leben erleichtert, mit äußerster Konzentration. In Prag hat Noethen gesagt, er hätte gern mehr Zeit zur Vorbereitung gehabt. Aber die Präzision, mit der er in dem zum OP umfunktio­nierten Saal der Kunstakademie das Skalpell führt, imponiert trotz dieser Einschränkung.

Nur die Bilder sind nicht so überwältigend wie in Staffel eins. Damals führte Sönke Wortmann Regie. Ein Filmemacher von Rang. Vor allem aber ein Mann des Kinos, der es schaffte, die Tiefe und den Glanz der großen Leinwand ohne allzu viele Abstriche auf den kleinen Bildschirm zu übersetzen. Nun, wo die Serie eingeführt ist, wurde mit Anno Saul jemand engagiert, der zuletzt überwiegend Episoden von TV-Serien wie "Nord Nord Mord" und "München Mord" gedreht hat. ­Einer, der pünktlich liefert, sein Handwerk versteht und wohl auch weniger kostet als ein Regiestar wie Sönke Wortmann.

Die Preisfrage: Was kostet die Serie?
Es ist ein anderer Stil, räumt Anno Saul ein. Aber der ergebe sich aus der neuen Geschichte und der anderen Zeit. Man könne nun mal nicht in den letzten beiden Jahren des Dritten Reichs Ärzte in Zeitlupe in eine glänzende ­Zukunft tänzeln lassen. Auch die Konzentration auf Innenräume und zuletzt den OP-Bunker sind nachvollziehbar. Aber sobald das Personal die Klinik verlässt, stellt sich anders als bei US-Serien gelegentlich der Eindruck ein, man schaue nicht auf das reale Berlin von 1943, sondern auf das in Prag 2018 simulierte. Und weil das wohl kaum an Holly Fink liegt, ­einem der besten deutschen Kameraleute, liegt der Verdacht nahe, man habe an Ausstattung und Personal gespart.

Über Geld spricht keiner, weder der Regisseur noch die Produktionsfirma noch der Sender. Branchenkenner vermuten, dass eine Folge à 45 Minuten kaum mehr als eine Million Euro ge­kostet hat. Für historische Stoffe mit hohem Stellenwert ist das sehr wenig. "Babylon Berlin" war mehr als doppelt so teuer.

Jeder freut sich, dass "Charité" so gut gelaufen ist, obwohl auch damals schon über zu wenig Drehzeit geklagt wurde. Wäre es nicht schlau gewesen, nach dem Erfolg der ersten Staffel mehr Geld in die Hand zu nehmen, damit die Fortsetzung der Skalpell-Saga auch so gut aussieht wie "Boardwalk Empire" oder "Deadwood", beides Beispiele für historische Serien mit starkem Look. Aber das wird wohl ein Traum bleiben, solange Sender mit Jahresbudgets planen. Langfristig muss die deutsche Fiktion aber international konkurrenzfähig werden. Ihre Zukunft steht auf Messers Schneide.