Die Sache mit dem Eis, sie taugt durchaus zum klassischen Atmosphäre-Motiv für dramatische Geschichten. Man denke an Ang Lees Meisterwerk "Der Eissturm" aus dem Jahre 1997, als sich über Nacht alles in spiegelglatte Fläche verwandelt, auf der einiges an Biografien ins Rutschen gerät. Oder den Song "Trapped Under Ice" von Metallica, ein klaustrophobischer Klassiker übers Gefangensein unter überfrorenem Wasser.

Auch die Figuren in "Die Luft, die wir atmen" bekommen es mit einer ähnlichen Situation zu tun. Auch in Julia C. Kaisers Geschichte sorgt die Wetterlage plötzlich für Gefahr. Blitzeis ist angesagt, so schnell, so flächendeckend, dass die Besucher und Besucherinnen eines Altersheims an Ort und Stelle festsitzen.

Herausforderungen des Alltags

So überschaubar der Ort des Geschehens ist, so unterschiedlich sind die Schicksale, die der Zuschauer in diesem von Regisseur Martin Enlen inszenierten Film im Ersten kennenlernt. Da ist Klaus (Rainer Bock), der seine an Parkinson erkrankte Ehefrau Sylvia (Ruth Reinecke) wieder nach Hause holen möchte. Auch der Vater von Alisa (Bernadette Heerwagen), Martin (Gerd Wameling), ist schwer krank, er leidet an Demenz. Alisa will endlich eine Kontovollmacht von ihm, damit er seine Pflege aus eigener Tasche bezahlt. Eine schwierige Lage, die Alisas eigene Beziehung belastet.

Lana (Barbara Philipp) und ihr Bruder Jürgen (Thomas Loibl) sitzen am Sterbebett der Mutter, die die beiden einst ausinanderbrachte. Und dann sind da noch Heimleiterin Sina (Neda Rahmanian) und das Pflegepersonal unter der Leitung von Martina (Katja Studt), die all das überblicken müssen und den täglichen Herausforderungen dieses toughen Berufs ausgesetzt ist.

Gelungener Ensemble-Film

Als sich das Blitzeis schließlich über das Land legt, niemand von der Stelle kann, Bewohner, Besucher und Personal miteinander eingeschlossen sind, wird aus dem Altersheim fast eine Versuchsanordnung, ein Katalysator, in dem unausweichliche Konflikte umso mehr aufbrechen.

Versöhnlicher als bei Ang Lee – und weniger schwermetallisch als bei Metallica – geht es in "Die Luft die wir atmen" zu. Stimmungsvolle Musik von Diana Krall, Birdy, Iron & Wine und Belle & Sebastian untermalt das Geschehen, auch ein Grund, warum der Eiskratzer hier zuweilen am Kitsch entlangschabt.

Dennoch ist der Ensemble-Film unterm Strich gelungen, verknüpft existentielle Themen mit aktueller Pflege-Kontroverse, verbaut Einzelschicksale zu einer Art universeller Metapher, die da lautet: Wir alle atmen die gleiche Luft. Und, wie heißt es so schön bei Ton Steine Scherben…"Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten".

"Die Luft, die wir atmen" sollte am 24. November im Ersten laufen, wurde aber wegen eines Brennpunktes verschoben. Der Film ist in der ARD-Mediathek zu sehen.