NDR/Susanne Dittmann

Paula (Karoline Schuch) und David (Kostja Ullmann)

"Die ist doch nicht tot, oder?" Meine Tochter hält sich vor Schreck die Hand vor den Mund, als das zarte "Schwesterchen" dahinsinkt. Schuld ist die Stiefmutter, deren Heimtücke die junge TV-Guckerin mit einem ungläubigen Kopfschütteln kommentiert. Ganz schön spannend - und ein klarer Beweis dafür, dass die uralten Märchenstoffe heute immer noch fesseln können.

Vor allem, wenn sie in einer zeitgemäßen Form angeboten werden wie hier bei den ARD-Neuverfilmungen. Jedes Funkhaus ein anderes Märchen. Das Projekt heißt "Sechs auf einen Streich" und ist ein ARD-Gesamtkunstwerk. Sechs der neun Sendeanstalten wurden mit der Realisierung eines Brüder-Grimm-Stoffes betraut.

Brüderchen und Schwesterchen - ARD, Sa., 20.12.2008, 13.00 Uhr: Hier vormerken!

Vorgaben waren eine lineare Erzähltechnik ohne Zeitsprünge und mit jungen Darstellern in den Hauptrollen. Außerdem sollte die Musik eigens komponiert werden. Letzteres vor allem, um später keine Probleme mit den Verwertungsrechten zu bekommen, denn die Filme sollen auch als DVDs verkauft werden. Die bekannten Geschichten sollten nah am Original bleiben - Autos, Handys oder Laptops waren verboten -, wurden aber "behutsam überarbeitet", wie der scheidende ARD-Programmdirektor Günter Struve bei seinem allerletzten Pressetermin erklärte.

Klamauk und Actionszenen mit Riesen

Märchen vermittelten Werte und Moralvorstellungen. Und die ändern sich eben im Lauf der Zeit. Zweite Chance für die Pechmarie. Uff! Das schöne "Schwesterchen" hat sich wieder berappelt. Und das schwarzmagische Stiefmuttermonster ist beim Finale über die Balkonbrüstung gekippt - und im Hof verglüht. Hat sie nun davon.

Die wunderschöne "Brüderchen und Schwesterchen"-Version des MDR spart die Grausamkeiten der Vorlage nicht aus, bringt sie aber visuell in eine Form, die auch kleine Kinder unbeschadet überstehen werden. "Frau Holle" vom RBB verändert die Geschichte stärker. Hier erhält die "Pechmarie" am Ende eine zweite Chance, die sie natürlich auch nutzt. Diese disneyhafte Entschärfung hätte nicht sein müssen. Auch die kreischbunte, synthetische Holle-Welt gefällt uns nicht.

Frau Holle - ARD, Do., 25.12.2008, 16.05 Uhr: Hier vormerken!

Wir schalten um zum "Froschkönig" vom SWR. Die Amphibie selbst ist zwar ebenfalls am Monitor entstanden und sieht aus, als würde sie eigentlich für Klingeltöne werben, Dialoge und Sprache des Films machen aber Spaß. Wenn die Prinzessin und ihre adeligen Freundinnen sich über Prinzen - sprich: Jungs - unterhalten, klingen sie wie Mädchen von heute. Auf Jugendsprache wurde glücklicherweise verzichtet. Niemand sagt "Kein Bock" oder "Check das aus". Danke dafür.

Der Froschkönig - ARD, So., 21.12.2008, 13.00 Uhr: Hier vormerken!

"Tischlein deck dich" vom WDR setzt auf volkstümlichen Klamauk, "König Drosselbart" vom Hessischen Rundfunk konzentriert sich ganz auf die romantische Liebesgeschichte zwischen der hochmütigen Prinzessin und dem edlen Prinzen, der sich als Bettler verkleidet.

Tischlein deck dich - ARD, Sa., 20.12.2008, 12.03 Uhr: Hier vormerken!

König Drosselbart - ARD, Do., 25.12.2008, 15.05 Uhr: Hier vormerken!

Unser Highlight ist "Das tapfere Schneiderlein" vom NDR. Es bietet hinreißende Darsteller (Kostja Ullmann und Karoline Schuch) und lustige Actionszenen mit Riesen. Axel Milberg sorgt als wehleidiger König für die Modernität: "Der Retter des Reiches heiratet die Königstochter. Oder den Königssohn, je nachdem, was gewünscht wird."

Das tapfere Schneiderlein - ARD, Fr., 26.12.2008, 14.35 Uhr: Hier vormerken!

Für die Umsetzung der sechs 60-Minüter standen insgesamt sechs Millionen Euro zur Verfügung. Ein anständiges Budget, mit dem visuell anspruchsvolle Bilder möglich waren. So konnten auch viele echte Rehe, Hunde, Gänse in die Handlung einbezogen werden. Das wird die ganz Kleinen freuen. Die Teenager werden sich für die Erste-Liebe-Thematik interessieren, die in allen sechs Filmen vorhanden ist. Und die Erwachsenen freuen sich über die humorigen Auftritte von "Tatort"-Kommissaren wie Andrea Sawatzki, Axel Milberg oder Richy Müller.

Der ARD ist hier gelungen, was im Fernsehen nur noch selten gelingt: echte Familienunterhaltung.

Frank Aures