Vergessen Sie, was Sie über Robin Hood wussten! Von wegen Adliger kämpft für die Schwachen und Unterdrückten, liefert sich mit dem Sheriff von Nottingham Scharmützel, wirbt um die Gunst von Lady Marian und sitzt ansonsten auf dem Baumstumpf und singt mit Bruder Tuck Lieder. Dieser Robin Hood ist ein gemeiner Soldat, der französische Schlösser in die Luft jagt, als Adliger posiert, einen Hochverräter jagt und gemeinsam mit Marian eine Invasion der Franzosen in Dover stoppt, die verdächtig an die Omaha-Beach-Offensive 1944 in "Der Soldat James Ryan" erinnert. Anscheinend gab es schon im Mittelalter Landungsboote, die sich nach vorn öffnen.
Ridley Scotts Neufassung von "Robin Hood" ist groß angelegtes Helden-Herrscher-Actionkino und hat mit bisherigen Hollywood-Adaptionen nicht mehr viel zu tun. Gerade mal eine halbe Minute verbringt Russell Crowe im Sherwood Forest. Stattdessen fungiert er als britische Freiheitsikone im Stile von Rob Roy oder William "Braveheart" Wallace und kämpft für die Einführung der Magna Carta, die jedem Engländer ein Grundrecht auf Freiheit einräumt. Doch ist Ridley Scotts Epos damit näher an der Wahrheit als seine filmischen Vorgänger?

Seit Jahrzehnten streiten sich die Gelehrten darüber, ob der seit dem 13.Jahrhundert in Sagen und Gedichten auftauchende Robin Hood historisch irgendwo zu verorten ist. Theorien gibt es viele. Die einen sehen in ihm den Earl von Huntington, andere halten den Gesetzlosen Roger Godberd für das Vorbild der Legende. Weit verbreitet ist auch die These, dass der Name Robin Hood früher einfach ein Synonym für Kriminelle war und keiner realen Person zuzuordnen ist. Ein amerikanischer Historiker wagte 2006 sogar zu behaupten, Robin Hood sei kein Engländer, sondern Waliser gewesen. Die Stadt Nottingham vermutete dahinter einen arglistigen Täuschungsversuch des walisischen Tourismusverbandes.
Anno 1200: England vor dem Staatsbankrott


Solche Freveleien begeht Scott nicht - obwohl die Besetzung eines Australiers als englischer Volksheld auf der Insel nicht gut ankam. Wie groß die Empörung wohl gewesen wäre, wenn sie den ursprünglichen Plan beibehalten hätten? Das "Nottingham" betitelte erste Drehbuch hatte den She­riff der nordenglischen Stadt zum Helden und Robin Hood als Gegenspieler. Ein späte­rer Entwurf vereinte die Figuren und machte Robin quasi zum Superhelden. Doch letztlich verwarf Scott alle Experimente: "Man hätte 80 Prozent des Werbebudgets darauf verschwendet, um zu erklären, warum der Film ‚Nottingham‘ und nicht ‚Robin Hood‘ heißt", äußert er sich selbstkritisch.
Dann doch lieber "Gladiator 2". Denn auch wenn diese neue Interpretation der Rolle von Robin Hood jeder Grundlage entbehrt, so wird zumindest die Umgebung in historischen Tatsachen wie der Magna Carta oder dem drohenden Staatsbankrott Englands geerdet. Eine Kombination, die eingebettet in die patentierte Troika aus Blut, Tod und Verderben schon das Rom-Epos von Scott und Crowe zu einem Sensationserfolg werden ließ. Russell Crowe sieht im Film sogar fast aus wie sein römischer Maximus. Die legendären grünen Beinkleider von Errol Flynn oder Kevin Costner musste er übrigens nicht auftragen. "Unsere Geschichte beginnt im Jahr 1199 und Strumpfhosen wurden erst im 16.Jahrhundert erfunden", weiß Crowe. Errol Flynn hat den historischen Irrtum mit ins Grab genommen.

Überhaupt können die Macher dieser neues­ten Interpretation der Legende ihren filmhistorischen Vorgängern (siehe unten) nur wenig abgewinnen. "Ich habe alle gesehen, und ich mag nur Mel Brooks' Version, die war wenigstens witzig", poltert Regisseur Scott. "Aber unser Film steht auf einer ganz anderen Stufe.

Geht Robin Hood in Serie wie Batman?

Und die heißt "Batman Begins". So wie der Auftakt der Fantasyreihe beschreibt, wie aus Bruce Wayne der Fledermausheld wurde, erzählt diese Neufassung, wie Robin Longstride zum Banditen Robin Hood mutiert. Ein Vogelfreier, der es den Mächtigen heimzahlt, die ihn verraten haben. Und das Quasi-Prequel zum Mythos legt bereits alle Grundlagen für eine eigene Filmreihe, die dann wohl auch Matthew MacFadyen ("Stolz und Vorurteil") als Sheriff von Nottingham mehr als fünf Szenen einräumen wird. Schließlich braucht Robin wie jeder Superheld einen kernigen Gegenspieler.

Rüdiger Meyer